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Texte : Ghita Cleri - Rückblick.
Veröffentlicht von MarieTheres am 07.03.2008 10:39 (316 x gelesen)

Es ist zwei Uhr nachmittags an einem drückendheißen Sommertag.
Der kleine Ort in dem ich einige Jahre lebte und wo das Haus steht in dem ich mit meinem Ex-Ehemann lebte, ist im Grunde genommen nur eine Straße mit einigen Häusern. Von dieser Straße, die mittlerweile als Umgehungsstraße von vielen Pendlern und Lkw-Fahrern als Umweg nach Norden benutzt wird, gehen zwei Sackgassen Richtung Wald ab und eine kleinere Straße, eher ein Weg, führt in den Nachbarort, 3 km entfernt.

In einer dieser Sackgassen steht mein altes Zuhause, mitten zwischen drei weiteren Häusern von insgesamt etwa 50 im ganzen Ort.
Das Nachbarhaus gegenüber war zu Postkutschenzeit eine Poststation wo die Pferde gewechselt wurden. Unser Haus hingegen war Teil eines Gebäudekomplexes einer größeren Hofanlage. Heute ist es lang, schmal und dunkel, jedoch warmherzig und willkommen heißend. Unter Napoleon wurde es zum ersten Mal in den Grundbüchern aufgeführt, 1802.
Es war mal aus- aber nie abgebrannt, jemand hatte sich auf seinem Speicher erhängt und es stand auch schon etliche Jahre leer bevor irgendein Südländer sich seiner erbarmte, es renovierte und ausbaute. Seine alten Steine trägt es mit Stolz und Liebe – innen wie außen.

Ich gehe die Gasse runter, überquere die in der Sonntagsruhe flirrende Hauptstraße und biege ein in den Weg Richtung Nachbarort. Ich weiß, ich werde an einem alten verlassenen Bauernhof vorbeigehen dessen dunkle Fenster wie tote Augen auf mich blicken, und werde danach, wie sooft, dessen Nachbarhof bewundern der geschmack- und phantasievoll von seinen neuen Besitzern renoviert wurde. Die beiden Hunde vorm Scheuneneingang bellen kurz auf und legen schnell ihre Schnauzen wieder auf die ausgestreckten Pfoten, ihre wachen Augen schließend.
Nach ein paar Schritten bin ich raus aus dem Ort, begrüße vorher noch kurz Dustin den Dorfesel, im Schatten der Holunderbüsche. Kein IA, kein Willkommen-Nicken, nicht mal ein Aufblicken. Armer Esel, die Sonne brennt unermüdlich auf sein struppiges Fell.

Mein Blick fällt auf die Pappeln die den Bach am Ortsausgang säumen. Welch wundervolles Rauschen begleitet ihr langsames Wiegen im heißen Sommerwind.
Auf der kleinen Brücke bleibe ich stehen, schaue nach unten und sehe ab und zu nur noch ein Aufblitzen zwischen dem Grün der Büsche, dort wo ein Sonnenstrahl auf Wasser trifft.
Ein dünnes Rinnsal klebt am Grund des Baches. Ich schaue entlang der Pappelreihe und stelle fest, dass sie sein Bett säumen und damit seinen Lauf anzeigen. Heute bezeugen sie allein seine Existenz, die der trockene Sommer ihm nahm.
Diese kleine Brücke, vor einigen Jahren unter dem Murren der Dorfbewohner neu gebaut, scheint sich ihres Daseins zu schämen. Niemand wollte die alte Steinbrücke aus napoleonischen Zeiten hergeben. Die Politik war stärker, warum auch immer.
Nun lehne ich an rotem Stahlgeländer, heiß und abstoßend wirkt. Früher war der alte Brückenstein kühl und erzählte von seinen Erlebnissen und Begegnungen, nahm einen selbst darin auf und versprach die Kontinuität, die den Spaziergänger einen Augenblick lang an eine Art Unvergänglichkeit glauben lässt.

Ein paar Schritte weiter und hinter den Schatten der Pappeln drückt die Sonne heiß auf weite Maisfelder deren Wuchs immer noch klein ist und nicht viel Ernte verspricht.
Am Horizont, höher gelegen, der Ortsfriedhof. Die Biegung der Straße gibt nur den Blick auf ein rotes Dach frei; es ist die Totenhalle. Ob die wirklich nötig war, bei den wenigen Einwohnern hier?
Der Friedhof liegt mitten auf dem Feld, allein und ruhig. Nein, falsch, ruhig liegt er nicht mehr. Die Autos rasen während der Woche mit hochdrehenden Motoren daran vorbei und die Hobby-Modellflugzeugbauer lassen ihre Maschinen lautstark darüber hinwegdüsen. Warum auch nicht? Keiner der Bewohner dieses Friedhofs wird sich über den so unsäglichen Lärm beschweren, nicht einmal über die Gefahren, wenn mal eines dieser Flugzeuge mit einem Grabstein kollidiert oder irrtümlich seine Nase in die frisch gepflanzten Blumen eines Grabes bohrt.
Heute sehe ich am Himmel nur ein Segelflugzeug über den Friedhof fliegen. So still und friedlich wie der ganze Sommer-Frühnachmittag.

Ich drehe mich nach Osten, dort wo am Horizont, ganz klein, eine Allee von Bäumen die Strasse die in den Norden des Landes führt, anzeigt. Quatre-vents, so heißt sie. Vier Winde – hoch und frei gelegen durchquert sie das Land, so dass sie den Wind aus allen vier Richtungen ertragen muss. Immer wieder gab es die eine oder andere Bö die ein Auto von seinem gewollten Weg abbrachte.

