Die Bedeutung des Miteinander-Redens
Josephine Kroetz' Debutroman
Von Susan Müller
"Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich bloß in ihr zurechtfinden" - ein anspruchsvoller Titel für ein Buch, das Seite um Seite bestätigt: Der Mut zu einem so vielsagenden Satz ist gerechtfertigt, und wie absolut zutreffend er ist, wird vor den Lesern auf erzählerisch kunstvolle Art entfaltet.
Wir befinden uns in dieser „Geschichte für Scheidungskinder“ (so der Untertitel) in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das nicht nur ihres Zeitalters wegen, sondern hauptsächlich in Bezug auf die Art, wie die Menschen in ihnen leben. Eindrücklich wird genau dies geschildert; ein spannendes Unterfangen, das der Autorin Josephine Kroetz gelingt. Und wie: Dem häufigen Dilemma literarischer Werke, die auf zwei Ebenen spielen, erliegt der Roman nicht. Man muss nicht ständig geistig hin und her springen, in Sorge, den Faden zu verlieren und irgendwann die Lust, dem Ganzen noch zu folgen. Nein: Josephine Kroetz versteht es wunderbar, einerseits die Zeit im Alten Griechenland und das Heute zu teilen, aber andererseits auch verschmelzen zu lassen.
Unsere Romanheldin Lü ist eigentlich mit dem Leben in der Antike gar nicht zufrieden. Der Vater ist streng, und Frauen haben keine Rechte, sondern eine Menge an Pflichten, und Vergnügungen, wie vielleicht Theaterbesuche, sollen ihnen gleich gar nicht vergönnt sein. Was aber, wenn genau das – ins Theater zu gehen! - das junge Mädchen furchtbar reizvoll findet? Mit Phantasie und Einfallsreichtum kann sich Lü, verkleidet als junger Mann, ins Theater schleichen, nur leider kommt eines Tages der Vater dahinter. Die Strafe lässt Lü krank werden, und ihr einziger Ausweg ist Zeus, dem sie ursprünglich nur ihr Herz ausschütten will, der sie aber direkt als geeignet für eine Aufgabe im 21.Jahrhundert befindet. Und ehe Lü sich versieht, findet sie sich in dem fremden Zeitalter wieder. Sie hat Eltern, einen Bruder und eine beste Freundin. Dass sie sich erst zurechtfinden muss, schieben die Menschen an ihrer Seite auf einen Sturz mit Kopfverletzung, den sie in „dieser“ Welt gerade erlitten hatte. Mit ihrem kleinen Bruder Davinci hat sie jemanden, der sich geduldig um Erklärungen für Lü bemüht. So fängt sie an, sich im 21. Jahrhundert wohlzufühlen … denn das allerbeste ist, dass das Theater hier nicht verboten ist!! Lü kann es besuchen, wann sie will, und sie lernt dort auch noch den süßen Patrick kennen.
Leider hält die anfängliche Familienidylle dem Alltag nicht stand, ihr Vater als Lehrer versucht einem „Problemfall“ zu helfen, das geht für ihn nach hinten los und kostet ihn letztendlich seinen Job. Ihre Mutter kümmert sich um die häuslichen Belange, ihr Mann bezieht sie aber kaum ein in seinen Berufsalltag, sie wird immer unzufriedener in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Die Streitereien zwischen beiden werden häufiger, was sich auf die allgemeine Stimmung daheim überträgt. Jeder versucht für sich die Situation zu meistern. Lü hat Glück, sie bekommt für ihr Seelenheil Hilfe der Götter. Die kümmern sich darum, dass Patrick und Lü sich ineinander verlieben.
Lüs Mutter kehrt wieder in ihren Beruf als Journalistin zurück. Keine Lösung, im Gegenteil. Neue Reibungspunkte, noch mieser Stimmung. Als Lü sich ihren Kummer von der Seele schreibt, scheinen auch die Eltern zu verstehen. Sie entschließen sich zur Trennung, entdecken neue Werte, und auch miteinander können sie plötzlich wieder umgehen. Lüs Aufgabe scheint erfüllt. Und damit ist eigentlich auch klar, dass sie ins Alte Griechenland zurückkehren muss. Ihr wird immer mulmiger, denn sie möchte sich von niemandem hier trennen. Schon gar nicht von Patrick. Alles ist programmiert, meint man, aber Lü wird von dem für sie verantwortlichen Gott nicht im Stich gelassen. Als alles zu Ende scheint und ihre Aufgabe gemeistert, ermöglicht er ihr mit einem Trick das Verbleiben im 21.Jahrhundert.
Josephine Kroetz vermag es, den Leser zu fesseln und ihm bildlich die Gegensätze zweier Welten zu vermitteln. Sie schiebt die Bedeutung der Kommunikation - des Miteinander-Redens -, in den Mittelpunkt und verdeutlicht sie in den beiden, obschon so weit voneinander getrennten Epochen. Schlussendlich ist es so einleuchtend: „Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur in ihr zurechtfinden“
Josephine Kroetz:
„Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur in ihr zurechtfinden. Eine Geschichte für Scheidungskinder“
Rowohlt 2008
204 S., Euro 7,95
ISBN-13: 978-3499623264 Rezension auf LIBRIKON.de unter JUGEND LIEST
User | Diskussion |
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Blackforest | Geschrieben am: 17.04.2008 17:52 Aktualisiert: 17.04.2008 22:36 |
![]() ![]() User seit: 23.10.2005 aus: Beiträge: 1927 |
![]() Man sollte dieses Buch wirklich kaufen und lesen!
Es ist zum verschenken oder weiterempfehlen bestens geeigent! Nur, es wäre schade, wenn es nur bei dem einen Buch bliebe! Die 'Wartezeit' auf das nächste Buch werde ich mir wohl zu gestalten wissen, hoffe aber, daß die 'Wartezeit' kurz gehalten wird. Grüße Dionysos |