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Elena Golfidis

Die Rede


Das Leben ist schön. Manchmal weiß man das ganz genau. Ich zum Beispiel bei Omas Beerdigung, von draußen zwitscherten die Vögel, durch die Fenster flirrte Licht in die Aussegnungshalle und da wusste ich bestimmt, dass das Leben schön ist und ich nicht mit Oma tauschen möchte.

Ja, mein Freund, auch heute ist schönes Wetter. Frühmorgens sind wir übers Land gefahren zu deiner Beerdigung. Wir sind schon in Übung. Auf Omas Grab liegen noch die Kränze. Hab mich fein gemacht für Dich. Meine spitzen schwarzen Schuhe klackern leise auf den Fliesen der Friedhofskirche. Es riecht nach verwelkten Blumen. Die kleinen Kränze sehen verwunderlich aus. Und dann diese dunkle Metallkartusche mit deinem Namen und Geburtsdatum, langsam begreife ich, das ist die Urne. Mein Gott, so wenig bleibt übrig. Ach Schwager, das bekomme ich ganz schlecht zusammen, du, da in dieser Kartusche. Wäre ein Sarg besser gewesen? Na, ich weiß nicht. Auf jeden Fall wäre es realer. Nein, es wäre schlimmer. Das hast Du schon gut entschieden, mit der Kartusche.

Und jetzt soll ich also Deine Grabrede halten. Meine Güte, wie oft habe ich in Gedanken diese Rede verfasst. Eine flammende Rede sollte es werden. Gegen Unrecht und Vorurteil wollte ich sprechen. Ermahnen wollte ich und auch ein bisschen anklagen. Naja, ist lange her.

Als du das erste Mal zum Sterben warst, da bin ich immer mit dem Pavarotti vom Hospiz nach Hause gedüst. Im neuen schnellen Auto, mitten in der Nacht, habe ich die allerschönsten Reden für Dich verfasst. Du warst der Star im Hospiz. Der Jüngste von allen Sterbenden umgeben von lauter jungen Besuchern. Stundenlang hast du unseren Geschichten gelauscht, wolltest alle Neuigkeiten hören, während deine Frau deine Hand gehalten hat. Du wusstest um jedes Geheimnis. Weil man einem Sterbenden alles anvertrauen kann. Und ich war gerade so verliebt. Ich war gerne bei dir, wirklich. Irgendwie war es spannend im Hospiz. Die kleinen Kerzen im dunklen Gang, die nur brannten, wenn jemand gestorben war. Kleine Irrlichter vor den Zimmertüren der Toten. Manchmal konnte man einen Blick auf einen Toten erhaschen. Wenn ich nachts rausgeschlichen bin, wenn du endlich eingeschlafen warst, dann bin ich ganz schnell an den Lichtern vorbei, raus in die Sommernacht und davon gebraust zu meinem Liebsten. Das Leben zwischen Liebe und Tod war schön. Und dann bist du doch nicht gestorben.

Ich dachte, du bist unverwundbar. Genau wie meine Liebe.

Was war eher, dass meine Liebe zu Ende war oder, dass du wieder krank geworden bist? Keine Ahnung. Ich weiß noch nicht mal mehr, wie oft du im Hospiz gewesen bist. Oder wie oft wir gedacht haben, dass du stirbst. Einmal, da bin ich wie eine Verrückte durch die nächtliche Stadt gefahren, damit du nicht sterben musst, bevor jemand von uns da ist. Deine Frau hatte ja den weitesten Weg. Oh Gott, hatte ich damals Angst! Ich war ganz allein mit Dir. Du hast gestöhnt und dich gewunden und geschwitzt, ganz heiß waren deine Hände. Mir war so, als wäre was Fremdes im Zimmer, die ganze Zeit. Ich hatte solche Panik, immerzu habe ich gebetet, dass meine Schwester schnell kommen soll, dass ich nicht alleine bei dir sein muss, wenn du stirbst. Nach Stunden erst, so schien es mir, war sie da. Und du bist nicht gestorben. Aber du hast gesagt, du wärest beinahe gestorben. Als ich danach, im frühen Morgenlicht nach Hause gefahren bin, da war ich sicher, du würdest am nächsten Tag sterben, oder so. Für stumme, wilde Reden war ich zu müde.

