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Brigitta Pucher

Es ist Epilepsie!

Wie ihr in meinem Forum-Kommentar zum NL Beitrag "Unser erstes Baby und dann...“ habt lesen können, hatte ich während meiner beiden Schwangerschaften so "komische Anfälle“.
Zwischen der ersten und der zweiten Schwangerschaft hatte ich keine. Bei der zweiten kamen sie aber wieder, viel häufiger als bei der ersten.

Nach der Geburt unseres zweiten Kindes gingen sie auch nicht mehr weg, sie wurden noch häufiger und auch heftiger.

Man machte jede mögliche und unmögliche Untersuchung an mir, ohne etwas zu finden – jedenfalls ohne mir eine Diagnose zu geben. Nichts desto Trotz gab mir der Arzt Anti-Epileptika, die ich hätte schlucken sollen.

Zwischenzeitlich war ich so verzweifelt, dass ich die Dinger schluckte, egal, wenn nur die Anfälle weg gehen würden. Aber ich bekam Nebenwirkungen schlimmster Art: Mir war alles gleichgültig.

Beispiel: Ich schaute auf die Uhr, realisierte, dass es Zeit war, unseren Sohn vom Kindergarten abzuholen. Ich ging nicht.
10 Minuten später schaute ich wieder auf die Uhr. Wau, wenn ich jetzt nicht sause, werde ich zu spät kommen. Ich ging nicht.
Weitere 10 Minuten später: Ich werde zu spät kommen. Ich ging nicht.
15 Minuten später: Die Schule rief an. "Ach tut mir leid, habe ich total vergessen.“
Dann habe ich mich gemütlichst auf den Weg gemacht, absolut keine Eile.

So gäbe es noch eine ellenlange Liste von Dingen, die ich einfach nicht mehr gemacht habe. Aufgefallen sind sie mir noch, daran gedacht habe ich auch, aber irgendwie ging der Befehl vom Gehirn nicht mehr weiter, es kam nicht mehr zur Ausführung.

Zum Glück hatte ich irgendwann einmal einen lichten Moment und realisierte das alles. Ich stellte die Medikamente ab. Klar, gegen den Willen des Arztes. Aber er wollte mir ja nie zuhören. Er zwang mich praktisch, diese Medikamente einzunehmen.

Dass es ohne Medikamente nicht gut gehen konnte, war eigentlich klar, d.h. heute wo ich weiss, dass ich Epilepsie habe, ist es mir klar. Aber damals hatte man mir das ja noch nicht gesagt. Ich war also ohne Medikamente, was für ca. 1 Monat gut ging, dann kam der grosse Anfall. Gefunden hat mich der Sohn von Freunden, der jeweils über Mittag von der Uni zu uns kam, weil es für ihn zu weit gewesen wäre, nach Hause zu gehen.

Grosse Panik, mein Mann wie gewohnt geschäftlich unterwegs, die Eltern des Studenten wie erwähnt zu weit weg. Aber er konnte sich an den Namen meiner Freundin erinnern, fand deren Telefonnummer in meinem Büchlein und rief sie an. Diese rief eine andere dazu, eine ehemalige Krankenschwester, welche dann beschloss den Arzt anzurufen.

Ha, danach "durfte“ ich endlich ein anderes Medikament nehmen. Aber der Arzt sagte mir nach wie vor nicht, ob ich denn nun Epilepsie hätte oder nicht. Teilweise dachte ich wirklich, ich gehörte in die Irrenanstalt, ich würde mir die Anfälle nur einbilden und die würden mich mit Placebo abfüttern, damit ich Ruhe gebe.

Wie dem auch sei, mit dem neuen Medikament gingen endlich die Anfälle weg. Ich lebte ein normales Leben, glücklich und zufrieden während 12 Jahren.

