Elena Golfidis
Das Ausländerkind
Ich bin ein Ausländerkind. Na gut, ein halbes Ausländerkind. Bin ich das wirklich? Ich bin in München geboren. Ich spreche deutsch wie Deutsche das tun, nein noch besser, ich kann Münchnerisch. Eine aussterbende Kunst. Aber ich kann das. Trotzdem mochte mich meine Lehrerin nicht.
Ich hatte noch keine Erfahrungen mit Lehrerinnen, hatte keine Idee davon, dass ich vielleicht anders sein könnte. Denn tatsächlich, bis ich in die Schule kam, war ich einfach Elena. Nun plötzlich war ich nicht so wie alle anderen. Schon alleine dieser Name. Kein Heiligenbildchen für den Schaukasten hinten im Klassenzimmer. Für 42 Kinder gab es passende katholische Namenspatrone, nur nicht für mich. Elena ist ein Heidenname, erklärte die Lehrerin. 42 Kinder starrten mich an. Eine Heidin, der Pfarrer hatte doch gesagt, die kommen nicht in den Himmel. Wankend sah ich die Lehrerin an. Stimmt doch gar nicht, dachte ich. Das ist doch die wichtigste Heilige in Griechenland, hatte Papi jedenfalls gesagt. Es gibt keine heilige Elena, betonte die Lehrerin. Ich könne ja die heilige Helene haben. Helene pfui, hier blieb die kleine Elena stur. Alles bloß nicht Helene. So blieb ich ohne Namenspatronin. Also auch ohne deren besonderen Schutz. Die Lehrerin konnte nur ihren Kopf schütteln über so viel Verstocktheit und Unverstand. Die anderen Kinder jedoch, hatten zum abstrakten Begriff "Heide" nun eine Idee.
Wenn ich wenigstens Susi oder Andrea geheißen hätte. Mit meinen Geschwistern waren meine Eltern nachsichtiger. Die hatten wenigstens deutsch klingende Vornamen. Aber nein, Elena, dunkle Augen, dunkle Haare, griechische Nase und dann noch der Nachname. Zu viele Absonderlichkeiten um ein völlig unauffälliges Schülerinnenleben zu führen. Das impliziert zuerst einmal schlechte Noten in Deutsch. Kann gar nicht anders sein. Die sprechen doch bestimmt zu Hause kein richtiges Deutsch. Das änderte sich erst auf dem Gymnasium da wunderte man sich über meine guten Deutschkenntnisse. Außerdem gab es doch tatsächlich noch ein griechisches Mädchen. Dafür konnte ich nach eingehendem Studium des Jahresheftes leider wieder niemanden mit meinem exotischen Namen finden.
Oder diese Fragen der Mütter, wenn ich das erste Mal bei Freundinnen zu Hause war. Ja, wie kommst Du denn zu diesem ungewöhnlichen Namen, ist das italienisch? Nein, das ist griechisch. Aha, soso - Du kannst aber gut deutsch! Stimmt, ich habe eine deutsche Mama. Ach so! Und was macht dein Papa so? Der ist selbstständig (fragt die auch die anderen Mädchen was ihre Papas tun?). Ahhhh, soso und als was? Ach er ist Ingenieur und hat eine Firma. Was, eine Firma? Jetzt wurde es schwierig. Ich hatte schon keine Lust mehr zu antworten und hätte immer weiter erklären sollen. Ausländer und selbstständig, Akademiker und nicht Müllmann. Das vorgefasste Ausländerbild geriet ins Wanken. Aber bestimmt verschiebt der auch irgendwelche komischen Sachen. Das machen die doch Alle. Sind doch alles Ganoven, holen die ganze Familie illegal nach Deutschland und lassen sich erst einmal neue Zähne verpassen. Unsere Nachbarin, eine gestrenge Dame, hatte mich über die Eingenarten der Ausländer genauestens aufgeklärt. Mußte doch auch sie ständig Angst haben, daß der Grieche nebenan nicht irgendwann irgendwelche verdächtigen Typen in die respektable Münchner Vorstadtsiedlung locken könnte.
In den großen Ferien mußten wir nach Griechenland. Immer Griechenland. Klar war es am Strand wunderbar. Dort waren wir frei und ungebunden solange die Großmama nicht in der Nähe war. Sonst mußten wir deutschen Mädchen, nur die Mädchen für die Brüder galt das nicht, Benimmregeln für anständige griechische Mädchen aus guter Familie über uns ergehen lassen. Langsam dämmerte es mir, auch in Griechenland war ich anders als die Anderen. Meine griechische Familie reagierte darauf mit Nachsicht (naja, was soll man auch machen, die in Deuschland achten eben nicht auf die guten alten Werte) und nur die Großmama seufzte zuweilen und lächelte verzeihend.
Was ist Heimat, wo ist sie? Ich kann das nicht sagen. In München, in Griechenland? Wo gehöre ich wirklich hin? Ich gehöre nirgends wirklich dazu. In Deutschland bin ich die Halbgriechin und in Griechenland bin ich die Deutschgriechin. Für die Deutschen bin ich zu spontan, zu neugierig, rede zu viel, zu schnell, bin unpünktlich und wirke chaotisch. Für die Griechen bin ich viel zu kontrolliert, zu perfektionistisch, zu planend, zu organisiert eben einfach in ihren Augen sehr deutsch. In Griechenland verteidige ich leidenschaftlich die Deutschen und in Deutschland kämpfe ich fast bis aufs Blut für die Griechen. Übrigens habe ich eine Urahnin, gleichen Namens, die sich noch heute einiger Beliebtheit erfreuen kann. Sie würde berühmt, weil sie für je einen Türkenkopf ein Scheffel Silber gab. Natürlich heimlich für heimtückische Mörder. Aber das ist eine andere Geschichte. Mein deutscher Großvater war ein fechtender, schmißverzierter Vorzeigenazi, der seine SS-Uniform auch noch in seiner freien Zeit zu Hause gerne getragen hat. Der einzige Umstand, der meine deutsche Familienehre in Griechenland rettete, war die Scheidung meiner Großeltern 1943, von meiner deutschen Oma betrieben. Auch das ist eine andere Geschichte aber keine, die man in Griechenland je erwähnte.
Es hat sich seitdem viel geändert. Es ist nicht mehr so schlimm, griechisch zu sein. Es gibt weniger angesehene Staatsangehörigkeiten. Doch auch noch heute, muss ich meinen Namen buchstabieren und oft erklären woher er kommt. Das mache ich heute mit links. Nur bei den griechischen Beamten bin ich noch immer unsicher. Wie kann man auch einem Griechen erklären, dass man trotz griechischem Namen einen deutschen Pass hat?
Wenn ich an Griechenland denke, werde ich wehmütig. Manchmal überfällt es mich mit Macht. Auf einmal meine ich den leicht salzigen Geschmack nach Meer auf meinen Lippen zu spüren, den leichten Oreganoduft der wilden Küsten zu riechen. Theodorakis kann mir noch immer die Tränen in die Augen treiben - und wenn ich in Athen aus dem Flieger steige, fühle ich mich anders als meine Mitreisenden - ich bin Griechin! Für ein paar Wochen.
Einige von Elenas Beiträge auf der HFR:
Tagesablauf einer Hausfrau
Hilfe für Alleinerziehende - Projekt erleichtert Müttern den beruflichen Wiedereinstieg
Bericht einer Teilnehmerin
Jeder ist süchtig - Condrobs arbeitet fallorientiert
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