Isabelle Yogi Die Überraschung oder Der Liebestrunk Das Telefon klingelt: "Das Blumenlädle, Grüß Gott. Sind Sie daheim, ich hätte einen Strauß Rosen abzugeben.....In Ordnung, ich komm gleich vorbei." Blumen... Rosen...für mich, von wem könnten die sein? 10 Minuten später klingelt es wieder, diesmal an der Tür. Ein riesengroßer Strauß gelber Rosen, eine Verwechslung? Nein, mein Name steht darauf, ist also wirklich für mich. Ah, eine Karte ist dabei, die wird das Geheimnis lüften. Aber nein, der Name, der da steht, sagt mir nichts: "Stefano". Stefano, der Name ist ja italienisch, aber wann hatte ich zuletzt eine Begegnung mit einem Italiener ? Das muss schon mindestens über ein Jahrzehnt zurückliegen. Ich kann mich nicht erinnern. Die Neugierde packt mich, lässt mich zum Hörer greifen:" Grüß Gott, Sie haben mir eben die Blumen gebracht, können Sie mir sagen, wer Ihnen den Auftrag erteilt hat?" "Moment..., ahja, das Geld wurde aus Italien überwiesen. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen." In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Alles dreht sich, ich versuche mich zu erinnern...und plötzlich, tatsächlich, Stefano...schemenhaft beginne ich die Geschichte wieder lebendig werden zu lassen. Es war der 23.Dezember vor 14 Jahren, ich war für 4 Wochen in Italien gewesen, alleine. Ich hatte mich nach meinem Studienabschluss an der Uni selbst mit dieser Reise belohnt. Ohne festes Ziel fuhr ich durchs Land mit dem Zug. An Städten und Orten, die mich interessierten, machte ich Halt, suchte als erstes eine preiswerte Unterkunft und machte mich dann auf Entdeckungstour. Ich fuhr bis nach Kalabrien. Nach Tropea, das mitten auf einem Felsen lag und die darunter liegende Sandbucht sich dramatisch an der Steilküste ausbreitete. Und genau dort wollte ich hin, zu diesem Strand, der so friedlich dalag, menschenleer, sicherlich ganz anders als in den Sommermonaten, wie Juli und August, wenn sich hier die Touristen und Einheimischen tummeln. Der Wind schnitt mir ins Gesicht auf dem steilen Weg hinab zur Küste. Auch hier im Süden Italiens wurde es im Winter empfindlich kalt. Aber diese kühle Luft war unglaublich erfrischend und ich konnte so richtig durchatmen. Ich spürte das Prickeln auf meiner Haut und die Anstrengung in den Beinen. Der Sand war schwer, fast lehmig von der Feuchtigkeit, die er aufgesogen hatte. Einsam fühlte ich mich hier, kein Mensch war zu sehen, nur das laute Rauschen der Wellen betäubte das Gefühl des Alleinseins. Kurz vor der Abreise hatte ich mich von meinem Freund getrennt, mit welchem ich fast die ganze Studentenzeit zusammengelebt hatte. Er war eigentlich meine große Liebe gewesen und wir hatten große Pläne für die Zeit nach unserem Studium geschmiedet. Naja, heiraten wollten wir, Kinder bekommen, eine Familie gründen. Als es dann endlich soweit war, bekam ich Panik, nein, ich wollte noch keine Kinder, ich wollte erstmal noch in die Welt hinaus, alles aufsaugen, entdecken. Jetzt quälten mich wieder Zweifel: War es richtig gewesen so zu reagieren, gleich alle Brücken zu diesen gemeinsamen Plänen abzubrechen? Ich wusste es nicht. Wehmut beschlich mich bei dem Gedanken, vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Aber ich war jetzt in Italien, weit weg von allem, was mich zuhause beschäftigte und mich aus dem Gleichgewicht hätte bringen können. "Ciao cara, ist Ihnen nicht kalt? Sie sind ja schon ganz nass!" Ja, und tatsächlich die Gischt der Brandung peitschte mir regelmäßig das salzig schmeckende