Wie Lerntherapien Kinder aufnahmefähiger machen
Wer eine Therapie braucht, hat Schmerzen, eine Störung oder Krankheit – oder? So eng darf man das bei Lerntherapien nicht sehen. Sie sind für Schüler gedacht, die ungern üben, sich schlecht konzentrieren können, Prüfungsangst, Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Rechenschwäche haben.
Und obwohl der Therapeut ein echter Fachmann ist – ein Psychologe oder Pädagoge mit Zusatzausbildung – sollten sich die Kinder dort nicht wie im Unterricht oder einer psychologischen Praxis fühlen. Sondern fröhlich und offen für Neues. Besonders auch für jene Dinge, die im Unterricht extrem schwer fallen.
,,Mathe mag ich nicht“, seufzt Josefine*, Klasse vier. Besonders hasst sie ,,die Textaufgaben“. Sechstklässler Leon kämpft eher mit dem Lesen und dem Schreiben. Und Milla aus der fünften Klasse fällt es schwer, sich zu konzentrieren. Gerade deswegen verbringen die drei einen Nachmittag pro Woche gemeinsam in München-Großhadern die Lerntherapie ,,Lern-König“ zu besuchen. Therapeutin ist die Pädagogin, Psychologin und Theaterwissenschaftlerin Birgit Häußler aus Tutzing. Und was steht bei ihr auf dem Programm? ,,Heute gibt es ein Diktat, und Josefine wird rechnen üben“, kündigt die Lerntherapeutin an. Die Kinder stöhnen. Doch Birgit Häußler sorgt schnell dafür, dass sich die Stimmung im gemütlichen Raum des Kinderhaus-Süd hebt: Sie malt eine große Lupe auf ein Blatt Papier und lässt die Schüler kreativ werden.
,,Wer braucht eine Lupe?“ fragt sie. ,,Detektive!“ -- ,,Forscher!“ -- ,,Leute, die nicht gut sehen!“ rufen Josefine, Milla und Leon durcheinander. Birgit Häußler lobt sie: ,,Richtig! Wir sind jetzt auch Detektive. Denkdetektive. Wir forschen nun einmal mit der Lupe in uns hinein und finden heraus, woran wir denken, wenn wir lernen. Und welche Gedanken uns beim Lernen helfen, welche nicht“. Die Antworten schreibt sie farbig neben die Lupe. Schnell versammeln sich auf der ,,guten“ Seite in blauer Schrift Dinge wie ,,an die letzte Stunde denken“ oder ,,Spaß und Spannung“. Auf der ,,schlechten“ Seite steht dagegen in Rot ,,ans Spielen denken“ oder auch ,,ich kann das nicht“.
Das Gefühl ,,ich kann das nicht“ umwandeln in ein ,,ich schaffe das!“ – darum geht es in allererster Linie bei Lerntherapien. Denn die Angst, nicht gut genug zu sein, betrifft laut dem Münchner Diplompsychologen Günther Hanel immer mehr Kinder: ,,Jedes zehnte Kind hat massive Lernschwierigkeiten“, schätzt er. Seiner Meinung nach sind ,,massive und frühe Reizüberflutung und ein großer Druck“ Schuld daran, dass Kinder Blockaden und Ängste entwickeln.
Und Birgit Häußler findet es verständlich, dass Lehrer Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Rechenschwäche in großen Klassen und mit dem vielen Schulstoff von heute nicht individuell fördern können. So schreiben auch schlaue Kinder schlechte Noten und beginnen, die Schule und das Üben als Last zu sehen. Die Noten werden noch schlechter – ein Teufelskreis.
Auch Josefine, die kurz vor dem Übertritt steht, Realschüler Leon und Gymnasiastin Milla sind kluge Kinder mit großem Wortschatz. Kinder, wie Lehrer sie sich wünschen. Ihnen das Lernen wieder als etwas Positives zu vermitteln, hat Birgit Häußler sich vorgenommen. Zu Beginn ihrer Zeit beim ,,Lern-König“ haben die drei einen Ordner bekommen, in dem sie Stärken, Schwächen und ihre Ziele verewigen durften. Was ihr Ziel sein soll, überlegt Milla noch – sie hat gerade erst mit der Therapie angefangen. ,,Ich kann gut Ordnung halten“, nennt sie ihre Stärke. Was sie nicht kann, ist dagegen ,,mich selbst loben“. Was hier jeder lernt: niemand ist perfekt. Aber auch: jeder kann etwas besonders gut. Und über Fehler lässt es sich doch auch prima lachen.