Bereits hier in Spanien zwischenzeitlich, kamen die Anfälle wieder. Ich hatte mich bis dahin vier Jahre lang ohne Neurologen durchgemogelt, was auch noch ein weiteres Jahr ging. Mein Gynäkologe stellte nämlich fest, dass mein Hormonhaushalt total Kopf stand, ich daher viel zu früh während meines Zykluses viel zu viel Flüssigkeit zurückhielt im Körper, natürlich auch im Gehirn. Dies drückte dann auf das Epilepsie-Zentrum und löste die Anfälle aus. Ich bekam Hormon-Tabletten und Diuretikas (wassertreibende Mittel). Damit gingen die Anfälle wieder weg – für vorerst 2 Jahre.

Es war klar, ich musste zum Neurologen. Diesen verschaffte mir der Gynäkologen, ob ich es wollte oder nicht, denn ich hatte in seiner Sprechstunde einen Anfall gehabt – kneifen galt nicht mehr.

Ich überlegte lange, ob ich meine ganzen Arztunterlagen aus USA überhaupt mitnehmen sollte. Die hielt ich ja zwischenzeitlich in Händen und was ich darin zu lesen bekommen hatte, war alles andere als erfreulich:

Das Wort "Epilepsie“ stand bereits nach dem ersten EEG drüben Schwarz auf Weiss geschrieben! Warum hatte der Arzt, der nebenbei ein sogenannter "Freund“ von uns sein wollte, mir dies nie gesagt?
Was jedoch auch drin stand: Die Patientin ist nicht bereit, zu kooperieren. Dies bezog er wohl darauf, dass ich selbständig das Medikament abgesetzt hatte, unter welchem mir alles gleichgültig wurde.
Die Patientin leide an Anorexia. Klar, ich hatte eine Schwangerschaft hinter mir, noch einige Kilos zu viel auf den Knochen, die ich nach und nach abnahm. Tja, und dazu kam noch, dass ich selbstverständlich nach amerikanischem Standard zu dürr war. (Unsere Kinder übrigens auch. Gott sei Dank dem indischen Kinderarzt, der in Paris studiert hatte!).
Schlechte Ehe, der Mann kümmere sich überhaupt nicht um seine Frau. Als unser sogenannter "Freund“ hätte er unsere Lebensumstände sehr gut kennen sollen, d.h. er wusste genau, dass mein Mann 85% seiner Zeit (nicht Arbeitszeit, Gesamt-Zeit!) geschäftlich unterwegs war, da er für ganz USA und Kanada zuständig war. Unter der Woche, wenn ich meine Arzt-Termine hatte, war mein Mann halt wirklich nie zu Hause. Am Wochenend, falls er grad mal da war, hatte der Arzt "leider“ keine Sprechstunde.

Wie dem auch sei, ich packte die Arztpapiere trotzdem ein, brachte sie hier zum Neurologen mit. Da mein Mann sich ja bekanntlich "nicht kümmert“, bzw. geschäftlich ein Mal mehr in der Weltgeschichte unterwegs war, kam meine Nachbarin mit. Die hatte schon Anfälle miterlebt. Einer musste sie ja beschreiben können. Ich konnte, bzw. kann es nicht, denn ich bin "weg vom Fenster“, wenn es passiert.

Als Erstes schaute der Neurologe die amerikanischen Papiere durch. Wenn meine Nachbarin nicht dabei gewesen wäre, hätte ich wohl an meinen spanischen Sprachkenntnissen gezweifelt, als er seine ersten Worte sagte:

"Frau Pucher, ich muss mich im Namen meiner amerikanischen Kollegen bei Ihnen entschuldigen, aber Sie sind leider bis zum heutigen Tage nicht ernst genommen worden.“

Ich habe meine Nachbarin angeschaut, um Bestätigung von ihr zu bekommen, dass ich auch wirklich richtig gehört und verstanden hatte. Als sie mir die Hand drückte, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Dieser Satz kam nach 14 Jahren der Ungewissheit...

Der Neurologe, auch wenn er natürlich sofort ein neues EEG etc. anordnete, konnte jedoch bereits auf den alten aus USA erkennen, dass es sich um Epilepsie handelte. Was jedoch noch viel beruhigender war, er erkannte auf dem total alten CAT-Scan, dass es sich um eine klitze-kleine Verletzung im Gehirn handelte.

