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Brigitte Hieronimus

Wilmas Traum


Schweißgebadet wacht sie auf, wirft die Bettdecke von sich und schaut zur Seite. Sie ist nicht allein. Sie hat nur geträumt.

Früher als sonst ging sie zu Bett, putzte sich wie gewohnt die Zähne, cremte das Gesicht, zog sich ein dünnes Hemdchen über, und goss sich wie immer, ein letztes Glas Wein ein. Hans würde spät komme: "Warte nicht auf mich, Wilma, die Konferenz nimmt heute kein Ende, und ich werde hoffentlich den letzten Zug nach Haus erwischen.", schickte er ihr einen Kuss durchs Telefon und legte auf. Lustlos blätterte sie in der Illustrierten herum, trank in kleinen Schlucken den Wein und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
Warum meldet Valentin sich nicht? Es begann doch so nett mit ihm. Humorvoll und zärtlich ging er auf ihren Brief ein. Lange hatte sie überlegt, ob sie es wagen sollte. Damals, als sie seine Geliebte wurde, störten die zehn Jahre Altersunterschied nicht. Aber das ist nun über sieben Jahre her.
Hans war ihr treu ergeben und eigentlich ein liebevoller Partner. Das Problem war, dass er zu wenig da war. Es nützte gar nichts, wenn er versicherte, wie schön er sie fand. Ein Blick in den Spiegel genügte, um sich von ihrem Bildnis abzuwenden. Ihre Weiblichkeit lief sich im Stundenglas leer. Als Valentin ihr Leben betrat, klebte ihre Zunge bereits am Gaumen fest. Schwungvoll forderte er sie in der Uni auf, mit ihm zusammen ein Projekt zu erarbeiten. Es kam wie es kommen musste. Als sie das erste Mal in seinen Armen lag, vergaß sie ihr Alter, ihre kugeligen Hüften und zu kleinen Brüste, vergaß die Falten um den Mund und die grau werdende Schambehaarung. Die Zeit stand endlich still.
Was trieb denn sie, an ihn zu schreiben? Warum wollte sie etwas aufleben lassen, was sie doch beendet hatte? Sie stellt das Glas ab, löscht das Licht und zieht sich die Decke bis zum Hals.
Sie weiß schon, genau dieses Gefühl will sie noch einmal erhaschen: Begehrt zu werden und selbst zu begehren! Es ist ihre ganz persönliche Spiralfeder zum Glück. Was hat sie nicht alles versucht, diesem Glücksgefühl auf die Sprünge zu helfen. Freundinnen rieten ihr, zu chatten und auf Anzeigen einzugehen. Manche von ihnen verliebten sich tatsächlich in wildfremde Männer, nur weil die poetisch schreiben konnten und leckten sich tagsüber die Finger nach nächtlichen Worten, die wie Pralinen auf der Zunge zergingen. Sogar ihre beste Freundin schmolz bei dem Gedanken dahin, dass ein gewisser Jack, sie mitternächtlich füttern würde, und trieb es virtuell aufs Heftigste mit ihm.
Nein, das war es nicht, was sie begehrte. Sie wollte einen Mann aus Fleisch und Blut über sich haben, einen, der sie mit steif aufgerichtetem Gemächt, bis in den Himmel hob und bis ins Paradies ficken konnte. Besinnungslos. Wahnsinnig. Triebgesteuert. Einer, der sie zum Erröten brachte und ihren Venushügel nicht nur mit Leidenschaft, sondern mit der nötigen Ausdauer eroberte.
Genau das konnte Valentin, der ihren Körper begierig wie eine Landkarte studierte und sie lehrte, ihn zu lieben, wie er das tat. Ihren kleinen Körper, für den sie sich als junges Mädchen schämte, dessen Brüste sie mit Schießer Feinrippenstrick bedeckt hielt, dessen Schoß sich nicht öffnete, wenn Jungen nach ihr grabschten. Hans war der erste, der ihr das Gefühl gab, so wie sie war, so sei sie in Ordnung. Ja, Hans war ein guter Mann und zärtlicher Liebhaber. Nur immer viel zu schnell. Und jetzt, wo er wie sie, älter geworden war, schien es rapide abwärts mit seiner Lust, und damit auch mit seiner gewohnten Standfestigkeit, zu gehen. Nur mit Humor waren manche Peinlichkeiten zu überbrücken. Danach lag sie wach, während er schnarchte. Und eines Nachts, tauchte Valentin auf. Sie träumte von ihm und erwachte mit einem Orgasmus. Am nächsten Morgen steckte sie herzklopfend den Brief in den Kasten.
Als er in der Tür stand, errötete er wie sie, und umarmte sie herzrasend. Sein Kuss schmeckte nach Pfefferminz, der Duft seiner Haut roch vertraut, als wäre er nie fort gewesen. Worte überstürzten sich, Erinnerungen wurden hervor gekramt und aufpoliert. Als er ging, versprach er, sich zu melden. Und wartete auf Zeichen, die nicht mehr kamen. Valentin war inzwischen fest liiert, hatte einen Stall voller Kinder und arbeitete bis zum Umfallen. Was wollte sie eigentlich von ihm? Es konnte keine Wiederholung geben. Der Valentin von damals war verschollen. Gefühle von einst, gelöscht auf der Festplatte der Leidenschaft.

Schweiß rinnt in Bächen zwischen ihren flachen Brüsten. Schlaftrunken wischt sie ihn sich fort. Ihr Schoß klopft bereitwillig an. Wenn Hans doch nur da wäre.



Brigitte Hieronimus
Schriftstellerin und Autorin
Seminarleiterin für Wechseljahre
Beratung und Coaching

www.brigitte-hieronimus.de