Sabine Dreyer- Das Ikea-Prinzip

Datum 03.01.2008 13:01 | Kategorie: Texte

Als leidenschaftliche Leserin kennen Sie das bestimmt: Eines Tages staksen Sie durch Ihr Haus und stellen fest, dass die Mehrheit Ihrer literarischen Schätze heimatlos und unsortiert auf Fensterbänken, dem Fußboden, neben dem Bett und dem Klo vor sich hinvegetiert und unschöne Staubschichten ansetzt. Spätestens dann, wenn wieder einmal Großreinemachen angesagt ist, muss Ordnung her. Und was eignet sich für Bücher besser als ein Regal?
Schnell packen Sie an einem Samstag Ihre Liebsten ins Auto und klammheimlich, ohne dass die Nachbarn davon erfahren, geht’s zu dem großen schwedischen Möbelkonzern, über den Sie sonst bestenfalls die Nase rümpfen. Aber ein neues Billy muss her, da hilft ja nun nichts.
Was wie ein Familienausflug aussieht, ist als umwegsloser Erwerb einer Regalerweiterung angedacht und der Plan lautet dahingehend, ohne Abweichung vom Weg die Billys anzusteuern, auf den Wagen zu laden und ab damit zur Kasse. So wie immer.
Doch schon im Eingangsbereich werden Sie schier erschlagen von der bunten Vielfalt und psychedelischen Macht, die von der gigantischen Hausverschönerungshalle ausgeht. Nachdem Sie die Kinder im Spielbereich abgegeben haben und noch energisch versuchen, Ihre Sinne zu ordnen, zieht Sie die leise Musik aus unsichtbaren Lautsprechern in eine Trance und ehe Sie sich versehen, liegt Gardine Hedda in Ihrem Einkaufswagen, weil das Wohnzimmerfenster schon längst mal wieder ein neues Kleid haben sollte, und schmust mit der Vase Snärtig und dem Tischset Lisbet.
Während Sie sich bemühen, halbherzig die Billys zu finden, passieren Sie die Labyrinthe aus Küchenmöbeln, Betten, Lampen, Sofas und Badezimmerschränken, greifen unbemerkt zwei Kissen Granat für die Wohnzimmercouch, weil die so nett zur Decke Polarvide passen, und legen sie zu Teppich Strib, auf den Ihr Hausflur schon sehnsüchtig wartet. Aber der neue Couchtisch Pilbo sieht ohne Deckchen noch ziemlich nackt aus, wie Sie meinen, und ratzdifatz liegt Vanny, der Tischläufer auch im Wagen.
Zwei Minnen Drake Wandtaschen dürfen nicht fehlen, immerhin haben Sie Kinder, denen Sie was gönnen. Und weil Kinder dazu neigen, Unordnung zu machen, ist der Griff zur Spielzeugbox Glis mit Deckel unvermeidlich. Doch wo Sie schon mal dabei sind – die Viren und Songa Serien fürs heimische Bad wollten Sie sowieso schon längst angeschafft haben. Genau wie den Spiegelschrank Grundtal mit passenden Handtuchaufhängern und der Waage. Darauf die Erfolge Ihrer letzten Diät ablesen zu können, das gönnen Sie sich doch einfach, so wie die Medalj Topfserie und den Värde Servierwagen.

Nach drei Stunden spüren Sie langsam die Blasen an Ihren Füßen und sind überzeugt, dass Ihnen nichts entgangen ist, Sie alles angesehen und kritisch bewertet haben und sind wieder einmal davon überzeugt, dass dieser Einrichtungsgigant lediglich auf die menschliche Schwäche des hemmungslos überflüssigen Kommerz abzielt, der Ihnen zutiefst zuwider ist.
Während Sie sich auf dem Weg zur Kasse noch über die Menschenmassen empören, die wie Heerscharen mit und an Ihnen vorbeiziehen, und sich fragen, was all diese Idioten nur dazu leitet, ausgerechnet an einem, diesem, Samstag in dem viel beschimpften Möbelhaus unnötiges Geld für Tinnef auszugeben, landen schnell noch Bild Pjätteryd für die kahle Wand im Esszimmer und je Farbe eine Hand voll Väghuld Kerzen in Ihrem Wagen sowie die Bettwäschesets Bibbi Snurr und Torenja. Fast hätten Sie noch die Bettlaken Sova vergessen, wie peinlich.
Nachdem Sie endlich mit Ihrer Family-Karte einen vierstelligen Betrag bezahlt und die Kinder abgeholt haben, gönnen Sie sich noch eine kurze Pause im hauseigenen Restaurant bei Köttbullars und Godis.
Erschöpft, aber gut gelaunt fahren Sie nach Hause.
Dort angelangt, trübt sich die Stimmung ein wenig, als Sie gewahr werden, dass Sie ja Billy total vergessen haben. Doch noch während Sie mit den neu erworbenen Optimal Rotweingläsern anstoßen, hellt sich Ihre Laune wieder auf. Der nächste Samstag kommt garantiert.




© Sabine Dreyer



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