Das Blöken eines Schafs bringt mich wieder dahin zurück, wo ich stehe.
Hier, vor mir in der Wiese, grasen sie, helle und wollige Schafe. Ziegen mit hängenden braunen Ohren spazieren um sie herum. Es sind Jungtiere; die alten liegen im Schatten der Pappeln. Ich „mää’e“ zurück, ob an Schaf oder Ziege gerichtet überlasse ich dem Zufall, und die Antwort lässt nicht auf sich warten. In mir wogt kurz die Illusion auf, das Tier hätte verstanden was ich mää’te. Aber dann begreife ich, dass ich nicht weiß was ich ihm angeblich zugerufen habe, habe ich doch versucht in seiner Sprache mit ihm zu kommunizieren ohne zu wissen, was ich ihm mitteile. Irgendwie pervers, oder?

Ein Cabrio fährt die Hauptstraße entlang. Ein neuer Käfer auf alt gemacht, oder ist es umgekehrt? Es ist mir egal.
Dann kommt mir in den Sinn, dass hier in diesem Land von zehn Cabrio-Fahrern, neun Männer sind. In Deutschland ist es fast umgekehrt, angeblich. Sind die Männer hier noch Machos oder gibt es dafür einen andern Grund.
Aber irgendwie ist mir das auch egal.

Plötzlich möchte ich nicht mehr weitergehen, nicht mehr über die Kuppel an den Feldern entlang zum nächstgelegenen Ort gelangen.
Will einfach nur hier und jetzt die Zeit anhalten, will immer diesen warmen Wind in meinem Nacken spüren, den Schweiß der sich in meinen Rücken sammelt, das Pochen meiner Schläfen unter der drückenden Sonne, das Singen der Pappeln im Hintergrund, der Geruch nach heißer Erde, das Blau des Himmels der sich über mir spannt, das kleine weiße Flugzeug das stumm durch die Luft gleitet – jetzt und hier sollte ein immerwährender Augenblick sein der stillsteht. Und inmitten dieses Augenblicks, das Gefühl von glücklich sein, ohne Zeit, nur im Raum; losgelöst von jeder Erwartung, und bereit zur Ewigkeit.

Ich drehe mich um. Die Hunde sind nicht mehr da, der Esel ist nicht zu erblicken.
Ich schaue kurz rüber zur Kapelle vor der Kreuzung; sie wurde renoviert. Nun erinnere ich mich, dass ich gestern, fünf Minuten vor 19 Uhr, ihr Abendläuten hörte. Diese scheppernde klagende Glocke hat alle Abende begleitet an denen ich hier zu Hause war. Sie war Anhaltspunkt zum Einschalten der Nachrichten im Radio, für das Fertigstellen des Essens oder die Erinnerung an einen Termin später am Abend. Sie unterbrach jedes Gespräch für einen kurzen Augenblick. Dann vergaß man sie genauso schnell.
Und sie war auch irgendwie ein Klang der Einsamkeit und Leere der letzten Jahre.

Es wird Zeit.
Ich gehe zurück, zurück zum Haus.
Auf seinen alten Mauern hat sich der wilde Wein festgehakt und gibt ihm ein verschmitztes Aussehen; wie ein alter griechischer Bauer dessen Wangen ein wilder Bart säumt.
Ich weiß, mein Koffer wartet in diesem alten Haus auf mich. Er ist längst gepackt. Den Teil des Hauses der mir einst gehörte, habe ich verkauft. Nun gehört das Haus meinem Ex-Mann ganz. Es war an der Zeit.
Die Vergangenheit bleibt als ein Teil von mir und ein Teil von ihm in diesem Haus. Es hat mir lange Zeit Zuflucht gewährt und wird es immer noch tun. Aber es entlässt mich nun in mein Leben.
Wenn ich es jetzt verlasse, werde ich es nicht verlassen haben. Viel von mir wird zurückbleiben, ohne dass ich das vermissen werde. Denn das was zurückbleibt ist Vergangenheit und wird als solche in seinen Mauern weiterleben. Es wird sie aufbewahren.
Wenn ich aus dem alten Haus raus trete und drauf zurückblicke, wird es mir zuzwinkern. Wir werden uns weiterhin lieben und schätzen.

Ich werde es leicht und frei verlassen.



© Ghita Cleri

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User Diskussion
lunka
Geschrieben am: 10.03.2008 19:51  Aktualisiert: 11.03.2008 20:31
User seit: 19.07.2007
aus:
Beiträge: 1222
 Re: Ghita Cleri - Rückblick.
Vielen Dank für diese schöne Reise durch die Erinnerung,

die Atmosphäre so gut beschrieben, dass ich die Landschaft, Tiere, Häuser beim Lesen vor meinen Augen sehe.
puenktchen
Geschrieben am: 09.03.2008 13:57  Aktualisiert: 09.03.2008 18:49
User seit: 24.10.2005
aus:
Beiträge: 2227
 Re: Ghita Cleri - Rückblick.
Unheimlich einfühlsam und liebevoll geschrieben, wenn man so gehen kann, dann nimmt man auch die guten Erinnerungen mit und es bleibt kein schaler Nachgeschmack.

Blackforest
Geschrieben am: 07.03.2008 17:13  Aktualisiert: 07.03.2008 22:19
User seit: 23.10.2005
aus:
Beiträge: 1927
 Re: Ghita Cleri - Rückblick.
Wenn schöne Erinnerungen wie auf einem Film vor dem geistigen Auge ablaufen, kann das letze Stadiums eines Zeitzykluses bedeuten. Etwas Altes/Vertrautes ist zu Ende. Etwas Neues/Unbekanntes beginnt.
Wichtig ist der Abschluß eines Zykluses. So kann der nächste beginnen.
Grüße
Wolfgang End



 

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