Sabine Dreyer- Anders sein

Datum 30.04.2007 17:46 | Kategorie: Texte

Ich träumte, ich wäre eine andere. Eine Künstlerin würde ich sein, nicht zu jung, nicht zu alt, im reifsten Alter und mit besten Formen. Mein Name wäre Anuschka, ich stammte von den schönen Zigeunern des Mittelalters ab, rot und lang schimmerten meine Haare und mein glänzendes Gesicht wäre liebreizend und voll sinnlicher Eindrücke.
Täglich hörte ich Cat Stevens am Lagerfeuer und tanzte umher, die Männer lägen mir zu Füßen und brächten mir Geschenke, seidene Stoffe und glänzenden Schmuck, mit denen sie meine Gunst erkauften. Ein großes Herz hätte ich, für all jene, die in Armut lebten, ich gäbe ihnen meinen Geschenke weiter und erfreute mich am neuen Glanz blasser Augen. Schenkte ihnen ein freundliches Lächeln und Mitleid und ging weiter – zur nächsten Demonstration für den Weltfrieden, gegen Atomkraft, für Menschenrechte und gegen Todesstrafen.
Eine Vollblutdemokratin wäre mein Wesen, eine Kämpferin mit Ross und Schwert mein Anblick und als gütige Mutter mit prallen Brüsten würde ich unzählige Kinder ernähren. In stillen Stunden formte ich aus Lehm und Wasser Krüge und Skulpturen, hieb Antlitze aus Stein und hauchte Leinwänden Bilder ein, die in alle Welt verkauft würden. Meine Karriere verfolgte ich tough und ohne Rücksicht auf Verluste, auf Familie müsste ich verzichten, doch es täte mir nicht weh, denn ich mein Ziel wäre mir wichtiger als alle Zuneigung dieser Welt.
Mein Liebster, ein Kerl von größter Schönheit, streichelte dabei meinen Körper, der die wollüstige Inspiration aufsaugte. Ich würde reisen, mit dem Motorrad würde ich die Welt erkunden, mit Jachten die Meere überkreuzen und mit dem Hubschrauber über Berge hinwegblicken bis ans Ende der Welt. Dabei hörte ich Technomusik und Opern, ergötzte mich auf Mozarts Open-Air-Konzerten und frönte guten Gewissens dem Gott aller Hippies.
Ich zöge mir Drogen durch die Körperöffnungen, schlüge Polizisten nieder und rockte an der Seite der Weltstars vor Millionen Augen, die mich beneideten. Am Abend schrieb ich meine Bücher, so schmerzvoll und anrührend, dass sie Generationen bewegten. Bescheiden sonnte ich mich in meinem Erfolg – niemand würde wirklich wissen, wer ich wäre. So wäre ich ein Phantom und würde die Rücken von Bösewichten mit den verdienen Messern spicken. Die Kriminalpolizei bisse sich an mir die Zähne aus, denn ich wäre clever wie Jack the Ripper und unsichtbar wie ein Geist.
Lächelnd ginge ich auf Beerdigungen, verborgen unter schwarzen Schleiern, und gäbe all den Opfern ein Stück gestohlenes Leben zurück, indem ich ihnen verriete, wie ich sie rächte. Meinen Nachbarn würde ich dann und wann die Scheiben einwerfen und die Autoreifen zerstechen, ohne dass sie wüssten, wer ihnen dieses antäte. Verzweifelt weinten sie an meinem Tisch ihrer Tränen und bekämen meinen Trost, während ich wohlweislich meine Freude über ihr Leid verberge.
Ich betröge meinen geliebten Gatten von Herzen mit der Lust eines frivolen Weibes nach Anerkennung, schwörte jedem Liebhaber die Treue und lebte eremitenhaft in einsamen Berghöhlen, wo mich nur der fände, den der Wind zu mir trüge. Weise sagte ich dort Zukunften voraus und bewahrte Menschen vor ihren Schicksalen oder ließe sie direkt hineinlaufen.
Dort ernährte ich mich von Kebab und Wurzeln, ließe einmal pro Woche den Pizza-Bringdienst auf Kamelen herbeikommen und tränke allabendlich roten Wein, der mich ins Land der Träume entführte.
Und jeden morgen in der Früh wachte ich auf mit der unheimlichen Gewissheit, all dies wären keine Träume, sondern lebe tatsächlich in familiärer Eintracht in mir und ginge seiner Wege.


© SabineD
Tat(w)ort







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