
Tina Wiegand- Macht und Abhängigkeit
Datum 18.05.2009 13:37 | Kategorie: Texte
| Für die meisten Menschen ist der Begriff »Macht« negativ besetzt: Wer Macht hat, missbraucht sie, so die landläufige Meinung. Machtmissbrauch aber kann nur dort stattfinden, wo erwachsene Menschen ihre Macht an andere delegieren und keine Eigenverantwortung übernehmen. Dieses System funktioniert jedoch nur zwischen Eltern und Kindern, so lange letztere minderjährig sind. Zwei Machtvolle können sich ergänzen und große, gute Dinge tun. Aber wenn einer von beiden die Macht ablehnt, hat der Machtvolle keine Chance, daran etwas zu ändern. Merke: Wer einen Mächtigen ins Leere laufen lassen will, braucht nur auf dem Grundsatz zu bestehen: Ich bin klein, mein Herz ist rein, darfst gerne mein Missbraucher sein...
Gute und böse Mächtige
Ein »guter« Mächtiger wird dann viel Energie in eine Endlosschleife einsetzen, um dem armen Machtlosen zur Macht zu verhelfen, die dieser aber gar nicht haben will. Sein eigentliches Ziel wird hinter diesem Bemühen zurück fallen, und der gute Mächtige wird zu einem guten Machtlosen, der sich im Kreis dreht und seine gesamte Aufmerksamkeit dem Machtlosen schenkt. Der »böse« Mächtige hingegen haut den scheinbar Machlosen platt, weil dieser ihn daran hindert das zu tun, was Mächtige tun wollen: machen. Dann kann der feixende Machtlose für sich verbuchen: Hab ich doch gleich gesagt, Macht ist böse! Bingo.
Meerschweinchen und Tiger
Es gibt in uns allen einen Anteil, der gerne »unschuldig« bleiben möchte. Oft ist dieser Wunsch jedoch weniger auf ein echtes ethisches Interesse zurückzuführen, als auf eine tief verwurzelte Angst vor Strafe. So wie Kinder, die Angst vor der Watsch'n haben, rufen diese kindlichen Erwachsenen dann: „Ich wars nicht, der wars! Der ist mächtig und böse, ich bin lieb und unschuldig, und der große, böse Tiger frisst mich armes, harmloses Meerschwein!“ Der Tiger ist schon deswegen böse, weil er Zähne hat. An etwaige Möglichkeiten mit dem Tiger anders umzugehen, verschwendet das Meerschweinchen keinen Gedanken – dazu müsste es sich selbst Macht zugestehen, und so etwas Ungebührliches tun Meerschweinchen nicht.
Werdet wie die Kinder!
In unserem Kulturkreis dürfen wir den Einfluss des Himmel/Hölle Szenarios unserer biblisch-religiösen Prägung nicht vergessen. Nur wer unschuldig bleibt, kann der Hölle entrinnen, denn »ihr sollt sein wie die Kinder«. Aber klar doch, gerne! Unschuldig bleibt nur, wer kindhaft und machtlos bleibt. Dass durch solch eine kindhafte, passive Masse eine Schieflage entsteht, weil dann die »bösen« Mächtigen ihre Interessen durchsetzen, während die anderen brav sind, daran sind ja nicht die armen Unschuldigen, sondern nur die bösen Mächtigen schuld. Die könnten ja auch einfach gut werden....
Warten auf den Messias
Es gibt noch einen weiteren guten Grund, sich selbst keine Macht zuzugestehen. Wer im Kindhaften stecken bleibt, kann darauf warten, dass irgendein mächtiger Messias erscheint, um die Welt in Ordnung zu bringen, und so lange spielen gehen. Nicht die schlechteste aller Lösungen und auf alle Fälle bequem – aber auch schmerzhaft, denn meist lassen sich Messiasse und Erlöser, die unbewusst in Form von Prinzen und Prinzessinnen erwartet werden, viel Zeit. So bleibt der Kind-Erwachsene unglücklich. Die erotische Liebe scheint jedoch ein Programm zu sein, das imstande ist, den unschuldig spielenden Kind-Erwachsenen sanft aber unnachgiebig auf den Weg des Wachstums zu zwingen. Nur Erwachsene können eine Partnerschaft haben, Kinder brauchen Elternfiguren. Viele Kind-Erwachsene suchen Partner, die das ausheilen, was die echten Eltern verbockt haben. Mit mehr oder weniger großem Erfolg: Wer schon mal erlebt hat, wie ein äußerlich Erwachsener seine kindlichen Defizite dem erotischen Partner aufzwingt, weiß, wie schnell diesem dabei die Lust vergehen kann.
Auf welche Seite willst du?