Und dann, im letzten Jahr, kurz nach Weihnachten, wieder im Hospiz, komisch, ich bin immer noch gerne hingegangen - nicht mehr jung und unverwundbar - war es da anders? Das frage ich mich manchmal. Es war bitterkalt und als ich zu dir ans Bett kam und entschuldigend von meinen eiskalten Händen sprechen wollte, hast mich geschimpft. Wie ich von kalten Händen reden könnte, während du stirbst. Dann wolltest du über dein Testament und deine Beerdigung und natürlich über die Grabrede sprechen. Ich wäre die beste Grabredenschreiberin, die du kennst. Du alter Sarkast, so scharf auf diese Rede bin ich nicht mehr, dachte ich bei mir. Wer weiß, sagte ich, vielleicht stirbst du jetzt gar nicht oder vielleicht erholst du dich wieder im Pflegeheim. Du hast Angst gehabt vor dem Pflegeheim. Beim Abschied habe ich geweint.

Das elendige Pflegeheim! Es war schrecklich, wie sie dich wund liegen haben lassen. Das tut mir aufrichtig leid, dass du dort diese vielen Wochen bleiben musstest. Nur weil du nach drei Wochen Hospiz immer noch nicht gestorben warst. Dabei wussten die doch, dass du nicht so schnell stirbst.

Wir waren so froh, zu guter Letzt hatten wir es geschafft, dass du wieder ins Hospiz konntest. Die ersten Tage waren ok, nicht wahr. Du konntest wieder mit Appetit essen und ein bisschen Hof halten. Alle haben gesagt, jetzt stirbt er. Pater Dennis meinte, ewig kann man mit dem Tod nicht spielen. Ich habe gedacht, na, das weiß der nicht. Mein Schwager kann das.

Dann hast du so schlimme Dinge gesehen. Hast dauernd Angst gehabt vor den schwarzen Löchern und wolltest nicht hinter irgendwelche Türen schauen, die niemand außer dir gesehen hat. Einmal, als ich gehen wollte, habe ich mich noch mal umgedreht zu dir. Du hattest so einen bitteren Zug um den Mund.

Irgendwann hast du dann Frieden geschlossen, hast uns alle noch gegrüßt und versprochen, dass du dort, wo du hingehen wirst, versuchen würdest, das Beste für uns zu tun. Danke Schwager, ich hatte schon angefangen, schlimme Angst vor dem Tod zu bekommen. Obwohl ich bei der Oma dabei war. Da war nur ein komischer Moment, an den denke ich aber ganz selten. Und reden kann man mit niemanden darüber, davon will keiner was hören. Ich war nicht bei dir, als du gestorben bist. Aber alleine bist du nicht gewesen.

Wieder bin ich mit dem Auto zum Hospiz gefahren, langsam diesmal, ohne Pavarotti. Ehrlich gesagt, ich hatte gar keine Eile zu dir zu kommen. Mir war ein bisschen schlecht und ich musste an den bitteren Zug um deinen Mund denken. Dabei hast du sehr schön ausgesehen. Aber ich muss dir gestehen, lebend hast du mir besser gefallen. Ach ja.

Deine Grabrede habe ich, bestimmt hast du es gar nicht anders erwartet, erst gestern Abend geschrieben. Unter Mitgequake der ganzen Familie. Flammend ist sie nicht mehr geworden, verzeih Alter, du warst zehn Jahre lang krank und ich bin auch nicht mehr so wild und weltverbesserisch wie damals. Ist eher eine versöhnliche Rede mit Silberstreif am Ende. Ich glaube, ich bin dran. Uff! jetzt bin ich aufgeregt. Die Kartusche, mein Lieber, irritiert mich immer noch.

Na, du wirst deine Rede jetzt hören. Leise klackern meine schwarzen spitzen Schuhe, fest halte ich die zwei Blätter mit der Rede, alles ist ganz stumm, dann schlüpfe ich hinter das Rednerpult.