Grenzen setzen: Der Starke lobt, der Schwache schlägt
Großvater: ,,Dem gehört mal ordentlich eine auf den Hintern!“ – Vater: ,,Ich haue keine Kinder!“ – Großvater: ,,Quatsch, ihr mit eurer antiautoritären Erziehung verwöhnt die Kinder ja völlig. Uns hat der gelegentliche Klaps auch nicht geschadet.“ – Vater: ,,Mir schon, ich erinnere mich noch voller Grauen daran!“ – Großvater: ,,Wirst ja sehen, wo du so hinkommst...der tanzt dir bald auf der Nase herum!“
Zugegeben: viele junge Eltern von heute tun sich schwer damit, Grenzen zu setzen. Dabei sind diejenigen, die ihr Kind antiautoritär erziehen möchten, inzwischen wieder deutlich in der Minderzahl. Solche Bedingungen wie auf der berühmten Schule ,,Summerhill“ findet man nun mal fast nirgends vor. Und viele Eltern in den 60-er und 70-er Jahren definierten ,,antiautoritär erziehen“ sowieso falsch – sie ließen ihre Kinder einfach tun und lassen, was die wollten. Der sogenannte ,,Laissez-faire-Stil“ in der Erziehung hat orientierungs- und rücksichtslose junge Menschen hervorgebracht. Die wollen die meisten Eltern von heute auch nicht – sondern Kinder, die höflich, ehrlich, zuverlässig und rücksichtsvoll sind und Ältere achten. Doch die zu bekommen, ist alles andere als einfach...
Warum Schläge verboten sind und trotzdem passieren
Die einen der heute ca. 25- bis 40-Jährigen bekamen nie Grenzen gesetzt – die anderen pausenlos. Kein Wunder also, dass die Erziehungsberatungen der Evangelischen Kirche und der Caritas in Stuttgart viele Anfragen zum Thema ,,Grenzen setzen“ bekommen, dass Bücher und Kurse zum Thema boomen. Familientherapeutin Monika Fischer-Koch von der Psychologischen und sozialen Beratungsstelle Katharinenstraße der Caritas in Stuttgart betont, dass Grenzen für Kinder durchaus positiv sind: ,,Sie vermitteln dem Kind Klarheit über Vorstellung der Eltern. Und über Werte und Normen. Sie helfen beim Anpassen an eine Gesellschaft, die ja auch nicht immer auf die Bedürfnisse des Kindes Rücksicht nimmt.“.
Für sich klären müssen Eltern jedoch: welche Werte und Grenzen sind in unserer Familie wichtig? Schon zwischen Ehepaaren ist das schwierig. Bei getrennt lebenden Eltern funken oft noch neue Partner in die Erziehung hinein. Erziehen Großeltern mit, sollten Werte und Regeln zwischen ihnen und den Eltern frühzeitig abgesprochen werden. Warum ein Kind auch beim Opa nur eine gewisse Zeitlang fernsehen darf, welche Räume in Omas Haushalt ,,kinderfreie Zone“ sind, wann Hausaufgaben zu erledigen sind, so etwas vereinbaren alle Erziehenden am Besten miteinander.
Und wenn ein Kind nicht gehorcht? Wenn es anderen absichtlich wehtut, sich oder andere in Gefahr bringt, provoziert? Früher rieten auch christliche Erziehungsratgeber zu körperlicher Züchtigung. Heute lehnen Erziehungsexperten mit und ohne christlichem Hintergrund Schläge ab, der Gesetzgeber ebenso. ,,Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“, heißt es seit 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1631). Warum aber schlagen so viele Eltern trotzdem mal zu, auch jene, die es eigentlich nicht möchten? ,,Wer schlägt“, meint Pädagoge Franz Fischereder aus Egglkofen, Jahrgang 1930, ,,der tut es oft, weil er selbst geschlagen wurde. Und tut es in Situationen, in denen er sich selbst wieder wie ein hilfloses Kind fühlt“. -- ,,Schläge demütigen, sie beschädigen die Würde des Erziehers und des Kindes“, argumentiert Bestsellerautor Jan-Uwe Rogge, Jahrgang 1947. Dass Klapse, Hiebe, festeres Anfassen eines Kindes vorkommen, wissen beide wohl. Doch gemeinsam mit jüngeren Pädagogen und Psychologen setzen sie sich dafür ein, dass Grenzen ohne Gewalt vermittelt werden. Wem ,,die Hand ausgerutscht“ ist, der soll sich laut Jan-Uwe Rogge beim Kind entschuldigen. Und ansonsten daran arbeiten, bessere, gewaltfreie Methoden der Bestrafung zu finden.
