Mein Weg geht an den Steinen vorbei. Nein, kein steiniger Weg, ein Weg der von Beständigkeit zeugt.
Beständigkeit – welch altmodisches Wort.
Wer will das in dieser Zeit des unaufhörlichen Wandels?
Ich sehe mir die Wege an, dunkel, weich, der Boden federnd.
Dort steht ein Baumrad. Eigenartiges Ding. Kimme und Korn für Bäume. Zum orientieren. Ob Blutbuche, Rosskastanie, Eberesche, Winterlinde, das Baumrad zeigt den Weg zu Ihnen durch das lichte halbhohe Gestrüpp.
Ich lege mein Kinn auf das Rad, drehe es mit dem Pfeil auf die Blutbuche und mit dem Blick über die Kimme erblicke ich einen großen wunderschönen Baum den ich vielleicht nur mit dem Augen gestreift hätte, wenn ich meine Blicke in diese Ecke gelenkt hätte.
Hätte, hätte, hätte, hätte.
Ein Leben voller „hättes“.
Warum gab es damals kein Lebensrad das mir zeigte, wohin ich meine Blicke, meine Schritte hätte lenken können, als ich noch mit viel Zeitgepäck hindurchschritt?
Warum konnte ich nicht wählen was meine Träume waren, anvisieren und mit dem richtigen Griff wäre ich zu ihnen hingeleitet worden?
Doch, konnte ich jemals meine Träume benennen? Habe ich gewusst was ich wollte und mehr noch, gewusst was ich brauchte?
Weiß ich es heute denn überhaupt?
Ja, einiges ist klarer geworden, doch durch die verstrichene Zeit auch unerreichbarer.
Ein Blick nach hinten zurück in gelebtes Leben und ich entdecke Steppe, vertrocknete Ebenen und verdorrtes Gras, manchmal ein grünes Feld, vereinzelte Blumen, ein Beet mit dornigen Rosen und dichtem Gestrüpp vor den Früchten die meist mager waren.
Kein weicher Waldboden, keine beständigen Steine am Wegrand, keine Lichtung, keine Blumen.
Es ist Vergangenheit, in meiner Erinnerung schön oder weniger angenehm.
Es ist gelebt.
Heute, am Rande dieses neuntausendjährigen und von mir so geliebten Hochmoor-Dowesees wurde mir klar, dass ich wie die Libelle bin über seinem Wasserspiegel. Ich komme, ich schwirre, ich gehe und bin vergessen. Vor mir gab es dieser Libellen viele, nach mir wird es deren viele geben.
Welch ein Trost.
Mein Flügelschlag ist meine Ewigkeit - und doch nur ein kleiner Flügelschlag innerhalb der Ewigkeit.
Heut schien die Sonne, die kleinen Wolkenfetzen schmeichelten dem blauen Himmel über mir, es war warm, die Blumen dufteten, das Gras war dicht und kühl unter meinen Zehen, der Duft meiner Haut erinnerte mich an Unvergänglichkeit und Liebe.
Es war ein glücklicher Tag.
Glück – an einem kleinen Frühlingstag an einem einfachen Sonntag im Mai.
© Ghita Cleri
User | Diskussion |
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manati | Geschrieben am: 16.06.2009 12:28 Aktualisiert: 16.06.2009 20:24 |
![]() ![]() User seit: 01.10.2006 aus: dem Ländle Beiträge: 4705 |
![]() Ghita, Du triffst hier mal wieder - wie immer - den Nagel auf den Kopf und das verpackt in einem wunderschönen Beispiel. Ich kann es förmlich riechen...
![]() @Lunka "was wäre wenn" nennt man tagträumen, oder auch spekulieren, aber doch nicht die Zukunft analysieren. Und "hätte ich" ist eindeutig Vergangenheit, um welche es in diesem Text ja schließlich geht. |
lunka | Geschrieben am: 15.06.2009 10:10 Aktualisiert: 15.06.2009 15:07 |
![]() ![]() User seit: 19.07.2007 aus: Beiträge: 1222 |
![]() @Helgamaus
und was ist dann dieses "was wäre wenn", "hätte ich"? Das ist doch die Zukunft analysieren ![]() |
Gast | Geschrieben am: 12.06.2009 08:52 Aktualisiert: 13.06.2009 15:16 |
![]() Wieder einer deiner tollen Texte danke ghita.
@ lunka, die Zukunft kann man nicht analysieren (Besserwissermodus aus) ![]() ![]() |
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lunka | Geschrieben am: 11.06.2009 23:39 Aktualisiert: 12.06.2009 00:36 |
![]() ![]() User seit: 19.07.2007 aus: Beiträge: 1222 |
![]() Hinterher weiß man immer mehr
![]() die Vergangenheit analysiert sich leichter als Zukunft und Gegenwart (die obendrauf gleichzeitig noch Vergangenheit und Zukunft ist, man!) Das Erlebte bleibt gespeichert (glückliche Momente hoffentlich lange Zeit bewusst und abrufbar), über das was kommt, kann man träumen, und ein echtes Kunststück ist das, was ich grad erlebe, zu geniessen und im Moment Glück zu empfinden. Muss man wahrscheinlich ein leben lang lernen, dieses Kunststück, um zwischen Vergangenheit und Zukunft zu balancieren (oder wie eine Libelle fliegen). Danke Ghita, super Text!!!! |