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Gudrun Schilken

Die Klofrau


Ich treffe sie immer wieder auf öffentlichen Toiletten. Es sind Frauen, die das Leben ausgespuckt hat.

Sie ist ca. 160 cm groß. Undefinierbar alt oder jung, übergewichtig. Ordentlich gewandet in einen sauberen, gebügelten weißen Kittel, der an den Taschen rosa abgesetzt ist und vorne offen steht. Darunter trägt sie eine ausgeblichene, schlabberige Stretchjeans und einen engen hellblauen Zopfmuster-Nylonpulli mit Fettröllchen unter ihrem dicken Busen. An den Füßen unauffällige Straßenschuhe oder Gesundheitslatschen aus dem Supermarkt. Das schon mehrere Leben gelebte Gesicht umrahmt von einer Frisur, die einst mit einer Dauerwelle kooperierte - mit Haaren in einer nicht festlegbaren Farbe zwischen braun und blond. Eine Haarfarbe wie vom Leben ausgeblichen.
Sie lächelt kein perlweiß aus der Werbung, sondern nikotingelb mit schiefem nicht mehr kompletten Gebiss. Aber freundlich. Und ein bisschen einfältig.
Sie freut sich, wenn du Zeit hast für ein Gespräch. Gewöhnt ist sie, dass die Leute ihr Geschäft erledigen und eiligst diesen anrüchigen Ort verlassen. Oftmals ohne das aufgestellte, kleine weiße Tellerchen durch das Hineinwerfen einer Münze zum Klingen zu bringen. Da wird dann tunlichst die Wächterin der Wasserklosetts ignoriert und wortlos an ihr vorbeigeschlichen. Die Klofrau ist lebensweise auf ihre Art und lässt den einen mit seinem schlechten Gewissen vorbeiziehen und pickt sich den anderen heraus und bittet ihn zur Kasse. Intuitiv packt sie sich den Richtigen.
Ihre Seele versucht, eine Barriere zu bauen. So schafft sich die Toilettenfrau ein Zuhause in den Katakomben. Vielleicht ist es ähnlich schäbig in ihrem wirklichen Zuhause?
In ihrem kleinen separaten Arbeitsraum zieren Kalenderblätter mit niedlichen Katzenbabys und schwarzweißgefleckten Welpen die Wände. Auf ihrem alten Küchentisch brennt eine eingebeulte maisgelbe Stumpenkerze und gibt dem ganzem Raum etwas seltsam feierlich Andächtiges. Daneben liegen ihre Zigaretten samt Einwegfeuerzeug. Die weiße Butterbrotdose mit ihrer Stulle liegt bereit. Eine alte weiße Untertasse mit einer Rose darauf dient als Aschenbecher. Nach jedem Gebrauch schüttet sie die Kippe und die Asche in den Mülleimer und reinigt das Tellerchen sorgfältig.
Es findet sich jede Menge Lektüre der Regenbogenart und ein Heftroman auf dem wackeligen Tischchen. Hier entflieht sie bunt schillernd der Wirklichkeit. Vom Klo direkt in den Palast zum Prinzen oder in die Traumvilla am Meer. Der alte gelblichweiße Küchenstuhl steht bereit für die Pausen, in denen sie die hellrosafarbene Wolle aus dem Sonderangebot verstrickt. Ein Kleinod im Keller mit denkbar mieser Luft aber einer ganz besonderen Atmosphäre. Fast so, als würde die Klofrau hier immer wohnen.
Geduldig und ein wenig schüchtern wischt sie gebeugten Hauptes mit einem Tuch nach jedem Benutzergang über die Klobrillen und von Zeit zu Zeit feudelt sie flink durch die einzelnen Toilettenkabinen.
Allein die Vorstellung, was sie manches Mal zur Reinigung vorfindet, erzeugt bei mir Brechreiz. Und wie schwierig ist es, dies allgemein verträglich zu Papier zu bringen, ohne die Grenzen des guten Geschmacks zu überschreiten. Wie leicht fällt es uns jedoch, eine öffentliche Toilette samt Klofrau zu benutzen!

Ich rede gern mit ihr und ihren Kolleginnen, wo immer ein Bedürfnis mich dazu zwingt, sie zu treffen. Es ist nur ein Geplänkel, aber manchmal erzählen sie auch aus ihrem Leben.
Wie das eine Mal, als ich auf einem Konzert war und zur Toilette musste. Begleitet von der Musik und fröhlich mitsummend machte ich mich auf den nicht länger aufschiebbaren Weg zum Toilettenwagen.
Dort stand sie, die Klofrau, und weinte. Sie erzählte mir, dass ihre Schwester, die schon so früh sterben musste, dieses Lied, das gerade gespielt wurde, sehr geliebt hatte. Und sie fuhr fort mit ihrer Erzählung: dass ihre Mutter im Pflegeheim diesen Verlust nie verkraftet hätte und deshalb so krank geworden sei. Ihr selbst ging es nach der Totgeburt ihres dritten Kindes auch schlecht. Ihre Alkoholfahne verriet mir, wie sie versuchte, ihr Schicksal zu bewältigen. Der Erzeuger ihrer Kinder war längst nicht mehr da, wo er hingehörte und pflanzte sich woanders fort. Sie hatte keine Ausbildung, keinen Schulabschluss und war froh, als Toilettenfrau arbeiten zu können. Sie wischte mit dem Handrücken ihre Tränen ab.

Hilflos und ein paar tröstende Worte beim Händewaschen zurücklassend ging ich zurück an meinen Platz. Natürlich nicht, ohne das weiße Untertellerchen zum Klingen gebracht zu haben.