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Jutta Rotter

Meine Schwester - ein kleiner Blick hinter die Kulissen


Meine Schwester war immer schon anders als ich. Sie war nicht so gut in der Schule, beim Schifahren immer eine Leistungsgruppe hinter mir, hatte kaum Freunde und wollte, was mir ein Rätsel war, auch nie den Führerschein machen. Für meine Mutter war sie die Kleine, die immer alles von ihr geregelt bekam. Dies, man kann es sich vorstellen, führte während unserer Kindheit zu heftigen Diskrepanzen.

Mit Mühe und Not schaffte sie den Hauptschulabschluss, Ausbildung machte sie keine. Meiner Mutter waren alle Arbeiten nicht gut genug für sie. Falls meine Schwester doch einmal, es kam selten genug vor, eine Freundin hatte, bestand auch die in den Augen meiner Mutter nicht. Sie manipulierte meine Schwester so lange, bis sie die Freundschaft aufgab. Dieses Verhalten setzte sich fort, als Eva die ersten Freunde hatte.

Ich zog sehr früh von zu Hause aus und kümmerte mich die nächsten Jahre wenig um meine Schwester. Es klingt egoistisch, aber ich war froh, mit diesem „Irrenhaus“ nichts zu tun zu haben.

Als mein Vater plötzlich starb, wurde das ungesunde Verhältnis zwischen meiner Schwester und meiner Mutter noch enger. Meine Mutter war auf die Pflege durch Eva angewiesen und tat alles, sie an sich zu ketten – meine Schwester ließ es sich gerne gefallen. Wagte ich einen Einwurf, fielen beide über mich her, deshalb mischte ich mich nicht mehr ein.

Nach wenigen Jahren starb auch meine Mutter. Von mir anfangs unbemerkt begann sich meine Schwester zu verändern.

Sie räumte die Wohnung, die ihr geblieben war, nicht auf, sie pflegte sich nicht. Ich schob das auf die für sie ungewohnte Freiheit, nicht mehr dem Diktat meiner Mutter unterworfen zu sein.

Meine Schwester hatte Arbeit, sie war Sortiererin in einer Plastik – Recycling –Anlage. Bei meinen Besuchen fiel mir auf, dass sie den Müll sammelte, die Wohnung war voll mit stinkenden Plastikgegenständen, dafür verschwanden aber Fernseher, Videorekorder, u.s.w.. Die Sachen wären in der Reparatur. Erst, als mich ein Bekannter, der bei den E-Werken arbeitete, anrief und mir mitteilte, dass bei Eva in drei Tagen der Stromzähler abmontiert werde, wenn die Rechnung nicht bezahlt wird, war ich alarmiert. Ich zahlte nach Absprache mit ihr die Rechnung, sie versprach mir das Geld vom nächsten Gehalt zurückzugeben. Kurz, zwei Monate vertröstete sie mich, dann fuhr ich mit ihr zu ihrer Firma, um das Geld direkt einzukassieren. Meine Schwester war dort gänzlich unbekannt, sie hatte nie in diesem Betrieb gearbeitet. Alles war ein gut aufgebautes Lügengebilde. Das schlimmste war, dass sie mit dem Personalchef stritt und weiterhin behauptete, bei ihm beschäftigt zu sein.

Während der nächsten Tage rief ich Gott und die Welt an und versuchte, irgendwo Hilfe zu bekommen. Dass meine Schwester diese dringend benötigte, war auch mir klar geworden. Nach sehr vielen Telefonaten und Schilderungen brachte ich Eva zum Psychosozialen Dienst. Dort sind Ärzte, aber auch Sozialarbeiter und Leute, die beim ganzen Drumherum helfen können. Das war bitter nötig, alleine hätte ich es nie geschafft, die Kündigung der Wohnung abzuwenden.

Eva schien sich zu fangen, auf die Tabletten, die sie wegen ihrer schweren Depressionen nehmen musste, sprach sie gut an, die Wohnung war wieder gangbar. Dann wurde meine Schwester schwanger. Das Kind musste per Kaiserschnitt früher geholt werden. Es hatte die Nabelschnur um den Hals und eine lebensgefährliche Bakterieninfektion. Durch die künstliche Beatmung erlitt es außerdem eine Gehirnblutung. Alexander ist heute sechs, spastisch und geistig auf dem Stand eines einjährigen Kindes.

Anfangs wohnte Eva mit dem Baby bei mir, sie fuhr täglich nach Wien, um ihre Wohnung, die mittlerweile wieder verkommen war, herzurichten und alles für das Baby vorzubereiten. Nach vier Monaten hatte sich nichts verändert und ich war fertig mit meinen Nerven. Ich hatte selbst ein Baby, Anita und den kranken Alexander, der bei mir blieb, wenn meine Schwester in Wien war.

Ich wandte mich wieder an den Psychosozialen Dienst, den Eva seit Anfang der Schwangerschaft nicht mehr besucht hatte. Der Sozialarbeiter setzte schließlich die Maschinerie in Gang. Das Jugendamt übernahm Kontrollfunktion, die Wohnung wurde in kürzester Zeit hergerichtet, die wieder einmal ausständige Miete wurde bezahlt und ein Sachwalter bestellt.

Mittlerweile bekommt meine Schwester jedmögliche Hilfe. Zweimal die Woche kommt eine Putzfrau, der Beamte vom Jugendamt ist Dauergast und die finanziellen Angelegenheiten regelt ein Notar.

Trotz allem schafft es Eva nicht, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Immer wieder rufen mich Nachbarn an, dass fremde Leute bei ihr wohnen, sie betrunken ist oder 49 Ratten frei in der Wohnung herumlaufen. Ich mobilisiere dann die notwendigen Stellen und stehe meist mit dem Wohnungsschlüssel parat. Meine Schwester ist nicht verpflichtet, die Leute in die Wohnung zu lassen, aber wenn ich dabei bin und aufsperre, leistet sie keinen Widerstand.



Mittlerweile habe ich es geschafft, emotional Abstand zu gewinnen. Ich bin bereit zu helfen, aber ich greife nicht mehr in ihr Leben ein. Ich habe gelernt, wirklich mühevoll gelernt, dass ich nicht für meine Schwester leben kann – auch wenn ich mich manchmal dabei sehr elend und hilflos fühle.