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Der Cut

Reflektionen von Marie Theres Kroetz Relin über Beziehung und Neuanfang


Stellen Sie sich vor, Sie haben lange Haare bis zu den Hüften. Jeder bewundert Sie für Ihre Haarpracht, die sie seit Jahren pflegen. Aber Sie selbst, fühlen sich mit Ihren Locken schon seit Längerem nicht mehr wohl. Sie versuchen alles Mögliche um mit dem geliebten Haar weiterhin auszukommen. Mal stecken Sie es hoch oder tragen es offen. Trotz aller Versuche: sie können sich nicht mehr mit ihrem Spiegelbild anfreunden und kapitulieren davor. Sie fragen sich, warum Sie immer noch die süße Last mit sich herumtragen und warum Sie Angst vor einer Veränderung haben. Irgendwann sitzen Sie auf dem Stuhl und wissen, dass jetzt der entscheidende Moment folgen wird: die nassen langen Haare werden durchgekämmt... ihr Herz klopft, als sie die Schere sehen, aber sie sind entschlossen und nicken dem Friseur zu. Cut!
Nun gibt es kein Zurück mehr.

Sie betrachten Ihre neue Frisur und schreiben am Abend folgendes in Ihr Tagebuch:
„Es war längst Zeit, Ballast abzuwerfen. Immer wieder schüttle ich meinen Kopf und lasse keine Reflexion, und sei es in der Salatschüssel, unbeachtet. Es findet sich in jeder Ecke eine neue Gelegenheit: Alle paar Minuten reibe ich meinen Hinterkopf und genieße die beabsichtigte Unordnung. Dann wandert meine Hand automatisch in den Nacken und fühlt die Haut entlang des Haaransatzes. Jahrelang habe ich vollkommen meinen Hals vergessen! Der heutige Höhepunkt war es, als ich aus dem heißen Auto stieg und der warme Wind meinen frischen Bubikopf durchwühlte und ich mich vor Wonne fast fallen ließ.“

Kurz: Sie atmen gemeinsam mit Ihren Haarspitzen auf, spüren neues Leben, jagen den Alltag und die alten Gewohnheiten zum Teufel und wissen, dass Ihre Entscheidung die Richtige war.
Und Sie sind überzeugt, dass Alle ihnen zur Ihrer Lebensveränderung gratulieren werden. Aber weit gefehlt! Jedes Ihnen bekannte Gesicht begrüßt Sie mit „Oh nein!“ und „Herrje!“ oder „Deine schönen lange Haare! Wie schade! Ich dachte, Du könntest Dich nie von ihnen trennen. Warum hast Du sie denn abschneiden lassen?“ Sie reagieren charmant, wenn auch immer öfter etwas trotzig: „Weil ich mich jetzt besser fühle! Weil es mir gut geht dabei! Weil ich endlich meine Angst vor Veränderungen begraben und im wahrsten Sinne des Wortes einen Ein-Schnitt gewagt habe...“

Sicher kennen Sie die hier beschriebene Situation und verstehen auch worauf ich hinaus will: meine Trennung von meinem Mann Franz Xaver Kroetz, die letzte Woche durch die Presse ging. „Meine Frau reichte die Scheidung ein“ war zu lesen „Das Ende einer Ehe!“ schnieften die Zeitungen tränenreich. Aber warum denn so negativ, meine Herrschaften? Gratulieren Sie uns lieber zu 13 Ehe- und 18 gemeinsamen Jahren! Und das bei 24 Stunden Gemeinsamkeit am Tag! So multipliziert hätten mein Mann und ich schon längst die goldene Hochzeit gefeiert. Wie viele Paare schaffen das schon? Ernsthaft: Warum ist das „Scheitern“ einer Ehe so interessant für die Öffentlichkeit? Weil uns mit dem Bund der Ehe vorgegeben wird „bis dass der Tod euch scheidet“ und wir somit ein Versprechen nicht einhalten oder weil es einfach die Gewissheit bedeutet, dass wir alle irgendwann mal „scheitern“?

Für mich sind Beziehungen Lernzeiten. Jeder hat die Chance, sich weiterzuentwickeln. Wird diese Chance intensiv genutzt, kommt viel Bewegung in die Beziehung. Mit allen Aufs und Abs. Der Kreislauf des Lebens, selbst die Natur, die Erde ist ständig in Bewegung. Die Erdkruste reibt sich oft friedlich aneinander, aber es kann auch sein, das sich die Erdplatten ein ganz klein wenig zuviel übereinander schieben. Die Folge sind kleinere Erdbeben, die uns vielleicht wachrütteln und rufen: „Ihr braucht beide wieder mehr Raum, damit ihr euch nicht aufreibt! Geht friedlich auseinander, gebt euch mehr Luft, entwickelt euch weiter und wagt einen Neuanfang.“

Sicher, Trennung heißt Abschied nehmen. Und ich hasse Abschiede. Aber ist es nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder besser, zufriedene Eltern zuhaben, die neuen Wegen entgegen sehen, statt solchen, die sich vor dem Abschied drücken und ihren Frust zuhause ausleben.
Mir ist wichtig, nie zu vergessen, „Warum“ man sich geliebt hat. Und trägt man das im Herzen, dann wird aus Liebe Freundschaft. Und das ist genauso wertvoll, nicht wahr?

So, genug erzählt.
Ich habe versucht, Ihnen zu erklären, warum ich mich trenne und das das Gefühl dabei keineswegs negativ ist. Verstanden? Vielleicht denken Sie ja beim nächsten Friseurbesuch an mich? Auf mich wird der Friseur allerdings ein Weilchen warten müssen: ich lasse meine Haare jetzt erst mal ganz lang wachsen.