Irgendwann einmal, als die Vermutung in USA ausgesprochen wurde, dass es sich evt. um Epilepsie handeln könnte, hatte man mir nämlich auch gleich tief unter die Haut gerieben, dass somit unsere Kinder eine 50:50 Chance hätten, auch Epilepsie zu haben. Für mich brach damals eine Welt zusammen. Was hatte ich meinen Kindern angetan? Es dauerte Jahre, bis mein Mann mich davon überzeugen konnte, es von einer anderen Warte aus zu sehen, nämlich von der objektiven, der richtigen, der seinigen:

"Hätten wir es vorher gewusst, hätten wir keine Kinder gehabt. Wir haben es aber nicht gewusst, somit haben wir Gott sei Dank diese zwei Kinder. Sie haben 50% Chancen KEINE Epilepsie zu haben. Sollte es trotzdem dazu kommen, wissen wir, was es ist. Sie werden nicht durch den Horror durchgehen müssen wie du.“

Ich war eigentlich jahrelang der Meinung, dass ich es längst so gesehen hatte. Aber als der Neurologe mir das von der Gehirnverletzung sagte, realisierte ich erst, dass mir genau in dem Moment das Matterhorn von den Schultern fiel: Eine Gehirnverletzung kann man nicht an seine Kinder weitervererben!!!

Auf die Erleichterung, dass man mich nun endlich ernst nehmen würde und dass meine Kinder keine Epilepsie haben werden meinetwegen, kam trotzdem die Ernüchterung, dass ich ja wieder Anfälle hatte und dies der eigentliche Grund meines Besuches beim Neurologen war.

Mein Körper hatte sich über die Jahre an das Medikament gewöhnt, es half nicht mehr. Ein neues musste gefunden werden. Dies sei auch ganz gut so, meinte mein Arzt, denn mein altes Medikament gehöre noch der alten Generation an. Diese Medikamente wurden durch die Leber verarbeitet, was irgendwann einmal zu einer Leberschädigung geführt habe bei den Patienten. Die Medikamente der neuen Generation würden durch die Nieren verarbeitet, was wesentlich besser sei, da man durch vieles Trinken eine Schädigung praktisch verhindern könne.

Alles klar, ran an das neue Medikament der neuen Generation! Regeln wir das Problem innerhalb von zwei, drei Arztbesuchen und die Sache ist geritzt, dachte ich.... Ha, was wusste ich damals schon? Zum Glück wusste ich nichts, aber rein gar nichts. Da ich sehr gut gelebt hatte mit meinem alten Medikament während so vielen Jahren, hatte ich ja auch keine Ahnung, dass zwischenzeitlich tonnenweise neue auf dem Markt waren. Es gibt mehr verschiedene Anti-Epileptika als es Brot-Sorten gibt.

Jeder Mensch, na ja, Epileptiker reagiert anders auf jedes Medikament. Dies sei gleich mal zu Anfang gesagt. Dann muss jedes neue Medikamente von Haus aus 3 Monate lang aufgebaut werden. Während dieser Zeit hat man einfach Schwierigkeiten damit, dessen muss man sich bewusst sein. Ob die Nebenwirkungen, sprich Schwierigkeiten dann weg gehen oder nicht, zeigt sich während der darauf folgenden 3 bis 6 Monate. In dieser Zeit zeigt sich auch, ob das Medikament die Anfälle wirklich kontrolliert oder nicht. D.h. für jedes neue Medikament gehen mindestens 6 bis 9 Monate drauf, um zu sehen, ob es klappt oder nicht.

