Werde ich im Alter einsamer? Das ist eine gute Frage. Zumindest wird man religiöser. Als junger Mensch lernte ich das halbe Dorf kennen. Über den Kindergarten, dann Schule und auch über Freunde kannte ich fast jeden.
Weil mir die kleine Welt auf den Kopf fiel, zog ich weg.
Ich lernte noch mehr Menschen kennen. Es starben in dieser Zeit auch viele Menschen, die ich kannte.
Aber bis zu einem gewissem Alter macht man sich keine Gedanken. Es sind die Alten die sterben. Manchmal auch junge. Sei es durch Krankheit oder Unfall. Man bedauert, aber das Leben geht ja weiter.
Irgendwann bin ich selbst in so einem Alter angelangt, wo viele die ich kannte, in meinem Alter, gestorben sind. Es gibt sehr viele junge Menschen in meinem Dorf, die ich nicht kenne. Es sind Kinder von Freunden und Bekannten, die inzwischen auch Kinder haben. Wie soll ich die auch kennen, wenn man so lange vom Dorf weg war. Aber daran sehe ich auch, dass ich alt geworden bin.
Gerne blicke ich zurück. Wie schön es war, mit 3 Jahren auf einem Dreirad durch die Gegend zu strampeln. Die alten Schwarz-Weiß-Fotos - der kleine Kerl soll ich sein?
Dann ein Foto mit der Schultüte in der Hand und meine Erinnerung an den ersten Sechser im Zeugnis. Da war was los zu Hause. Die Pubertät, die Wandlung vom Kind zum Mann war ein Kampf und meine erste Freundin ein Gedicht.
So wie ich gerne zurückblicke, schaue ich auch nach vorne. Soll es mit 80 Jahren zu Ende sein? Werde ich dann noch zehn Jahre leben oder werde ich das 100ste überschreiten? Ist das Leben dort wirklich zu Ende? Wenn ich schlafe, wache ich zur Sicherheit manchmal auf. Wenn es im Knie juckt, dann weiß ich, dass ich noch lebe und nochmal einschlafen kann. Merke ich, wenn ich zum letzten Mal eingeschlafen bin?
Wie merke ich, dass ich tot bin? Woran kann ich das erkennen?
Kann mir jemand einen Rat geben? Wahrscheinlich nicht, weil die bereits tot sind!
Aber das Leben geht weiter, wird behauptet. In jeder Religion geht es nach dem Tod weiter. Man muss scheinbar nur die richtige Religion finden!
Aber was ist, wenn man wieder auf die Welt kommt? Vielleicht dann als Mädchen, in einem ganz anderem Ort? Viele neue Gesichter schauen in die Wiege, in der man liegt. Das vorherige Leben vergessen! Aber da ist Mami und Papi und viele neue Gesichter, die ich nicht kenne. Sie werden mir als Tanten und Onkel vorgestellt. Man klatscht Beifall, als ich zum ersten Mal laufe. Mami tanzt vor lauter Freude im Kreis, als ich zum ersten Mal Mami sage.
Ich weiß, meine Gedanken wirken nicht real, eher verrückt, aber ich täte es mir wünschen, wenn dies wahr wäre.
Was glaubst Du, wie der Mensch mit seiner Erde umgehen würde, wenn er wüsste, dass er wieder irgendwo geboren würde. Heute ist er Millionär und im nächsten Leben erwacht er in einem armen indischen Dorf, wo Hunger und Krankheit herrschen. Er müsste seinen Gen-Reis essen. Er würde in die Welt wieder geboren, die er so erbärmlich behandelt hat. Würde er weiterhin in den Krieg ziehen, wenn er wüsste, dass er auf seine Schwestern und Brüder schießt? Würden Mütter noch abtreiben wollen? Ich glaube, da wäre vieles anders, wenn der Mensch wüsste, dass er wieder käme.
© Wolfgang End
User | Diskussion |
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Subura | Geschrieben am: 08.12.2007 23:43 Aktualisiert: 09.12.2007 02:11 |
![]() ![]() User seit: 27.02.2007 aus: Niederrhein Beiträge: 7887 |
![]() Klasse, diese Vorstellung, dass wir wiedergeboren werden könnten, um den Mist, den wir im vorangegangenen Leben gebaut haben, auszubaden ...
Vielleicht solltest du deinen Text als Warnung an alle Politker und Wirtschaftsbosse schicken? ![]() |
puenktchen | Geschrieben am: 07.12.2007 23:20 Aktualisiert: 08.12.2007 13:00 |
![]() ![]() User seit: 24.10.2005 aus: Beiträge: 2227 |
![]() Würde der Mensch sich wirklich ändern, wenn er wüßte, dass er sein Leben in seiner selbst zerstörten Welt wieder beginnen müßte? Eine gute Frage, ich glaube es nicht.
Jeder dieser Mächtigen der Welt, weiß nämlich heute schon Bescheid und auch seine Kinder sind ihm egal. Eine unheimlich anrührende und tolle erzählte Geschichte. LG Pünktchen |
Gast | Geschrieben am: 07.12.2007 18:08 Aktualisiert: 08.12.2007 12:58 |
![]() Die tiefen Fragen des Lebens. Ich bin ziemlich froh, dass ich darüber nichts weiß und es auch nicht wirklich was zu wissen gibt. Denn nach Antworten zu forschen würde bedeuten, sich zum Opfer seiner Angst zu machen. Und dafür ist das Leben ja nun tatsächlich zu kurz.
Aber sehr schön ist der Text. In dem Zusammenhang möchte ich mal kurz auf ein Weblog verweisen. Man mag mit gemischten Gefühlen dort lesen, aber im Grunde ist es eine sehr gehalt- und gefühlvolle Seite, auf der nicht nur viel Informatives über das Sterben zu finden ist sondern die vielleicht auch ein bisschen hilft, dieses Angst- und Tabuthema aus einer anderen Sicht zu betrachten. |
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Erika | Geschrieben am: 06.12.2007 06:03 Aktualisiert: 06.12.2007 13:19 |
![]() ![]() User seit: 03.02.2006 aus: Beiträge: 12428 |
![]() Respekt, Blackforest!
Ich habe deine Geschichte gebannt gelesen. Danke. ![]() Liebe Grüße, Erika |
Gast | Geschrieben am: 06.12.2007 02:35 Aktualisiert: 06.12.2007 13:19 |
![]() Noch befürchte ich nicht, nicht mehr aufzuwachen, wenn ich mich abends hinlege.
Mag auch daran liegen, dass ich im Kopf 27 Jahre alt bin. Das physische Alter versuche ich noch zu ignorieren. Geht manchmal schlecht, wenn der Sohn solche Sachen sagt wie Mama, wenn ich 20 Jahre alt bin, bist du schon 100 Jahre lang tot. ![]() Schöner Text, gefällt mir. |
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