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Io Salbrechter

Unser Familienfest zu Weihnachten

Vorgeschichte.
Am Stefanitag lädt meine Großmutter seit Urzeiten jedes Jahr alle ihre Kinder samt Familien zum Mittagessen ein. In den Geburtsstunden dieses Events, in den sechziger Jahren, war das ganz einfach: 3 Kinder mit Ehepartnern kamen zu Besuch und meine (damals noch nicht) Großmutter kochte. Dann kamen in den Siebzigern noch 8 Enkelkinder dazu. Meine (nun schon) Großmutter stand mitten im Leben und „schmiss“ ein wunderbares Essen für 15 Personen.
Wir Enkel wuchsen heran. In den Achtzigern hatten wir bereits jeder einen Freund oder eine Freundin, die natürlich auch eingeladen wurden. Meine Oma ist schließlich eine weltoffene Frau. 23 Personen freuten sich auf das traditionelle Festessen.
In den Neunzigern wurden wir Enkel erwachsen, heirateten zum Teil und bekamen jedenfalls Kinder. So kamen nach und nach noch 7 Urenkel dazu.
Also sind wir jetzt rund 30 Leute.
Mittlerweile ist meine Großmutter 83 geworden. Sie ist durchaus noch in der Lage, ein Mittagessen für, sagen wir einmal 8 Personen, zu kochen, aber 30 Personen zu bewirten überfordert sie doch ein bisschen. Und das gibt sie mittlerweile sogar auch zu, was übrigens nicht so einfach zu erreichen war.
Status quo:
Also kochen meine Cousine Dorli und ich (eine andere würde ich in der kleinen Küche neben mir nicht ertragen) jedes Jahr am Stefanitag für 30 Personen. Wir essen natürlich zu Hause, denn im „Gasthaus ist es ja so unpersönlich“ (Originalton Oma). Wir kreieren also ein Festmenü, ein "normales" Essen duldet meine Großmutter nicht. Da geht sie sonst heimlich noch etwas einkaufen.
Wir beginnen immer schon im Oktober mit der Planung des Menüs und der Eruierung der Bezugsquellen für die Zutaten. Dorli und ich möchten am liebsten immer alles tiefgefühlt kaufen, damit sich die Zubereitungszeit auf ein Minimum reduziert. Meine Großmutter hätte am liebsten alles frisch zubereitet, echt alte Schule. Unsere fast täglichen Diskussionsrunden ziehen sich dabei jedes Jahr bis in den November und enden immer mit einem Vergleich.
Suppe, Frittaten, Serviettenknödel, Salate, Käse und Obst waren heuer frisch, der Rest wurde aufgetaut.
Stefanitag 2003:
Menü:
- Prosecco als Aperitif dazu Dörrpflaumen gefüllt mit geschälten Mandeln, mit Speck umwickelt und in der Pfanne geröstet als Fingerfood.
- Rindsuppe mit Frittaten
- Rehbraten mit Serviettenknödeln und Rotkraut, Schweinsbraten als Alternative
dazu einen herrlichen Merlot
- Verschiedene Salate
- Bratapfeleis mit Preiselbeersoße
- Käse, Obst
- Kaffe mit Kuchen, Torte und Keksen, Konfekt

Am Morgen wird nun im (am Vortag völlig ausgeräumten) Wohnzimmer eine lange Tafel aufgebaut. Sie besteht aus drei langen, schmalen, fast gleich hohen Tischen und lauter verschiedenen Sesseln. Das einzige Geschirr, das meine Großmutter in 30-facher Ausführung besitzt, ist ein einfaches Glasgeschirr. Besteck gibt es immer von einer Sorte immer nur 8 gleiche. Hurra! Seit zwei Jahren haben wir eine ausreichende Zahl gleicher billiger Sekt- und Weingläser. Eine herrliche Anschaffung!
Um dem ganzen einen Anstrich von weihnachtlicher Festlichkeit zu geben, schmücke ich die Tafel. Heuer nähte ich sogar rote Perlenketten in Bögen an das weiße Tischtuch (Großmutter war dann zwei Tage mit dem Abtrennen beschäftigt). Die Nahtstellen kaschierte ich mit goldenem Lametta und frischen Tannenzweigen aus dem Garten. Statt Sets legte ich Weihnachtsservietten ausgebreitet unter die Teller. Noch ein paar Streusternchen in rot und gold locker über den Tisch verteilt, in jedes Glas eine Serviette gesteckt. Fertig.
Klingt doch ganz einfach oder? Jedenfalls gehe ich mich nach dem Tischdecken immer duschen und umziehen.

Das heikelste Unterfangen ist nun nicht, wie man vielleicht meinen möchte, die Vorbereitung des Essens in so großen Mengen in der sieben Quadratmeter-Küche meiner Oma, sondern das Servieren.
Meine Familie ist leider manchmal sehr höflich. Das heißt in diesem Fall, dass der erste erst zu essen beginnt, wenn der letzte an der Tafel auch seinen gefüllten Teller hat. Dorli und mir wäre das ja egal, es gibt ja auch geeiste Suppen oder? Aber meine Großmutter möchte das nicht: Also werden die Teller vorgewärmt (ein Teil im Rohr, ein Teil in der Mikrowelle - ja das geht, ein Teil auf einer Herdplatte). Heuer drehte irgendwer (ich war es ganz sicher nicht, Ehrenwort!) die Herdplatte auf Stufe 7 statt auf Stufe 1. Als ich die Teller mit einem Topflappen herunternahm und auf das kalte Küchenkastl stellte, zersprang die untere Hälfte des Tellerstapels und tausend Scherben spritzten durch die Küche.
Dorli siebte also die Suppe. Ich kehrte und saugte die Küche. Die restliche Familie wartete im Wohnzimmer auf das Essen.
Nach dem Hauptgang mussten wir alle flachen Teller schnell mit der Hand abspülen werden, damit wir das Dessert darauf anrichten konnten. In die Mitte des Tellers kam ein bisschen Oberscreme (Dorlis Kreation), rundherum verteilten wir die Preiselbeersoße mit Apfelschnaps (meine Kreation).
In die Mitte setzten wir das Bratapfeleis (Kreation der Tiefkühlfirma). Darüber kam geriebene Zitronenschale (Dorlis Einfall), Mandelsplitter (mein Einfall) und Schlagobers (einfallslos). Endlich waren alle Portionen fertig in der Küche verteilt. Wir begannen mit dem Servieren.
"Nein danke, mir nicht." - "Ich kann nicht mehr, danke." - "Sehr lieb, aber ich habe Halsweh."
Fast die Hälfte aller Nachtische blieb übrig. Wo blieb die Höflichkeit? Ich hätte die meine fast verloren, fasste mich aber nach mehreren Schluck Wein in der Küche. Mein Sinn fürs Praktische siegte und wir schafften alles in den Keller, wo wir es in dem mittlerweile leeren Tiefkühlschrank verstauten (Die nächsten Gäste kommen bestimmt).

Nun setzte ich mich erstmals ins Wohnzimmer, um mich zu entspannen. Die Frau meines Vaters kam, um sich mit mir zu unterhalten. "Wo hast du denn das ausgezeichnete Rehfleisch her?" Ich schluckte. Die einzigen zwei Jäger die ich als mögliche Bezugsquelle kennen könnte, saßen im gleichen Zimmer wie wir. Also hauchte ich:" Tiefgekühlt." - "Ach, so einfach kann man es sich machen."
Böse Stiefmütter gibt es nur im Märchen - und meine. Erwähnte ich das schon?