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Texte : Julia-Maria Bütow - Julias Kontakt zur Außenwelt: Goliath
Veröffentlicht von MarieTheres am 28.04.2008 12:44 (531 x gelesen)

Vor ziemlich genau zwei Jahren, um die Osterzeit herum, haben wir für unsere Kinder einen Hasen besorgt. Wir hatten genug von überzüchteten Zwergkaninchen und rotäugigen Meerschweinchen, darum holten wir von einem benachbarten Bauern einen Deutschen Riesen, der alsbald seinem Namen Goliath gerecht wurde und sich zu einem kapitalen Rammler auswuchs, der unseren Hund an Größe überragte und von den Jungs nur mühsam herumgeschleppt werden konnte.

Goliath hatte ein herrliches Hasenleben. Er wohnte mit unseren sechs Hühnern in einem Gehege, größer als so mancher Spielplatz in der Stadt; morgens öffneten wir den Zaun und ließen ihn in den großen Garten – wir haben hier sehr viel Platz- , wo er herumhüpfte, zarte Gräser mümmelte, ab und an mit den Hühnern flirtete und abends geruhsam zurück ins Gehege in seinen Hasenstall hoppelte. Manchmal machte er einen Spaziergang ums Haus herum in den Hof, mümmelte dort ein paar Gräser, schlenderte wieder zurück in den Garten…ein herrliches Leben für einen Hasen- könnte man meinen.
Letzte Woche war damit plötzlich Schluss. Als ich am Abend das Türchen zu Goliaths Behausung schließen wollte, war er nicht da. Das erste Mal seit zwei Jahren saß er nicht mümmelnd in seinem Gehege, hoppelte mir ein paar Schritte entgegen und knabberte vorsichtig an meinem Stiefel. Er war weg.
Besorgt ging ich das Grundstück ab, rief „Hasihasihasi…“, bis Regen und Dunkelheit mich nach Hause trieben. Er wird sich irgendwo vor dem Wetter untergestellt haben, tröstete ich mich. Morgen sitzt er wie immer im Garten.
Am Morgen war Goliath noch immer fort. Als die Kinder in der Schule waren, lief ich durch alle Nachbargärten, rief „Hasihasihasi…“, ohne Erfolg.
Nach dem Mittagessen wollte mein jüngster Sohn noch einmal nach Goliath suchen. Ich fürchtete mittlerweile, der Fuchs habe ihn geholt, und machte den Kindern wenig Hoffnung auf ein Wiedersehen. Obwohl, dachte ich, ein so riesenhafter Hase, der kann ja nicht einfach so vom Erdboden verschwinden. Wir begannen, die Leute im Dorf nach unserem Hasen zu fragen. Und hatten Glück. Ein kleines Mädchen wusste, „der Has´sei nimmer da, den hab der Jerome zum Tierarzt bracht.“
Der Jerome ist ein Junge aus den neuen Bundesländern, der mit seiner Familie seit einem Jahr in unserem Neubaugebiet wohnt und dem ein schrecklicher Ruf vorauseilt. Warum in aller Welt hatte dieser Knabe unseren Hasen zum Tierarzt gebracht?
Jeromes Mutter Yvette klärte uns auf. Der liebe kleine Jerome hatte den Hasen in unserem Hof gesehen und aus Gründen, die sich mir verschließen, mit nach Hause geschleppt. Yvette mochte keinen Hasen in Übergröße und rief, verantwortungsbewusste Bürgerin durch und durch, den Tierschutz unserer Kreisstadt zur Hilfe. Unser Dorf liegt gute vierzig Kilometer von der Kreisstadt entfernt, doch das konnte die Tierretter nicht schrecken. Sie fuhren umgehend mit dem Tierrettermobil zu uns ins Dorf, packten den armen Goliath in eine große Schachtel und brachten ihn in die Stadt, ins Tierheim.

