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Texte : Ghita Cleri - It seemed to be a lover letter
Veröffentlicht von MarieTheres am 24.04.2008 11:51 (347 x gelesen)

Es ist Sonntag Abend, kurz nach Neujahr - vier Stunden im Zug von Süden nach Norden

Mir war danach, mit Deiner Feder zu schreiben, die, die Du mir an Weihnachten geschenkt hast. Stell Dir vor, ich brauche mittlerweile sogar eine Brille dazu, unbegreiflich!

Ich sitze im Zug und fahre nach Hause, zurück in das Leben, das schon seit längerem nur "meins allein" ist. Ein Leben, in das Du heute vor einem Jahr richtig eingestiegen bist.
Weißt Du, daß diese Nacht vor einem Jahr unsere erste Nacht war, das erste Mal wo Du in mir warst, wir uns gegenseitig teilten und mitteilten ....

Vor mehr als 2 Stunden haben wir uns getrennt, wie so oft an Sonntagen.
Ankunft Freitags Abends, Abfahrt Sonntag Abends.
Mal fährst Du zurück nach Süden, oder ich zurück nach Norden.
Das Los der Beziehungen über räumliche Distanzen hinweg...

Aber diesmal war es anders, mehr.
Bis heute Abend 18.51 Uhr waren wir ununterbrochen (außer der den Klo-Pausen, wie Du es auszudrücken pflegtest), 237 Stunden und 40 Minuten zusammen, also fast genau 10 Tage.
Wie ein Wimpernschlag so kurz und nicht einen Augenblick zu lang.

Ich sehe Dich vor mir, wie Du heute, unter dem linken Arm die Wäschekiste, in Deiner Wohnungstür stehen bleibst und nachdenkst.
Mit einem zärtlichen Blick bedankst Du Dich für meine Aussage, daß niemand außer Dir dieser Lächeln von mir kennt, das Du so liebst.
Weil ich niemanden andern als Dich so anlächeln kann.

Ich spüre Dich, wie Du mich an Dich drückst an der Bar im Casino.
Du warst wunderbar, sehr anziehend, so wahnsinnig männlich, souverän und auch überheblich
- eine extrem erotische Mischung.
Wenn ich jetzt und hier daran denke, dann kribbelt es auf und unter meiner Haut.
Die Art wie Du mir dann sagtest ich sähe gnadenlos schön aus, hat mich schwach und stark zugleich gemacht.
Ich hatte wahnsinnig Lust auf Dich und Alle und alles um mich herum wurde unwichtig und egal.
Dein Mund schmeckte wunderbar und verlockend.
Ich spürte Deinen Körper und hätte ihn am liebsten noch fester an mich gezogen, und Dich in mich...
Weißt Du überhaupt, wie wunderbar Du sein kannst? Und wie oft Du das mittlerweile bist?
Ich wünsche mir, mein Leben mit Dir verbringen zu können,
Deinen Kopf in meinem Schoß zu sehen und zu spüren, und Dir dann übers Haar zu streichen....

Ich dachte, ich wäre irgendwie froh, wenn ich wieder nach Hause komme - doch der Teil in mir, der sich "Gefühl" nennt, der ist einfach nur traurig.
Ich dachte auch, daß die gemeinsamen 10 Tage meine "Beziehungs-Batterien" etwas aufladen und es ein bisschen einfacher wäre, dich bis zum nächsten Treffen nicht zu sehen.
Weit gefehlt! Mein Herz tut trotzdem weh. Und mein Körper und jede seiner Zellen schreien nach Dir!

Gestern begann das neue Jahr, ein langes Jahr wenn ich an die vielen Tage ohne Dich denke;
ein phantastisches Jahr, wenn ich daran denke, daß es Dich für mich gibt.

Ich blicke um mich, es es dunkel von draußen aus der vorbeieilenden Nacht.

Die große voluminöse Frau auf dem Nachbarsitz ist endlich fort.
Neben ihr kam ich mir wirklich vor wie eine Zwergin. Sie füllte den ganzen Platz aus bis zum Vordersitz und hustete ununterbrochen. Sie war so breit, als sie den Fahrplan las, hat sie unbeabsichtigt mein Gesicht damit verdeckt.
Sie bekam schlecht Luft - und ihre Hände nicht über dem Bauch zusammen.
Die arme Frau, sie hat schwer zu tragen....

Vorhin sind viele Leute zugestiegen. Mein Nebensitz wird aber erst ab der nächsten Station wieder besetzt werden
Eben hat ein Hund gekläfft. Eigenartig-unwirklich. Ich träume oft von Hunden....

In meinem Kopf dreht es rund wie auf einem Karussell.
Ich versuche es anzuhalten, doch es gelingt mir nicht; auch nicht, abzusteigen - es dreht einfach weiter.
Dann versuche ich einen Punkt zu fixieren und der entwischt mir, trotz hartnäckigem Versuch. Immer wieder.
Und dann kommt ein anderer Punkt in mein Blickfeld, und wieder ein anderer und wieder.... und irgendwann merke ich, daß sich die Punkte stets wiederholen.
Immer die Gleichen, immer Das Gleiche.
Warum also, lasse ich es nicht bleiben?
Hat ein Karussell das stillt steht, seinen Zweck verfehlt?

Doch kein Nachbar, trotz Reservierung....