Übrigens: viele Großmütter und Großväter betonen bekanntlich, dass ihnen ,,gelegentliche Schläge nicht geschadet“ hätten. Wer direkt nachfragt, findet heraus: die Schläge taten der Eltern-Kind-Beziehung nur dann keinen Abbruch, wenn sie nicht die Regel, sondern die Ausnahme waren. Wenn der Vater zwar mal austeilte, die meisten Tage jedoch Liebe und Nachsicht walten ließ. Regelmäßiges Prügeln und Kleinmachen, Devisen wie ,,man muss den Willen des Kindes brechen, bevor es drei ist“, schufen Menschen mit kaputten Seelen. Ärzte und Psychologen wissen ein Lied davon zu singen.
Strafen und Anreize: So akzeptieren Kinder Grenzen
Strafen, betonen Erziehungsberater, müssen manchmal sein. Doch sie sollten
im Zusammenhang zu dem Verhalten stehen, das bestraft wird (z.B. Kind stört Geschwister beim Essen – Kind muss für die Dauer des Essens ins eigene Zimmer)
beim Kind die Einsicht fördern, dass das Verhalten falsch war (z.B. Kind schmeißt absichtlich Getränk um, Kind muss beim Putzen helfen)
die Würde des Kindes respektieren – Schläge, Liebesentzug oder Anschreien tun das eben nicht
Und: Wenn Eltern Strafe androhen, sollten sie die Drohung auch wahr machen. Eine Woche Hausarrest ist z.B. für Eltern oft schwer durchzuhalten.
Das Gegengewicht zu Strafen ist Lob. Monika Fischer-Koch von der Caritas findet: ,,Auf diese Weise können Eltern ihren Kindern zeigen, worüber sie sich freuen und was ihnen wichtig ist. Diese Botschaft nehmen die Kinder auf und beziehen sie in ihre Verhaltensweisen mit ein.“ Listen, auf denen für jedes Wohlverhalten ein Smiley gemalt wird, für jedes Fehlverhalten ein Motzgesicht, machen schon Vierjährigen deutlich, welche Art von Verhalten in der Familie erwünscht ist.
Klarer Fall: angemessen Grenzen setzen fordert Gelassenheit. Mehr, als zum routinemäßigen Klaps auf die Finger nötig wäre. Mehr auch, als Eltern in manchen Momenten haben. Es wird von Erziehungsprofis längst anerkannt, dass Eltern und Großeltern Fehler machen. Die amerikanische Psychologin und Autorin Dr. Teresa Whitehurst liebt den Aufkleberspruch: ,,Bitte haben Sie Geduld mit mir, Gott hat mich noch in Arbeit!“ Trotz aller Unvollkommenheit, sagen Experten, kennen Erwachsene die Welt jedoch besser als Kinder, und diese brauchen Rat, Geleitschutz, Grenzen von Großen, die sie lieben. Gut also, dass Eltern, Großeltern und Fachleute verschiedener Generationen immer neue Alternativen zum ,,Kleinmachen“, ,,Brechen des Willens“ und zum Schlagen finden.
Buchtipps:
Annemarie Pfeifer: Erziehen mit Liebe und Konsequenz. Wie Sie im Familienleben Weichen stellen. R. Brockhaus 2007, EUR 8,95
Albert Biesinger: Kinder brauchen mehr als alles. Eine Elternschule. Schwabenverlag 2003, EUR 14,90
Jan-Uwe Rogge: Der große Erziehungsberater. Rowohlt 2005, EUR 9,95
Dr. Teresa Whitehurst: Wie würde Jesus Kinder erziehen? Praktische Ratschläge aus der Bibel. Hänssler 2004, EUR 15,95
© Petra Plaum