
Sabine Haag - Gewaltakt
Datum 13.10.2006 22:31 | Kategorie: Texte
| Unruhig gehe ich im Zimmer auf und ab. Es müssen einige Minuten vergangen sein, ehe ich meinen Zustand bemerke. Ich gehe in die Küche und beginne mechanisch die Spülmaschine auszuräumen, unruhig, leicht zappelig. Ich muss mich konzentrieren. Ich hasse es, mich auf Routinearbeiten fixieren zu müssen. Die Sonne scheint ungebremst und bereits mit voller Kraft ins reflektierende Spülbecken. Ein frischer Morgenwind weht zum Fenster herein. Man kann den Sommer so wunderbar riechen. In Gedanken gehe ich die Hausarbeiten des Tages durch. Ich lächle. Es gibt so viel zu tun, dass ich auswählen kann, womit ich beginne. Trotz Unruhe bin ich gut gelaunt. Erstaunlich. Ich fühle beinahe Vorfreude auf ein großes Ereignis. Aber welches nur?
Nach und nach erledige ich die Hausarbeiten, nichts Großes, nichts, was gleich volle zwei Stunden in Anspruch nehmen würde. Da etwas aufräumen, dort etwas fegen, ein Hemd bügeln. Telefon. Ich schrecke auf, war wohl wieder in Gedanken. Die übliche Frage stellt sich: „Wer mag das um diese Uhrzeit sein?“ Ich murmle etwas vor mich hin. Es hört auf zu läuten. Hatte sich da jemand verwählt und noch rechtzeitig bemerkt, oder hat es sich jemand anders überlegt? So etwas verwirrt mich, ganz besonders dann, wenn ich unruhig bin. Okay: Tasse Kaffee, Zigarette, hinsetzen. Was ist los mit mir? – Die übliche Selbstanalyse. Ich schaue mich im Zimmer um. Mein Blick wandert in Richtung Atelier. Mein Atelier. Die Räumlichkeit ist in üblicher Weise gepflegt. Schreibtisch und Computer laden zu regelmäßiger Geschäftigkeit ein. Es ist nicht unbelebt. Die entstandene Zweckdienlichkeit täuscht allerdings über die ursprüngliche Idee und die eigentliche Funktion hinweg. In diesem Augenblick weiß ich, dass dort alles schlummert, was meinem Leben einen Sinn verschafft. Ja, natürlich: Ehe, Kinder, Freunde sind auch mein Lebensinhalt. Das alles möchte ich nicht missen. Es gehört zu mir. Aber dort in diesem heiligen, wenn auch entweihtem Raum wohnt etwas. Es ist ein Teil von mir, den ich bisher noch nicht so richtig gefunden habe. Ich weiß nur von seiner Existenz. Ich weiß nicht, was mich erwartet, wenn ich ihn eines Tages finden werde. Es ist so etwas, wie der Kern des Daseins oder der Esprit der Welt. Meine Gedanken schweifen wie so oft ins Philosophische ab.
Bevor ich mir nun die Frage stelle, ob ich an Gott glaube, stehe ich auf und gehe in dieses Zimmer. Zielstrebig öffne ich meinen Giftschrank. Jeder wahre Künstler hat seinen Giftschrank. Meiner beinhaltet Farben, Lösungsmittel, Reiniger, Verdünnung, Lacke, Alkohol, Fixativ und all´ das andere Teufelszeug. Ich atme tief diesen unwiederbringlichen Duft alter Zeiten. Das meiste davon ist entweder eingetrocknet oder verflüchtigt. Und dennoch: Alle diese Flaschen, Büchsen, Dosen, Pinsel, Rollen, Lappen, Schachteln sind Ausdruck überlegener Kompetenz. (Selbst in meinem Haushalt habe ich einen Giftschrank. Denn auch die wahre Hausfrau hat ihren Quell der Überlegenheit.)
Meine Unruhe wird physisch. Ich muss Pipi machen. Ärgerlich. Gerade jetzt, als ich diesem Mysterium auf die Schliche komme. Zurück am Ort des Begehrens – der ganze Raum ist mittlerweile vom Duft süßen Giftes erfüllt – erliege ich dem aufsteigenden Tatendrang. Heute ist der Tag. Nach fast dreijähriger Abstinenz werde ich in den Rausch künstlerischer Macht verfallen. Betrunken vom Wohlgefühl über die eigene Identität krame ich nach Skizzenblock und Stiften. Es wird aus mir heraussprudeln. Ich weiß es. Alle ungeträumten Ideen sind plötzlich da. Der schwierigste Teil liegt nun vor mir: Ein weißes Blatt Papier. Beleidigend sauber und seine Umgebung ins Unrecht setzend. Ich kenne das. Langjährige Erfahrung mit dieser unbefleckten Arroganz hat mich einige Tricks gelehrt. Ein Lächeln umspielt meine Mundwinkel. Telefon. Dieses Mal reiße ich unvermittelt den Hörer an mich und rufe: „Ja?“ … „Ah, guten Morgen Mama…tatsächlich…“ Minuten vergehen. Ich greife zu einem längst nicht mehr benutzten Kugelschreiber und beginne auf mein weißes Blatt zu kritzeln. Wie erwartet ritzt der Stift zunächst schmerzhafte Spuren in die unberührte Oberfläche ohne einen Hauch von Farbe zu hinterlassen. „Oh, das ist aber schön Mama…“ Ich klopfe mit dem Stift auf das Papier. Ein zarter Schimmer schwarzer Tinte quält sich aus der Kugelspitze. „Nein, bei uns gibt es heute Fisch…natürlich passe ich bei dem Kleinen mit den Gräten auf…“ Ich spucke auf den Block und krakle den Kugelschreiber in der entstandenen Pfütze hin und her. Jetzt lange Bahnen ziehen, immer nur eine Richtung, damit die Kugel sich lösen kann. Kreise, Zickzack, Spucken, Klopfen und dann: Die Tinte beugt sich ihrer Tortur. Noch mehr Kringel, Schlängel, nur nicht aufhören. „Tschüß, schönen Tag noch…Ja, danke, dir auch.“ Auflegen. Der Gewaltakt ist vollbracht. Das erste jungfräuliche Blatt Papier ist voll geschmiert. Das ist die Grundierung für einen Neubeginn zukünftiger Schaffenskraft.
Na, wie die Zeit vergeht. Die Zukunft ist irgendwie immer schneller da als erwartet. Ich muss mich fix fertig machen und zum Kindergarten eilen. Wenn ich dort zu spät komme, sitzt mein Kind angezogen und alleine im Flur. Ach ja, Fisch wollte ich noch einkaufen und Salat. Wenn ich die Waschmaschine gleich noch fülle und starte, kann die Wäsche am Nachmittag herrlich in der Sonne trocknen. Dann duftet sie so unbestechlich frisch. Wo ist mein pinkfarbener Lippenstift, Einkaufszettel, Geld? Ich muss noch zur Sparkasse, liegt ja auf dem Weg. Dann nehme ich gleich noch die Anmeldung für das Sommerfest mit. Beim Ausfüllen muss ich grinsen. Der alte Kugelschreiber geht ja wieder.
Also dann fange ich morgen an mit der Kunst, gleich nach dem Frühstück. Vor oder nach dem Einkaufen? Mal sehen.
© Sabine Haag lebt in München.
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