Wasser ins Gesicht und meine Schuhe waren durchweicht von den Wellen, die ab und zu bis zu meinen Schuhen vordrangen. Ich hatte es gar nicht bemerkt, so vertieft war ich in meinen Gedanken. Aber jetzt nahm ich wieder alles ganz bewusst war. Dieser deutschsprechende Italiener stand vor mir, sah mich mit seinen warmen weichen Augen an und legte mir eine wollene Decke über die Schultern, die eigentlich auch schon durchnässt war. Aber sie wärmte mich. Ich spürte auf Anhieb eine so unglaubliche Lebendigkeit zwischen ihm und mir. Kann er mir nicht unendlich in die Augen schauen, kann er mich nicht berühren, so dass ich die Nähe seines Körpers spüre? "Dort drüben ist meine kleine Hütte, ich mach Ihnen dort einen heißen Tee aus Rosenblättern. Der wärmt. Ich heiße übrigens Stefano und du?" Wir gingen zu der Hütte, an einem Holzofen kochte Stefano heißes Wasser auf. Dann goss er das Wasser über getrocknete gelbe Rosenblätter. Ich trank davon. Es war alles plötzlich wie in einem Traum. Es war so wunderschön, dass ich beschloss keine Fragen zu stellen. Ich wollte einfach nur genießen, jede Sekunde in mich aufsaugen, jede Minute mich lebendig fühlen. Spüren wie mein Körper bebte bei jeder Berührung. Fasziniert folgte ich mit den Augen jeder seiner Bewegungen, speicherte sie in meinem Gedächtnis ab, um später jede noch so kleine Zeiteinheit der Zärtlichkeiten erinnern zu können. Irgendwann schliefen wir unendlich erschöpft und glücklich auf dem Sofa unterhalb des Fensters ein. Unsere Körper waren ineinander verschlungen, als wollten wir uns nie mehr loslassen. Das Tosen des Meeres war das Einzige, was noch zu hören war. Am nächsten Tag, als ich erwachte stand eine brennende Kerze auf dem kleinen alten Holztisch in der Ecke des Zimmers. "Heute ist Heilig Abend. Feierst du mit mir? Nur diesen einen Abend und die darauffolgende Nacht, dann muss ich diesen Ort wieder verlassen." Ja, es war Weihnachten, tatsächlich, das Fest der Liebe. Und wenn sich zwei Menschen lieben für den Moment, den Augenblick, ist das auch die Liebe, die Gott meinte? Ich fühlte mich so bereichert und offen für alles, was kommen würde, dass hier Gott im Spiel sein musste. Zwar vielleicht anders, als man dies sonst an Weihnachten feierte, aber es war Liebe, gelebte Liebe. Ohje, solange war das her. Alles ist wieder so nah, als wäre es erst vor ein paar Tagen geschehen. Plötzlich entdecke ich zwischen den Rosen noch einen Umschlag, der mir bisher noch nicht aufgefallen war. Noch leicht betäubt von den inneren Bildern , die mir diese Geschichte aus meiner Vergangenheit noch mal erzählten, öffne ich langsam den Umschlag und lese die geschriebenen Worte: "Isabelle, lange habe ich gebraucht, dich ausfindig zu machen. All die Jahre zu Weihnachten musste ich an unsere beiden Nächte in Italien denken, die wir miteinander verbracht haben. Immer beschlich mich zu Heilig Abend diese Wehmut, nicht genau dies zu leben, wie wir es damals gelebt haben. Stattdessen besuchte ich zu Weihnachten immer mit meiner Frau und den Kindern meine Mutter in Deutschland. Wir standen unter dem Weihnachtsbaum, sangen Lieder, die Kinder öffneten die Geschenke... Aber mir fehlte etwas. Dieses unglaublich intensive Gefühl, das wir beide miteinander teilten, diese Liebe, die Gott in mir lebendig werden ließ." Liebestrunk aus getrockneten Rosenblättern: 3 EL getrocknete gelbe Rosenblätter 0,5 Liter heißes Wasser heiß und mit Honig gesüßt zu zweit trinken |
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