Lachen ist ein wichtiger Teil bei Lerntherapien. Ebenso Spielen. Dinge ausprobieren, die zuvor schwer fielen – ohne Angst davor, ausgelacht oder schlecht benotet zu werden. Es gibt eben ,,Spaß und Spannung“, die guten Gedanken, die auch neben der Lupe stehen. Stück für Stück probieren Kinder in Lerntherapien aus, was Wissenschaflter über erfolgreiches Lernen herausgefunden haben. Dass ein ordentlicher Platz, eine gewisse Struktur, häufiges Lob dazugehören, zum Beispiel. Theoretisch wissen die meisten Eltern das auch, das ist klar. Warum es trotzdem in vielen Familien nicht klappt mit dem unbelasteten und strukturierten Üben? Die Antwort der Wissenschaftler ist eindeutig: Eltern und Kinder sind sich zu nah. Das weiß fast jeder, der einmal dem eigenen oder einem Geschwisterkind Nachhilfe geben wollte.
Birgit Häußler dagegen ist weit weg genug von Josefine, Leon und Milla, dass die ihre Kritik ohne Schmollen schlucken. Die Gruppe ist bei der harten Arbeit angelangt: dem Verbessern der Leistungen in den verhassten Fächern. Sechstklässler Leon musste einen Bericht verfassen zum Thema ,,ein Unfall“. Birgit Häußler liest ihn und kommentiert sanft: ,,Nicht schlecht. Aber denk noch einmal nach. Du erwähnst da einen Beifahrer und einen Radfahrer. Wo saß denn der Beifahrer?“ -- ,,Im Auto“, meint Leon und schreibt es hin. Liest den Bericht erneut, verbessert noch etwas. Erst verschwinden die logischen, dann die Rechtschreibfehler. Milla kämpft derweil mit einem Buchstabensalat – in ihrem Übungsheft wurden Wörter mit ,,ß“ verdreht, und sie soll sie wieder ordnen. ,,Da steht ,,ßiener. Soll das etwa Nießer heißen?“ -- ,,Wie schreibst du denn Nieser?“ fragt Birgit Häußler. ,,Mit einem s. Mist!“ Milla kratzt sich am Kopf. ,,Mach doch schon mal das nächste Wort“, ermuntert die Therapeutin. Das kann Milla: ,,ßuF“ heißt natürlich ,,Fuß“. Und ,,ßoeS“ ,,Soße“. Blitzschnell löst Milla nun die meisten der Aufgaben. Schlussendlich fällt bei Milla auch in Sachen ,,ßiener“ noch der Groschen: ,,Das heißt reißen“, jubelt das Mädchen. Sie guckt zu Josefine rüber, die sich mit Rechenaufgaben quält. ,,Ich kann das“, freut sich Milla und kann der Jüngeren ein paar mathematische Tipps geben. Das Mädchen, die sich nach eigenen Angaben nicht selbst loben kann, strahlt. Und wünscht sich jetzt ein Übungsblatt ,,mit lauter Mathe, da bin ich richtig gut!“
Nach eineinviertel Stunden Rechnen, Schreiben und Denksport sind alle drei Kinder prima drauf. Von Birgit Häußler gibt’s jeweils ein dickes Lob, mündlich und auch in den Ordner hineingeschrieben. Die Kinder jubeln. Ebenfalls über die jeweils zwei Klebepunkte, die Birgit Häußler in ihre Ordner klebt. Der Lohn für viele Punkte kommt dann irgendwann von den Eltern. ,,Als ich die ersten zehn Punkte hatte, gingen wir zum Bowling“, berichtet Leon strahlend. Zu Lob und Lohn kommt aber auch noch eine Hausaufgabe. Die wird keinem wehtun: ,,Denkdetektiv“ sollen alle spielen und allen störenden wie guten Gedanken nachzuspüren, die beim Lernen so auftauchen.
