Zwei Nachrichten haben mir diese Woche wieder deutlich die „Wegschaumentalität“ und den mittlerweile selbstverständlichen Voyeurismus demonstriert. Zum einen las ich: Vater missbraucht 15-Jährige – von Polizei ertappt.
Frage: Wie kann die Polizei ein Sexualdelikt „ertappen“? Folgendes war passiert: Ein Vater (44) machte von seiner Tochter (15) und einem Typen (33) auf einer Autobahnbrücke Nacktfotos! Die vorüberfahrende Streife überprüfte die Personalien, durchsuchte das Auto und schickte die Männer samt Tochter wieder heim. Erst im anschließend eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurde festgestellt, dass der Vater sowie der Typ (eine Internetbekanntschaft) das Mädchen mehrfach missbraucht hatten. 700 (!) pornografische Datenträger wurden sichergestellt. Interessant: Die deutsche Polizei zwingt das Opfer, mit den Tätern nach Hause zu gehen?!
Die zweite Nachricht kommt aus den USA: Ein 19-Jähriger kündigt seinen Selbstmord an und stirbt vor laufender Webcam an einer Überdosis Opiaten und Benzodiazepin. Die Internetuser sind live dabei, geben Kommentare ab. Erst nach 12 Stunden wird gehandelt, und als die Polizei eintrifft, ist der Junge tot und die Familie fassungslos.
Wie singt Hans Söllner in einem seiner sozial-kritischen Lieder:
Aber für uns war das ein Tag wie jeder andere / wir sind aufg’standen um sieben in der Früh / wir haben uns g’waschen, gekämmt und die Zähn’ haben wir uns putzt / und dann sind wir in die Arbeit marschiert ...
© Marie Theres Kroetz Relin, erschienen in Die Aktuelle Heft 49
User | Diskussion |
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puenktchen | Geschrieben am: 04.12.2008 13:36 Aktualisiert: 05.12.2008 13:09 |
![]() ![]() User seit: 24.10.2005 aus: Beiträge: 2227 |
![]() Manche schauen weg, weil es sie nicht interessiert und sie in nichts hineingezogen werden wollen, andere, weil sie Angst haben.
Die Zeit ist brutal geworden, man kann nicht einfach nur so einschreiten, aber man kann die Polizei rufen, das wäre ein Ansatz. Fast jeder hat heute ein Handy, also wäre ein Anruf doch auf jeden Fall möglich. Ob ich persönlich einschreiten würde, könnte ich so jetzt nicht sagen, aber auf jeden Fall würde ich die Polizei verständigen, es käme sicher auf die Situation an. Wenn etwas passiert, dann treten die Täter meist in einer Gruppe auf, das Opfer ist fast immer alleine. Was, bitte schön, sollte dann noch eine einsame Person ausrichten, sicher nichts, aber wie gesagt, Polizei verständigen, das wäre realistisch, alles andere sind Tagträume. Als Einzelperson hat man keine Chance gegen gewaltätige Personen, das sollte einem schon klar sein. |
lunka | Geschrieben am: 03.12.2008 13:16 Aktualisiert: 03.12.2008 13:48 |
![]() ![]() User seit: 19.07.2007 aus: Beiträge: 1222 |
![]() solange Menschen keine Gedanken lesen können, können die ja auch nicht wissen, was in der Entfernung passiert.
Und nicht jeder ist gleich, der eine schaut hin, der andere schaut weg. Gegenüber dem Mittelalter (öffentliche Hinrichtung) haben wir uns doch als Menschheit entwickelt oder nur TV und Internet erfunden, um sowas da anzuschaen? Bitte es da "oben" als Plus-Punkt auffassen ![]() Ich bin so naiv zu denken, dass Menschheit an sich doch die "Güte" angeboren trägt von Natur aus und dass das alles nicht bloß Kultur ist. Jeder bekommt mit dem Leben eine Chance, sich zu bessern, zu entwickeln, was zu begreifen. Dank deiner Texte, MTh, denke auch ich, Otto-Normal-Verbrauchen darüber nach und erinnere mich, wozu ich überhaupt als Mensch auf der Erde bin. Guckt mal, bei der Polizei, es ist doch gut, dass die anderen Kollegen überhaupt was gemerkt hatten, obwohl spät. (wie die sich ärgern werden, wenn der Täter wieder mal nur Bewährung bekommt). Zum Internet-Usern, es erinnert mich an diesen Film irgendwie. Weiß auch nicht, warum so spät reagiert wurde. ??? Angst, mal eben Polizei anzurufen? Oder Gedanken, wo hat er denn Opiate her und dass man mich persönlich damit nicht in Zusammenhang bringt oder einfach das Denken: der blüfft nur, aber was für ein Theaterstück. Ich will hiermit niemanden in Schutz nehmen, nur spekulieren, wieso weshalb warum. Aber auch ich bin fassungslos, für mich war und ist das ein Tag wie jeder andere. Wie kann ich sowas verhindern? Verantworung zu lernen und zu lehren und Gedanken lesen lernen (und nicht nur lernen, sondern noch beeinflussen. Dann noch aufpassen, dass ich da selbst nicht durchdrehe)...mehr fällt mir momentan nicht ein. |
Gast | Geschrieben am: 01.12.2008 08:03 Aktualisiert: 01.12.2008 10:50 |
![]() Wir schauen weg, weil wir kein wirkliches Interesse mehr an unseren Mitmenschen haben, gleichzeitig schauen wir aber hin, weil wir grenzenlos neugierig sind und uns am Elend der anderen Menschen weiden. Wir sind Menschen, die hochentwickeltsten Lebewesen auf unserem Planeten. Oder sind wir vielleicht doch nur ein Fehler in der Evolution? Kein Tier würde zum Spaß töten, nur um zu überleben. Wir sind destruktiv und bestialisch. Das hat sich im Laufe der Geschichte auf vielen Schlachtfeldern bewiesen. Der Mensch als Krone der Schöpfung? Das zu glauben, fällt mir immer schwerer. Menschen haben zwei Seiten – eine bösartig tierische und eine gute kultivierte. Aber wir Menschen neigen zu Selbstüberschätzung. Ähnlich wie Goethes Zauberlehrling werden wir die Geister, die wir gerufen haben, nicht mehr unter Kontrolle bringen können. Ich bezweifle, dass wir unsere existentiellen Probleme in den Griff bekommen werden. Unser globaler Lebensstiel lässt die Solidarität unter einander verschwinden, wir werden uns immer stärker oberflächlicher Zerstreuung widmen und dem „Mammon“ hinterher rennen. Solange, bis wir uns letztendlich selbst zerstören.