Bei mir hat es 5 Jahre gedauert, bis ein entsprechendes Medikament gefunden wurde. Eines, welches total neu auf dem Markt war. Ich musste sogar noch warten, bis mein Arzt von einem Kongress zurück kam, bevor ich damit anfangen konnte. Aber er war überzeugt, dass es genau das Richtige sein würde für mich. Wir kannten uns zwischenzeitlich ja gut genug. Er wusste sehr genau, dass er mir reinen Wein einzuschenken hatte. Somit sagte er mir auch klipp und klar, dass der Aufbau dieses Medikamentes die pure Hölle sein werde, aber er bitte mich, durchzuhalten.

Ich war zwar noch nie in der Hölle, weiss daher nicht, wie es dort ist. Kann mir jedoch nicht vorstellen, dass es wesentlich schlimmer sein kann, als die 6 Monate Medikamenten-Aufbau meines Wunder-Medis. Geholfen hat es jedoch damals, während 9 Monaten war ich anfallsfrei – zum ersten Mal wieder in 7 Jahren!

Tja, und dann ging es wieder los, zwar nur mit wenigen Anfällen, alle 2 bis 3 Monate einen, aber trotzdem.

Im vergangenen Herbst haben mein Mann und ich dann rausgefunden, wann diese Anfälle stattfinden: Momente, wo ich über-emotional reagiere, belastet bin, sei dies nun im negativen, wie auch im positiven Sinn.

Ein Besuch beim Neurologen stand eh an. Von Ende Oktober bis Mitte Januar musste ich die Medikamenten Dosis erhöhen. Das war zwar nicht so schlimm wie damals der Anfang, aber schlimm genug – müde 24 Stunden am Tag, mehr oder weniger "weg vom Fenster“ während der ganzen Zeit. Zur Arbeit durfte ich auch nicht mehr, weil ich schon in der zweiten Woche des Aufbaus Anfälle bekommen hatte. Nun sitze ich wieder zu Hause, denn Auto fahren tue ich ja längst nicht mehr. Zum Glück sind in Spanien die Taxen erschwinglich!


Zentrale Frage: Wie lebe ich mit meiner Epilepsie?

Seit ich definitiv weiss, dass es Epilepsie ist, lebe ich gut damit. Ich habe es, es ist ein Teil von mir, Schluss, Ende. Nehmt mich, so wie ich bin oder lasst mich bleiben.

Meine Kinder, die kennen nichts anderes. Deren Mutter hatte immer Epilepsie. Heute, wo sie erwachsen sind, haben sie teilweise Angst um mich. Das macht mich traurig. Ich möchte, dass sie ihr junges Leben geniessen können, ohne auch nur einen Gedanken der Angst an ihre Mutter zu verschwenden.

Mein Mann? Der hatte bis vor 24 Jahren einen so tiefen Schlaf, dass gleich neben ihm eine Bombe hätte einschlagen können. Heute liegt er gegenüber vom PC-Zimmer hier hinter zwei verschlossenen Türen schnarchenderweise im Bett. Wenn mir ein Kugelschreiber runterfällt steht er sofort in der Tür mit Panik in den Augen: "Geht’s dir gut?“. Er wurde natürlich während der Jahre auch schon zwei- bis dreimal gerufen. Einmal als ich einen Autounfall hatte.

Er hat sich sein zukünftiges Leben am 12. Januar 1979, als er das Papier auf dem Standesamt unterschrieben hat, sicherlich NICHT so vorgestellt.

Dafür, dass er heute noch da ist, bin ich ihm sehr dankbar. Was ich noch viel mehr schätze an ihm: Trotz seiner teilweise panischen Angst, behandelt er mich nie wie eine Patientin, sondern immer wie seine gleichwertige Partnerin!

Brigitta Pucher

www.epilepsie-information.de


PS:
Ich habe komplexe fokale Anfälle, werde nicht agressiv. Meine automatischen Bewegungen beschränken sich auf "Rumfummeln“ an meiner Kleidung, an der Serviette, am Sofa, je nach dem wo ich mich gerade befinde. Meine Gesichtsfarbe wird sehr blass. Nach dem Anfall bin ich extrem müde, bin ich zu Hause, schlafe ich sofort ein. Vom Anfall weiss ich persönlich nichts.