Die Frage ihrer Sehnsucht: wer bin ich?
„Dies sind nun meine Abenteuer in jene Welt der „Prostitution“. Sie aus mir herauszuholen, war nicht leicht. Denn das Geschlechtsleben liegt bei uns allen unter vielen Schichten verborgen. Es gleicht einer verschleierten Frau: halb erträumt.“ beschreibt Anais Nin „Die verborgenen Früchte“.
Und über die Künstlerwelt: „Es kamen viele junge Schriftsteller zu mir. So unterschiedlich sie in ihrem Wesen auch waren, eins hatten sie gemeinsam: Sie waren arm. Verzweifelt arm. Die meisten Erotika wurden mit leeren Magen geschrieben. Durch den Hunger wird in hohem Maße die Fantasie angeregt. Für das Gedeihen der Blume Erotik eine absolut perfekte Welt.“ Hinter den Kurzgeschichten versteckt sich eine außergewöhnliche Frau: „Die Wirklichkeit beeindruckt mich nicht. Ich glaube nur an den Rausch, an Ekstase, und wenn das gewöhnliche Leben mich bremst, dann flüchte ich auf irgendeine Weise.“ Der Schlüssel dazu sind ihre Männer. Anais Nin, geboren 1903, beginnt mit 13 Jahren Tagbuch zu führen und schreibt insgesamt 150 Stück. Nur 11 davon werden zu Lebzeiten- als gereinigte Fassung- veröffentlicht, wenn auch die wichtigsten Personen ihres Lebens nicht vorkommen, wie etwa ihr Ehemann Hugh Guiler. Erst nach ihrem Tod 1977 wurden die „unbereinigten“ Tagebücher veröffentlicht. Mit dem Schriftsteller Henry Miller beginnt sie 1931 eine stürmische Beziehung, wird seine Muse, Geliebte und gibt den letzten Penny für ihn aus. „Henry, ich lebe nur dann voll, wenn ich bei Dir bin.“ Er ist für sie „Erde“, die Sinnlichkeit. „Ich gab ihm die Tiefe und er mir Bestimmtheit.“ Offiziell ist er aber nur ein „Freund“. Als ihr Ehemann die Tagebücher entdeckt, behauptet Anais, die Leidenschaft zu Miller sei nur „literarisch“ und schreibt für Ihren Mann ein „richtiges“ Tagebuch. Sie liebt und schreibt zweigleisig, rebelliert so gegen das Leben im goldenen Käfig. Sie ist besessen von Henry, liebt ihren Ehemann, verabscheut aber seine Sexualität.
Ihr großes Trauma ist es, verlassen zu werden, seit sich ihr Vater als sie 11 Jahre alt war von der Familie getrennt hat. Nach einer Affäre mit Psychoanalytiker René Allendy - „Ich wollte in ihm nur meinen Vater gewinnen, ihn zerstören und meine Macht bestätigen.“ - tritt nach 20 Jahren Abwesenheit ihr Vater, Joaquin Nin, in das Leben seiner Tochter: Sie entdeckt sich in ihrem „teuflischen Double“ wie in einem Spiegel, inklusive Schattenseiten. „Ein Inzest, geboren aus der Harmonie der Geister.“ Und der Vater bedauert: „Endlich die ideale Frau und ich kann sie nicht heiraten!“ Die Strafe folgt: „Ich war vergiftet von dieser Vereinigung.“ Aus der Besessenheit befreit sie der Psychoanalytiker Otto Rank, der nächste Liebhaber. „Früher glaubte ich, die Analyse sei der schlimmste Feind der Seele. Heute weiß ich, dass sie mich gerettet hat, sie half mir zu Geburt meines wirklichen Ich.“
Anais Nin lebte viele Freiheiten, aber sie war nicht frei. Schreiben war ihr Kampf gegen die eigene Eingrenzung und die Antwort auf die Frage ihrer Sehnsucht: Wer bin ich?
© M.Th. Kroetz Relin 27.08.06
User | Diskussion |
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maedelmama | Geschrieben am: 02.09.2006 22:03 Aktualisiert: 03.09.2006 15:01 |
![]() ![]() User seit: 23.10.2005 aus: Beiträge: 335 |
![]() Liebe Marie Theres,
ich finde deinen Text zu Anais Nins Werk sehr schön und zutreffend und kann ihre Tagebücher ebenfalls nur sehr empfehlen. So viel Sex, so viel Sinnlichkeit -- und dahinter dermaßen viel Traurigkeit und Einsamkeit... Als ich die Bücher las, mit 22, dachte ich allerdings: gar nicht schlecht, so einen braven Trottel wie Hugh daheim zu haben, der einem ein gutes Leben spendiert und ansonsten alle Freiheit lässt. Inzwischen denke ich: was für ein verschwendetes Leben, das Nebeneinander-her-Vegetieren in dieser oberflächlichen Ehe. Nachdenkliche Grüße Petra |
puenktchen | Geschrieben am: 30.08.2006 21:55 Aktualisiert: 30.08.2006 22:14 |
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![]() Liebe Marie-Theres,
Du hast noch keinen Text, weil ich mich noch nicht so ganz angenommen habe. Ich bin auf dem Weg zu mir und ich werde mich auch finden. Aber ich finde es so ganz große Klasse, daß Du meinen Kommentar gut fands, ich habe einfach das geschrieben, was ich empfunden habe. Danke Marie Theres. Annemarie |
MarieTheres | Geschrieben am: 30.08.2006 21:47 Aktualisiert: 30.08.2006 21:47 |
Webmaster ![]() ![]() User seit: 03.10.2005 aus: Bayern - Teneriffa Beiträge: 1399 |
![]() Wow, Annemarie, was für ein toller Kommentar, sehr schön beschrieben! Du solltest mal einen Text für uns schreiben.... Warum hab ich eigentlich noch keinen von Dir???
Dicken Gruß M.Th. |
puenktchen | Geschrieben am: 30.08.2006 21:07 Aktualisiert: 30.08.2006 21:42 |
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![]() Tja, das ist die Frage, wer bin ich??? Ich bin das, was das Leben, meine Kindheit, der Rest der Welt, aus mir gemacht hat. Ich bin, bevor ich mich befreit habe, dass was meine Umwelt von mir wollte. Sehr lieb, sehr angepasst, sehr darauf bedacht nur nicht anzuecken. NUR NICHT MEHR. Ich bin ich, auf der Suche nach mir, obwohl das nicht einfach und nicht schmerzlos ist.
Man sieht in die Tiefen seiner eigenen Unzulänglichkeiten. Seiner Feigheit und seiner MÖCHTE GERN GELIEBT WERDEN Seins. Man begreift einfach nicht, daß man nicht geliebt wird, wenn man angepaßt ist, man wird nicht einmal respektiert, man wird vielleicht nur als angenehm wahrgenommen. Man muß sich mit lieben Menschen ja auch nicht auseinandersetzen, sie sind ja sooooo bequem. Ich war bequem, nun nicht mehr, ich bin ich - genau das möchte ich, auch wenn es schwer fällt, so ganz langsam rüber bringen. Dabei fällt mir das/der Film/Buch ein - das Bildnis des Dorien Gray, schauderhaft, aber sehr zutreffend. LG Annemarie |