Ich war gleichzeitig erleichtert und wütend, ließ mir die Telefonnummer der Tierrettung geben und rief dort an, um Entwarnung zu geben. Welch ein Glück, die Besitzer des armen Hasen, sie sind da! Sie stehen zu ihrem gigantischen Karnickel und holen es zurück nach Hause! Werden die denken. Dachte ich.
Doch so leicht wollten es mir die verantwortungsbewussten Tierretter nicht machen. Sie hatten doch nicht umsonst den weiten Weg zu uns nach Hause gemacht und Goliath vierzig Kilometer weit in Tierheim gebracht, um jetzt den armen verwaisten Hasen so mir nichts dir nichts wieder freizugeben!
Wie er den heiße, der Hase, wollte die strenge Dame vom Tierheim am Telefon als erstes wissen.
„Goliath“, sagte ich.
„Aha, also Goliath heißt er bei Ihnen“, meinte die Tierretterin und klang argwöhnisch.
„Ja, hoffentlich hat er Ihnen nicht einen anderen Namen gesagt“, scherzte ich.
Schweigen.
„Wann kann ich ihn denn abholen?“ fragte ich.
„Ich muss Sie erst mit seinem Pfleger verbinden“, sagte die Tierretterin ernst.
Ich wurde mit Goliaths Pfleger verbunden. Auch hier hielt sich die Begeisterung über das Auftauchen von Goliaths Familie in Grenzen.
Der Hase habe einen kleinen Riss am Ohr, eine Vernarbung. Wo die herkomme.
„Keine Ahnung“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Vielleicht ist er den Hühnern zu aufdringlich geworden, und eine hat ihn mal am Ohr genommen.“
Ja, da sei noch was. Es sei ihm peinlich, es mir so zu sagen, aber es müsse nun mal gesagt sein. Unser Hase sei sexuell total überreizt. Er habe dauernd eine Erektion. Dauernd.
Oh mein Gott, dachte ich.
„Er ist ein Rammler“, sagte ich. „Es ist Frühling. Vielleicht fühlt er sich ja von unseren Hühnern irgendwie animiert. Wäre doch nett“, scherzte ich, „ dann bekommen wir vielleicht ja mal Wolpertinger. Kennen Sie doch bestimmt, diese bayrischen Fabeltiere. Sehen aus wie eine Mischung aus Hase und Huhn.“
Schweigen.
Mich beschlich das erste Mal der Verdacht, es könne schwieriger werden als gedacht, Goliath nach Hause zu bekommen.
Wann ich meinen Hasen denn abholen könnte, fragte ich.
Ja, ich könne ja mal bis siebzehn Uhr vorbeikommen, zeigte Goliaths Personal Trainer sich gnädig.
Ich packte meine Söhne und unsere Tiertransportschachtel ins Auto, fuhr die vierzig Kilometer in die Kreisstadt und stellte fest, dass ich richtig ein bisschen aufgeregt war. Ärgerlich und aufgeregt.

Am Eingang stellten wir uns der Telefondame vor. Der Hase brauche noch ein bisschen, meinte sie.
„Wir waren noch nie in einem Tierheim“, sagte ich, „ meine Kinder würden sich sehr gerne mal die Tiere anschauen, wenn das geht.“
Nein, das gehe nicht, beschied uns die Tierretterin; die Tiere bräuchten auch mal ihre Ruhe, und ein Zoo sei das ja hier nicht.
Ich begann zu fürchten, dass es alles andere als leicht werden könnte, Goliath hier wieder herauszuschweißen. Die Tierfreunde schienen nicht darauf aus zu sein, ihre Schützlinge aus diesem Hort des Friedens je wieder in die böse Welt zu entlassen.

Doch nun erschien Goliaths Pflegepersonal. Der Mann, mit dem ich bereits telefoniert hatte, und seine Assistentin. Beide sahen aus wie das Klischee des Tierpflegers, sie nach Goa, er wie der Papa von Knut.
„Ich bin hier, um unseren Hasen zu holen“, sagte ich kämpferisch.
„Aha, Sie sind das“, meinte Goliaths Personal Manager und maß mich mit Blicken.
„Ich habe ihn noch einmal unserem Tierarzt vorgestellt. Er findet die sexuelle Überreizung des Hasen auch bedenklich.“
Meine Kinder machten fragende Gesichter, und ich errötete.
„Ehe ich Ihnen das Tier herausgebe“, fuhr der Tierretter fort, „ muss ich Sie erst etwas fragen.“
Ich kam mir vor wie auf der Polizeiwache.
„Haben Sie vor, den Hasen wieder zu den Hühnern zu setzen?“
„Nein“, log ich. Ich fürchtete, ich würde Goliath sonst nie wieder sehen.
„Sie bringen ihn also in Zukunft einzeln unter, damit er nicht so, entschuldigen Sie den Ausdruck, dauergeil ist“, insistierte der Ermittler in Sachen sexueller Missbrauch bei Rammlern.
„Ja“, log ich und wünschte, ich hätte die Kinder im Auto gelassen.
Jetzt fiel ihm nichts mehr zur Rettung des Hasen ein. Wir wurden zum Kleintierhaus geführt, wo Goliath in einem Meerschweinchenstall saß und mümmelte.
„Also der Riss im Ohr, den find ich schon beunruhigend“, ließ jetzt die Assistentin verlauten.
„Ich muss jetzt wirklich gehen“, sagte ich und schob Goliath in seine Transportschachtel, ehe seinem Betreuungsstab noch ein Argument gegen uns einfiel.
Ich schleppte Goliath eilig in Richtung Ausgang.
„Sie gehen dann aber noch zur Kasse, gell“, meldete sich die Assistentin noch einmal.
Ich hatte das Gefühl, gleich zu explodieren.
„Hören Sie mal“, sagte ich, „ Sie haben uns den Hasen vom Hof geholt, und jetzt soll ich dafür auch noch bezahlen?“
„Wir sind schließlich keine Tieraufbewahrung“ schnauzte die Tierretterin an der Kasse. „Wir hatten auch unsere Kosten. Sprit. Personal. Und der Hase ist schließlich auch tierärztlich untersucht worden. Sechzehn Fuffzig. Holen Sie sich´s halt bei der Frau wieder, die uns angerufen hat.“
Ich legte Sechzehn Fünfzig auf den Kassentisch und sagte, „Ich finde, Sie gehen hier sehr, sehr schlecht mit Menschen um.“
Ich packte den teuer erkauften Goliath ins Auto, erklärte meinen Söhnen, dass wir die Sechzehn Fünfzig als Spende für die armen Tiere sehen, die hier bleiben müssen, fuhr nach Hause und setzte Goliath zu den Hühnern ins Gehege. „Hasihasihasi“, sagte ich. Goliath knabberte vorsichtig an meinem Stiefel.

