
Marina Gideon- Veilchen
Datum 30.01.2008 16:26 | Kategorie: Texte
| Na prima, da stand ich vor dem Spiegel als frisch gewählte Bürgermeisterin mit einem klassischen Matschauge. Eine Infektion, sagte die Augenärztin, und das könne dauern. So ein kleiner gelber Zettel verhinderte zum Glück, dass ich im Amt allerhand Vermutungen den Nährboden bot. Es könnte tatsächlich den Anschein haben, ich hätte einen Kneipenbesuch nicht unbeschadet überstanden, zumal mich ja jeder in der Stadt als diskussionsfreudige Kampf-Emanze kennte. Kein Wunder, wenn es so eine einmal gezeigt bekäme. Aber was würde ich am Wochenende machen? Der 60. Geburtstag meiner Mutter, ein Ereignis, zu dem nicht nur Verwandte erschienen und das sich auch nicht mehr verschieben ließ. Inzwischen war mein Auge von den schillerndsten Farben umrandet, unübersehbar und nicht mit Schminke zu überdecken. Eisbeutel, Tabletten, Salbe – nichts hatte bisher mein Aussehen positiv verändert. Da musste ich nun durch, auch wenn das alles überhaupt nicht nach Infektion aussah.
Und so wie vermutet, bei jedem Besucher kam die erste Frage: „Was ist mit deinem Auge, hat dich jemand …?“ Na klar, antwortete mein lieber Mann, und zwar mit einer filmreifen Geste, indem er mit der rechten Faust gegen die Handfläche seiner linken Hand schlug, begleitet von einem siegesbewussten Blick in alle Richtungen und den Worten: „Da habe ich mal kurz so gemacht.“ Na wenigstens hatte er nicht vor den Kindern unüberlegte Worte gebraucht. Bevor ich eine ordentliche Erklärung abgeben konnte, wurde ich zum Spaßfaktor Nummer eins. Damit war dann auch aller Peinlichkeit Genüge getan, dachte ich, ohne mich zu erinnern, dass ja für den nächsten Tag der Kinderarzttermin anstand.
Es kam, wie es kommen musste, die zu erwartende Frage der Ärztin: „Was ist Ihnen denn zugestoßen, ihr Auge sieht ja schrecklich aus?“ Und bevor ich überhaupt zu einer Antwort ansetzen konnte, übernahm das meine zweijährige Tochter, indem sie mit ihrer kleinen Faust gegen die Handfläche ihrer linken Hand klatschte und sagte: „Da hat der Papa mit der Mamma so gemacht“. Und irgendwie glaubte ich, auch den siegesbewussten Blick zu erkennen.
Ich weiß nicht, was die Ärztin in ihrem Schreibtisch suchte, sie verschwand plötzlich mit dem Kopf darin und brauchte eine ganze Weile, bevor sie wieder auftauchte und einen Ordner vor sich hin legte. In ihren Augen erkannte ich, wie sie sich das Lachen verkniff, hielt aber ihrem Blickkontakt stand.
Mir wurde schlagartig klar, die Schilderung meiner Krankheit würde sie als Rechtfertigung werten.
„Ja Frau Doktor, Sie sollten erst einmal den Hintern meines Mannes sehen. Ich weiß gar nicht, wann er das letzte Mal gesessen hat.“
© Marina Gideon, minke52
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