Wunder, wissen die Therapeuten, kann eine Lerntherapie nicht bewirken. Ein Kind mit Rechenschwäche wird Mathe vermutlich nie lieben, aber sein Mathebuch nicht mehr mit Horror betrachten. Und ein Kind mit Lese-Rechtschreib-Schwäche wird nicht sofort Harry Potter verschlingen wollen, vielleicht aber ,,Lucky Luke“, so wie Leon. Kinder mit ausgeprägter Legasthenie und Dyskalkulie, betonen Experten, sind in Einzelsitzungen mit Diplompsychologen besser aufgehoben als in Lerngruppen, zumal solche Therapien unter Umständen vom Jugendamt finanziert werden. Lerntherapien müssen dagegen die Eltern bezahlen. 100 Euro sind es für vier Treffen im Monat. Gerechtfertigt wird der Preis durch die langjährige Ausbildung der Therapeuten, durch das vielseitige Material, das die Kinder bekommen, durch die Bereitschaft der Therapeuten, auch außerhalb der Stunden mit Lehrern und Eltern zusammenzuarbeiten. Und seriöse Lerntherapien haben, wie alle ernstzunehmenden Therapien, ein Ende. In wenigen Monaten, schätzt Birgit Häußler, werden Josefine, Milla und Leon ohne sie auskommen, ihre Lernstrategien kennen, sich selbst motivieren und selbständig üben. Die Lerntherapeutin glaubt daran, dass ihnen das ein Leben lang erhalten bleibt. Man merkt, dass Birgit Häußler die Kinder mag -- ,,aber wenn sie soweit sind, lasse ich sie gerne ziehen“.
*alle Kindernamen geändert
Kontakt: Lern-König, Waldstr. 3a, 82166 Gräfelfing, Tel. 089-8541908, www.lern-koenig.de, info@lern-koenig.de. Gruppentherapien seit 2007 münchenweit, einmal pro Woche 75 min.. Kosten: 25 Euro pro Treffen.
© Petra Plaum
User | Diskussion |
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lunka | Geschrieben am: 15.08.2008 22:28 Aktualisiert: 16.08.2008 12:23 |
![]() ![]() User seit: 19.07.2007 aus: Beiträge: 1222 |
![]() ich denke, du leistest eine sehr gute Arbeit, Petra.
Was mich jedoch ärgert, ist die Tatsache, warum man die Schüler bereits in der Schule solcher Massen hängen lässt, dass die eine Nachhilfe nötig haben. Warum wird in die Schule selbst nicht investiert, in kleinere Klassen, besser ausgebildete Lehrer, bessere Ausstattung etc.? Warum muss ich eine kostenpflichtige (sicherlich sehr gute!) Nachhilfe investieren, wenn die Schule versagt. Warum investiert da keiner direkt in die Schule? Zu meiner Schulzeit war es noch normal, dass ein Mathelehrer sich nach dem Unterricht extra Zeit für einen Schüler nahm, der das Thema nicht verstanden hatte. Wohlbemerkt, kostenlos und auf Kosten seiner Freizeit, sozusagen. Und hier wird die Qualität des Unterrichtes dermassen niedriger und niedriger gehalten, damit viele auf der Strecke bleiben und eine Nachhilfe (die ja nicht kostelos ist) nötig wird. Ich bin für Hilfe für die Schüler, wäre jedoch besser, dass es direkt durch die Schule passieren würde, d.h. bereits im Unterricht selbst. Ob das möglich ist? Ansonsten, super, dass es noch solche "Lehrer" gibt, wie dich, die einem Kind das Lernen beibringen können und seine Stärken aufzeigen. Weiter so! |
Gast | Geschrieben am: 13.08.2008 08:53 Aktualisiert: 13.08.2008 12:48 |
![]() Eine echte Lese-Rechtschreib-Schwäche bedarf einer genauen Diagnostik und einer gezielten Therapie. Da ist es nicht damit getan, das Interesse eines betroffenen Kindes zu wecken. Hier spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle, die unter Umständen auch in einer Entwicklungsstörung bedingt durch minimale Teilleistungsstörungen des Gehirns zu finden sind. Es wäre schön, wenn immer als nur eine Frage von Motivation und Engagement wäre.
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