Am nächsten Morgen schlug ich die Zeitung auf. Das erste, was ich sah, war ein Foto von Goliath. Er saß auf dem Arm der Goa-Tierretterin, der kleine Riss am Ohr war deutlich zu sehen, und darunter war zu lesen:
„Der Osterbasar des Tierheims erzielte auch in diesem Jahr einen erfreulichen Betrag. 4100 € kamen für die Schützlinge der Tierfreunde e.V. zusammen. Es bedankt sich unser Deutscher Riese „Einstein“ mit seiner Pflegerin Doris F.“
Einstein. Während ich hier durch den Regen gewatet bin, „Hasihasihasi…“ rufend, besorgt, hatte Goliath bereits eine persönliche Pflegerin, ein Fotoshooting, einen Künstlernamen. Er hatte es beinahe geschafft.
Und ich hab ihm alles verdorben.



© Julia-Maria Bütow

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User Diskussion
Gast
Geschrieben am: 01.05.2008 11:28  Aktualisiert: 01.05.2008 13:00
 Re: Julia-Maria Bütow - Julias Kontakt zur Außenwelt: Gol...
Dieser Text ist hinreissend!
Ich würde ihn "Herz für Tiere" (Gong Verlag) anbieten.

Herzliches Dankeschön
von
Tara Hinreissend!
lunka
Geschrieben am: 01.05.2008 09:37  Aktualisiert: 01.05.2008 12:59
User seit: 19.07.2007
aus:
Beiträge: 1222
 Re: Julia-Maria Bütow - Julias Kontakt zur Außenwelt: Gol...
Du hast ihm nichts verdorben,
ich denke, der war froh, wieder bei euch zu sein.

Und dass das Tierpflegeheimpersonal ohne euer Wissen den Hasen für seine Zwecke "goborgt" hat, finde ich ehrlich gesagt etwas unverschähmt.
Gast
Geschrieben am: 29.04.2008 19:33  Aktualisiert: 29.04.2008 22:32
 Re: Julia-Maria Bütow - Julias Kontakt zur Außenwelt: Gol...
"Hat er Ihnen einen anderen Namen genannt?"

Hab mich gut amüsiert beim lesen.
Blackforest
Geschrieben am: 28.04.2008 23:24  Aktualisiert: 29.04.2008 09:42
User seit: 23.10.2005
aus:
Beiträge: 1927
 Re: Julia-Maria Bütow - Julias Kontakt zur Außenwelt: Gol...
Ja, was soll man dazu sagen!
Manchmal sind die Tiere wichtiger als Menschen, insbesondere, wenn es Menschen sind, die Menschen hassen.

Die würden wegen einem Regenwurm die Menschheit ausrotten.

Grüße
Wolfgang End
Gast
Geschrieben am: 28.04.2008 21:11  Aktualisiert: 29.04.2008 09:41
 Re: Julia-Maria Bütow - Julias Kontakt zur Außenwelt: Gol...
Erstens liebe ich diese fetten Riesenhasen; sowas will ich auch! Und zweitens hab ich mich dank dieses bissigen Untertons im Hasitext ausgesprochen ( trotz- oder wegen Goa und Vater Knut) gut unterhalten gefühlt. Solches "Zeugs" kann ich mir mit wahrer Hingabe reinziehen.
Mehr davon bitte!



 

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