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ghic | Geschrieben am: 30.11.2008 14:41 Aktualisiert: 30.11.2008 23:01 |
![]() ![]() User seit: 18.01.2008 aus: Braunschweig Beiträge: 124 |
![]() Marie-Theres,
wenn ich zu deinen Worten noch etwas hinzufügen wollte, ich könnte es nicht. Ich würde weinen über mich und über all das was unmöglicherweise doch möglich ist. Was soll ich tun - wegschauen von den Nachrichten oder hinschauen, leiden, mitleiden oder wenigstens mitfühlen? Was kann ich ändern, frage ich mich, wenn ich das lese? Wer ändert was? Oder ist das alles einfach nur deshalb möglich weil wir Menschen sind und das Menschsein, das im Guten wohlgemerkt, vielen Menschen zuviel wird. Weil das Menschsein im weniger Guten doch leichter ist. Leichter, weil keine Verantwortung dazu gehört. Ja, Marie-Theres, jetzt weiß ich es, warum ich weinen würde, danke. Es ist die fehlende Verantwortung seinem Mitmenschen gegenüber, das Viele auszeichnet. Sollte ich mich davon ausnehmen - nein, so vermessen bin ich nicht. Jedoch zeichnet es die Gesellschaft aus in der wir leben. Es gibt keine Tiefe mehr, denn es ist leichter sich zu messen an der Oberflächlichkeit die uns vor allem die Medien (die wir ja auch geschaffen haben) vorgaukeln. Die Geister die wir riefen.....?! Ich weiß es nicht, weiß nur, dass der schwerere Weg der Verantwortung im Nachhinein der erfüllendere ist. Aber wer nimmt sich dafür noch die Zeit in einer Zeit der Eile? Heute ist der Erste Advent. Das ist die Zeit des Wartens. Vielleicht lernen wir daraus, dass die Zeit die man sich nimmt zum hinschauen, zum hinsehen, zum agieren und reagieren, zum zuhören und zum mitfühlen, zum verantwortlich sein sich selbst gegenüber und allen Menschen denen man begegnet, am Ende die schönsten und nahrhaftesten Früchte trägt. Ich werde jetzt die Kerzen anzünden, ich freue mich darauf. Ich freue mich darüber, dass es Menschen gibt so wie du, die mich mit ihren Worten aufrütteln wenn mich die Bequemlichkeit zu überrollen droht. Danke. PS. Schau, Marie-Theres, nun habe ich zu deinen Worten doch noch soviele eigene hinzugefügt. |
Brigitta-B | Geschrieben am: 30.11.2008 12:35 Aktualisiert: 30.11.2008 23:03 |
![]() ![]() User seit: 23.10.2005 aus: Beiträge: 4761 |
![]() Ein missbrauchtes Mädchen, ein selbst getöteter Bursche sind eben nicht spektakulär ... ein Flugzeugabsturz, bei dem über 200 Menschen sterben, ha, das gibt wenigstens ne g'scheite Schlagzeile her, darüber lohnt es sich zu schreiben!
So abgedroschen ist nun mal die Menschheit ![]() ![]() Brigitta-Barcelona |
Blackforest | Geschrieben am: 30.11.2008 11:03 Aktualisiert: 30.11.2008 23:03 |
![]() ![]() User seit: 23.10.2005 aus: Beiträge: 1927 |
![]() Das ist keine Wegschaumentalität sondern eine Zuschaumentalität.
Auch die Realität ist nur noch Fernsehen im XXX-Format mit Livegerüche! Grüße Wolfgang End |
Gast | Geschrieben am: 30.11.2008 01:10 Aktualisiert: 30.11.2008 23:02 |
![]() Ich wette der junge Mann hatte 123 Pixel-Freunde auf seiner social network website gelistet.
Zur Wegschaumentalität...vor Monaten schaute ein dreifacher Vater früh morgens in Melbourne nicht weg - die Kinder wachsen jetzt vaterlos auf. Eiskalt erschossen worden, der Mann. Der holländische Backpacker, der auch eingegriffen hatte, hat nur deshalb überlebt, weil es sich in der Innenstadt zugetragen hatte und das Krankenhaus ganz in der Nähe war. Zum deutschen Vorfall ![]() |
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