Der alte Mann vor mir mit seinem großen dunklen Siegelring am rechten Ringfinger, hat das belegte Brot seiner Frau aufgegessen und sucht jetzt, sehr gewissenhaft, das Abteil ab nach einem Abfalleimer ab.
Bei seiner Wiederkehr reicht ihm seine Frau einen Teil der "Süddeutschen", den er auch sehr gewissenhaft studiert.
Er scheint wirklich sehr gewissenhaft.
Was ist das für ein Gewissen das ihn treibt?
Habe ich auch ein Gewissen das mich treibt?
Und die drei jungen Leute vor mir, welches haben die?
Was trennt uns, welches sind die Übereinstimmungen?
Oder ist meins gar ein anderes, weil ich eine Fremde hier in diesem Land bin?

Ich fühle mich alt, wenn ich mein Spiegelbild im dunklen Fenster sehe.
Und noch älter, wenn ich mich spüre. Alt wie die Welt......
Was habe ich mit meiner Zeit gemacht? Habe ich sie gelebt, habe ich sie vergeudet?
Tropft sie an mir herunter, vorbei - ohne mich?
Wer bin ich, was bin ich?
Was kann ich? Was zeichnet mich aus? Bin ich unvergleichlich? Bin ich wichtig? Bin ich nötig?

Der alte Mann ist bei den Todesanzeigen angekommen und blättert, nach einem kurzen Blick drauf, schnell weiter.

Wer wird meine Todesanzeige bezahlen? Brauche ich eine?

Mein Mantel verliert seine Daunen. Ich finde sie wieder an meinen Pullis und meinen Hosen.
So wird er irgendwann "entdaunt" sein, mein warmer Mantel.

Woraus bestehen meine "Daunen"? Aus diesen Worten?
Werde ich auch meinen Sinn verloren haben, wenn ich "entwortet" bin?
Es ist, als wollten die Daunen aus dem Gefängnis des zu Karos abgesteppten Stoffes fliehen.
Meine Worte sind meine fliehenden Gedanken. Mal lachen sie mich aus und mal trösten sie mich.
Sie sind "mein" gewesen und doch oft fremd.
Oder waren sie mir nur geliehen?
Ich sollte lernen ihnen Form zu geben, sie so zu äußern, daß ihr Sinn, Sinn macht.
Aber ich gönne ihnen ihre Freiheit, lasse sie laufen.
Und manchmal bestrafen sie mich dafür, und ich muß einsehen, daß ich doch Verantwortung trage für das "in-Worte-fassen" meiner Gedanken.

Der alte Mann liest jetzt das "Handelsblatt". Die Wirtschaftsseiten.

Du bist in meinen Knochen, unter meiner Haut, in meinem Bauch, in meinen Gedanken, Gefühlen
- tief in mir, in meinem Leben.
Es hat sich etwas verändert in diesen 10 Tagen.
Ich frage mich nicht mehr, ob ich Dich will - das weiß ich jetzt.
Ich frage mich, wie unser Weg zueinander aussehen soll, welchen Teil davon ich gehen werde.
Ich habe es akzeptiert.
Ich habe Dich akzeptiert.
Ich habe mein Gefühl für Dich akzeptiert.

Ich werde lernen, Dich gleichzeitig lieben und hassen zu können, ohne daß dafür meine Liebe zu Dir geringer wird.

Ich fahre nach Hause - in eine Zukunft mit Dir.



© Ghita Cleri

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User Diskussion
lunka
Geschrieben am: 25.04.2008 22:21  Aktualisiert: 25.04.2008 22:38
User seit: 19.07.2007
aus:
Beiträge: 1222
 Re: Ghita Cleri - It seemed to be a lover letter
In einer langen Fahrt, mit dir, bin ich grad mitgefahren. Alle Gedanken mitgedacht, Bilder gesehen, Mitfahrende gesehen...

Über Ge-Wissen (=Mitbeobachter von mir in mir) nachgedacht.

Und über die Liebe.

Mir hat der Text sehr sehr gefallen und die lange Fahrt auch.
Blackforest
Geschrieben am: 24.04.2008 18:13  Aktualisiert: 24.04.2008 22:10
User seit: 23.10.2005
aus:
Beiträge: 1927
 Re: Ghita Cleri - It seemed to be a lover letter
Man findet keine Worte bezüglich Deinem Text. Gefühle fliegen wie Daunenfedern an meinem Auge vorbei. Zeit ist vergangen, wenn man Deinen Text ließt und spürt dabei die Vergänglichkeit, die nicht nachteilig sein muß. Es ist auch Kunst, eine Meisterwerk, was Du mit den Worten anstellst, Deine Worte sind mehr als nur ausdrucksstark.

Grüße
Wolfgang End
Subura
Geschrieben am: 24.04.2008 18:09  Aktualisiert: 24.04.2008 22:10
User seit: 27.02.2007
aus: Niederrhein
Beiträge: 7887
 Re: Ghita Cleri - It seemed to be a lover letter
Da ist es wieder, dieses "Insichselbstruhende", was so viele deiner Texte ausstrahlen ...
Warum "it seemed"? Es IST ein Liebesbrief, an IHN, an dich selbst und an das Leben - mit allen Fragen, die damit verbunden sind.
Wunderbar geschrieben, Ghita, und selbst der Titel klingt in einem nach wie eine Melodie!

... und ob Menschen verschiedener Nationalitäten verschiedene Arten von Gewissen haben? Eine interessante Frage ...



 

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