Talentförderung oder: wie viele Hobbys braucht das Kind?
Zwei Siebenjährige möchten sich verabreden. Und finden keinen Termin. Am Montag hat die eine Tennis, die andere Ballett. Am Dienstag sind beide im Chor. Mittwoch steht für die eine Englisch an, die andere flötet. Donnerstags ist Bastelkreis in der Gemeinde. Freitags schließlich hätte eine Zeit – doch die andere muss zur Logopädin. Die Oma, die beiden zuhört, langt sich an den Kopf. ,,Warum“, fragt sie sich, ,,sind Kinder heute so verplant?“
Da ist zum einen das verlockende Angebot. In den Werbebroschüren steht genau, warum die Eltern ihrem Nachwuchs spätestens ab Kindergartenalter Kurse gönnen sollten: ,,Je früher Kinder eine Fremdsprache lernen, desto besser beherrschen sie sie später“ -- ,,Wer im Gerätturnen richtig gut werden möchte, sollte etwa mit sechs Jahren anfangen“ -- ,, Die frühe Beschäftigung mit Musik macht klüger, ausgeglichener und leistungsfähiger“. Die miesen Ergebnisse der PISA-Studien im Ohr, die hohen Arbeitslosenzahlen im Kopf, möchten viele Eltern natürlich, dass das eigene Kind mal zu den Sprachbegabten und Leistungsfähigen gehört. Aber selbst Eltern, die die Zukunft optimistisch sehen, melden ihre Kinder irgendwann in Kursen oder Vereinen an – weil Kindern gerade in Städten die Möglichkeit zum Herumtoben fehlt und Sport erwiesenermaßen ausgleichend wirkt. Weil Einzelkinder in Kursen Freunde finden. Weil Grundschullehrer betonen, dass spätestens im Vorschulalter Sport-, Sprach- und Musikkurse wunderbar auf den Unterricht vorbereiten. Und – am Allerwichtigsten – weil Kinder ab drei oder vier in Kindergarten, Bilderbüchern und Fernsehsendungen von schönen Ballerinas, wilden Fußballern und glücklichen Musikanten erfahren und betteln: ,,Das will ich auch machen“.
Hobbys zwischen Kindergarten- und Schulzeit: Eile mit Weile
Bei Kindergartenkindern sollte gelten: alles kann, nichts muss. ,,Kleinkinder lernen am Besten durch den Alltag, durch das Beobachten der eigenen Eltern“, gibt die Erzieherin und Religionspädagogin Marianne Fackler aus Mertingen zu bedenken. Sie arbeitet seit mehr als fünf Jahrzehnten mit Kindern und findet, dass sich ,,das Umfeld zwar sehr geändert hat – Kinder konnten sich früher freier bewegen, das Leben lief oft ruhiger ab.“ Dass Kinder stille und bewegte Phasen im Alltag brauchen, ist dagegen gleich geblieben. ,,Kinder haben einen fünfmal so großen Bewegungsdrang wie Erwachsene“, weiß der Pädagoge und Märchenerzähler Franz Fischereder aus Egglkofen. Auch er ist seit einem halben Jahrhundert Pädagoge. Er erfindet u.a. Fingerspiele und Kinderlieder und ist in Kindergärten im In- und Ausland ein gefragter Referent. Sport und Musik findet er wertvoll, ein übermäßiges Verplanen kleiner Kinder dagegen ungesund. ,,Kinder brauchen Zeit ganz für sich selbst“, mahnt Fischereder. Wenn Eltern oder Großeltern Drei- bis Fünfjährige mit Kursen fördern möchten, sollten folgende Fragen an erster Stelle stehen: Bringt der Kurs mehr Freude als Hektik in unseren Alltag? Bleibt das Kind gerne im Kurs? Die meisten Kursanbieter laden zu kostenlosen Schnupperstunden ein, sodass Eltern und Kinder herausfinden können, ob man zueinander passt. Und falls das Kind bald keine Lust mehr hat? Im Kindergartenalter ist ein Abbruch des Kurses sicher die passendste Lösung.
Anders im Schulalter. Wer mit sieben oder später einen Reitkurs belegt, ein Musikinstrument lernt oder in einen Verein einsteigt, dem können Eltern durchaus vermitteln: ,,Jetzt wird zumindest eine Weile dabei geblieben“. Wie viele Kurse maximal in den Terminkalender eines Grundschulkindes gehören, dafür geben Erziehungsberater keine pauschalen Empfehlungen ab. ,,Es gibt Kinder, die brauchen viele Impulse und dann tun sie ihnen auch gut“, gibt Körpertherapeutin Kerstin Zangl-Mittelmeier aus Senden zu bedenken. Zum Schuljahresende gilt es dann zu entscheiden: noch ein Jahr? Ein anderer Kurs? Oder lieber weniger Programm?
Manchmal kommen zu den freiwilligen unfreiwillige Termine hinzu. Ergotherapie, Logopädie, Psychotherapie oder Nachhilfestunden braucht irgendwann fast jedes Kind. Großeltern finden auch diese Maßnahmen oft übertrieben. Sie sollten aber bedenken, dass Kinderärzte heute früh eine Therapie verschreiben, weil sich gezeigt hat, dass Sprach- oder Haltungsfehler sowie psychosomatische Probleme beim kleineren Kindern schneller und schmerzloser zu beheben sind. Therapien und Nachhilfestunden werden im Familienplaner am Besten so behandelt wie ein Kurs – und, sofern Zeit ist, durch anschließendes Eisessen oder eine Runde Toben auf dem Lieblingsspielplatz zum Hobby ,,veredelt“.
Und die Talente? Keine Angst vor verpassten Chancen!
Alles in allem dürfen Eltern und Großeltern aufatmen: der Trend in der Talentförderung kleiner Kinder geht wieder zurück vom ,,frühen Fördern ohne Pause“ hin zu ,,wenigen Lieblingskursen plus viel Freizeit“. Einige seltsame Förderprogramme sind auf dem Rückzug: So rieten einige Mediziner in den 90er Jahren, schon Babys im Mutterleib durch gezieltes Berieseln mit klassischer Musik und durch ,,Zeichengeben“ mit einer Taschenlampe zu ,,schulen“. Heute werden werdende Mütter davor gewarnt, ihr Ungeborenes übermäßig mit Licht oder Musik zu traktieren – beides kann den Schlaf-Wach-Rhythmus schon vor der Geburt stören. Skandale aus der Welt des Sports sowie der Zusammenbruch einiger Kinderstars aus der Medienbranche bewiesen inzwischen auch: wer zu früh zu viel gefördert wird, mag vielleicht reich und berühmt werden, zerbricht aber oft genug daran.
,,Talente bahnen sich ihren Weg“, ist der Grundtenor der Erziehungsberater, Pädagogen und Psychologen heute. Auch im Teenager- oder frühen Erwachsenenalter kann noch mancher Sport, manches Instrument, manche Sprache auf hohem Niveau erlernt werden. Dann wird das Kind vielleicht keine Primaballerina mehr, eventuell aber eine begeisterte Marathonläuferin. Oder statt Geiger begeisterter Gitarrist. Grundsätzlich gilt: für ein Hobby ist man nie zu alt. In Ballettschulen sowie auf den Fußballplatz werden vermehrt sogar Omas und Opas willkommen geheißen.
Buchtipp: Paul Suer: Mein Kind kann mehr. Selbstbewusstsein stärken und Wissen fördern. Pabel-Moewig, 2002. EUR 7,95
© Petra Plaum
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