Aber was ist dann erotisch? Was lässt die Luft vibrieren? Was will der Eros von uns? Schon wieder wird das Thema heiß – und ich bin weit davon entfernt, mir hier mit einer Antwort die Finger zu verbrennen. Wähle selbst: Auf der einen Seite gibt es gehorsame, brave Kleine und Meerschweinchen, auf der anderen Seite machtvolle Große und Tiger. Hier das liebe Mädchen mit Schleife im Haar, das für Papa Kuchen bäckt und schön aufräumt damit er nicht schimpft; dort die Frau, die Heilige und Hure in einem ist. Hier der gehorsame kleine Junge, der immer Einser schreibt, aber Angst hat, zu kurz zu kommen und vor der Mama ein wenig Schiss hat; dort der aufrechte, kraftvolle und daher gebende Mann, der seine Mutter liebt, aber nicht zwangsläufig auf sie hört, und daher unbeirrt seinen Weg geht.
Messiasse sind machtvoll
Wer sein Leben von anderen in Ordnung bringen lassen will, braucht dazu eine machtvolle Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit, die stark und unabhängig im Leben steht, vor Authentizität vibriert, Herausforderungen bewältigt, über Panikmache lacht, ja sagt, wenn sie ja meint, und nein, wenn sie nein meint, und die sich von nichts und niemand in ein Förmchen pressen lässt. Messiasse sind nicht brav und gehorsam. Sie sind unerschrockene Autoritäten, die ohne mit der Wimper zu zucken das Bestehende und Althergebrachte zerstören, um eine neue Form zu etablieren. Messiasse sind machtvoll, konstruktiv und zerstörerisch zugleich – und damit zu böse, als dass der Kind-Erwachsene damit etwas zu tun haben möchte. Messiasse geben, Kind-Erwachsene brauchen, deswegen passen die beiden auf Dauer nicht zusammen. So bleibt der Kind-Erwachsene einsam und mit der Aufforderung konfrontiert, seine Welt selber in Ordnung zu bringen. Blöd aber wahr.
Verantwortung übernehmen
Wer (meist notgedrungen und meuternd) diese Verantwortung übernimmt, wächst automatisch in eine größere Machtposition hinein. Der Verantwortliche will die Dinge richtig machen, wird aber nicht in der Verweigerung stecken bleiben, so wie der Schuldvermeidende es tut. Dafür nimmt er eventuelle Fehler in Kauf. Nicht-tun und Verweigerung führen in harmlosen Fällen in ein fades Leben, in weniger harmlosen Fällen in die Teufelsküche der Depression. Wer Verantwortung trägt, wird mit dem Thema Macht konfrontiert, denn er/sie muss gegebenenfalls andere so beeinflussen, dass sie sich an der Zielerreichung beteiligen. Wenn der Widerstand gegen ein gemeinsames Ziel zu groß ist, muss die Verantwortung manchmal tabula rasa machen, also Macht in ihrer »negativen Form« ausüben. Das kann auf Kosten derer gehen, die das gemeinsame Ziel und somit das Wohl der Gruppe gefährden. Kein Missstand der Welt lässt sich jedoch reformieren, wenn das Alte nicht zugunsten des Neuen zerstört wird. Wer schon mal eine Gruppe geführt hat weiß, dass es immer wieder zu solchen Szenarien kommt. Ich erinnere: Wer Macht ausübt ist böse, da fangen wir also wieder von vorne an. Ein Loch ist im Eimer, oh Henry....
Transformation
Der Erwachsene hat die erhebende Wahl zwischen der depressiven Teufelsküche des Nicht-tuns oder der Hölle der Schuld wegen Machtausübung. Heiß wird es so oder so, denn Feuer ist und bleibt das stärkste Element der Transformation (Ähnlichkeiten mit dem Bild des Fegefeuers sind rein zufällig), deshalb ähnelt das Erwachsenwerden manchmal einem Feuerlauf – oder einem Eiertanz, je nach Gusto. Wir rufen aber die Weisheit hinzu, die sagt: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird; puste doch erstmal in die Suppe, die du dir eingebrockt hast, dann ist ein brandblasenfreier Genuss möglich. Der Lohn für heiß geschluckte und gut verdaute Suppe kann so, wie das gute Gefühl im Magen, durchaus von dieser Welt sein, die von vielen machtvollen Erwachsenen durchaus in eine höhere Ordnung gebracht werden kann. Unsere eigene Macht umgibt uns, ob wir wollen oder nicht. Sie durchdringt alles, was wir erleben. Zeit sich mit ihr zu versöhnen du sie bewusst zu leben. Sie wird es uns danken, indem sie uns hilft, unsere Träume auch gegen Widerstand zu verwirklichen. Möge die Macht mit euch sein☺
© Tina Wiegand, Führungskräftecoach, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Komponistin, Autorin, lebt mit ihren zwei Söhnen in Landsberied bei München
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