
Petra Plaum - Erziehung früher, Erziehung heute Teil 2
Datum 28.08.2008 13:02 | Kategorie: Texte
| Die Sache mit dem Essenlernen: neue Chancen, neue Probleme
Mutter, Großmutter und Kleinkind gehen einkaufen. Meint die Mutter: ,,Guck mal, Biopaprika!“ – Darauf die Oma: ,,Was ihr jungen Leuten mit dem Bio habt! Die anderen kosten 80 Cent weniger!“ -- ,,Stecken aber voller Pestizide“, entgegnet ihre Tochter spitz. Kurz später: ,,Nimm doch noch einen Bund Karotten mit, die sind im Angebot!“ ruft die Oma. ,,Rotten sind bäh“, mäkelt das Kind. Nie gab es in Deutschland so viel zu essen wie heute. Und nie so viele Informationen darüber, was davon gesund ist. Was früher als gesundheitsschädlich verschrieen war, mag sich längst als wertvoll erwiesen haben -- ein Beispiel: In den 70-er Jahren galt Muttermilch als zu stark belastet mit Umweltgiften. Experten rieten zur Flaschennahrung. Dreißig Jahre und viele Analysen später sind Ärzte, Hebammen und Ernährungswissenschaftler sich einig: Stillen ist optimal fürs Kind, die ersten sechs Monate am Besten ausschließlich. Und bis weit ins zweite Lebensjahr hinein hat Stillen für Mutter und Kind gesundheitliche Vorteile.*
Wer heute Oma und Uroma ist, hat aus unterschiedlichsten Gründen nicht gestillt – mal ließ der Krieg die Milch versiegen, mal fehlte es an Unterstützung, wie Hebammen und Ärzte sie heute leisten. So finden viele Großmütter von heute das lange und intensive Stillen junger Mütter befremdlich. Und der erste von vielen Generationenkonflikten rund ums Essen und Trinken der Kinder hat begonnen.
Buch gegen Bauch? Was Eltern heute wichtig ist In der Kriegs- und Nachkriegszeit war jede Speise Gold wert. Wer kochte, musste buchstäblich aus wenig viel machen. Heute sind Lebensmittel nicht nur in Hülle und Fülle vorhanden, sondern auch noch vergleichsweise günstig: nach dem Zweiten Weltkrieg gaben Deutsche im Durchschnitt 50 % ihres Einkommens für Lebensmittel aus, in den letzten Jahren zwischen elf und 14 %. Wer die Wahl hat, möchte oft genau das Richtige servieren. Junge Eltern lesen in Zeitschriften und Büchern einiges über gute Kleinkindernährung und finden drei Kriterien zunehmend wichtig: Das Essen soll Allergien vorbeugen, das Essen soll nicht dick machen und wenn möglich auch noch in Bioqualität sein.
Welche Nahrungsmittel Allergien auslösen können und welche erst ab einem gewissen Alter unbedenklich sind, darüber gibt es übrigens immer wieder neue Erkenntnisse – Kinderärzte sind hier meistens auf dem neuesten Stand. Mediziner und Ernährungsberater finden: ,,Sind beide Eltern selbst keine Allergiker, ist übertriebene Vorsicht unnötig“. Gibt es Anzeichen für eine Allergie, sprechen Eltern am Besten mit den Großeltern. So vermeiden sie lange Gesichter an der Familientafel, wenn das Kind z.B. keine Eier oder Weizenmehlspeisen essen darf.
Bio ist eine Sache der Einstellung: wer Umweltschutz und artgerechte Tierhaltung fördern möchte, für den ist diese Ernährung erste Wahl. Was die Giftstoffe angeht, sind Obst und Gemüse aus Bio-Anbau weniger belastet als andere, aber: ,,Trotz nachgewiesener Rückstände sind konventionell hergestelltes Obst und Gemüse keine ,Giftbomben’. 2005 stellten lediglich 13 von über 16.000 untersuchten Lebensmittelproben ein erhöhtes gesundheitliches Risiko dar“, entwarnt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in einer Pressemeldung.
Nicht zu viel Panik in Sachen Essen, also! Ernährungswissenschaftlerin Isabelle Keller von der DGE** betont: ,,Wir verbieten kein Nahrungsmittel“. Sie geht noch weiter: ,,Bei ansonsten ausgewogener Ernährung ist auch mal ein Burger oder eine Tütensuppe okay“. Oder Omas fetter Braten. ,,Was das Übergewicht der Kinder heute angeht, das liegt nicht nur am Essen. Wir bewegen uns heute auch weniger als früher“, gibt die Ernährungswissenschaftlerin zu bedenken. Wer sein Kind also auf Trab hält und auf eine vielseitige Mischkost mit ,,viel Pflanzlichem, mäßig Tierischem und sparsam Fettigem und Süßem“ setzt, darf auch mal über die Stränge schlagen.
Eigentlich wollen wir ja alle nur das Beste... Wenn Jung und Alt über Kinder und Essen diskutieren, zeigt sich schnell: im Grunde waren die Kleinen da immer gleich. Die einen langten zu, die anderen stocherten herum. Doch: Wo zu Uropas Zeiten viele Buben und Mädchen zum Aufessen gezwungen wurden, setzen sich nun sanftere Methoden durch. Schon vor 30 Jahren mischten engagierte Mamas Gemüsepürree in die Kartoffelsuppe, peppten die Spaghetti mit selbstgemachter Tomatensauce auf und servierten ihrem Nachwuchs die preisgünstigen Müsliflocken in die Markenpackung aus der Werbung. Kinderärzte, Psychologen und die DGE empfehlen Erwachsenen, selbst viel Gesundes zu essen und zum Vorbild in Sachen ,,wertvolle Ernährung“ zu werden. Manchmal sollten die Großen aber auch akzeptieren, dass eine Frucht oder ein Gemüse für Kleine ,,bäh“ bleibt, egal, in welcher Form es auf dem Teller liegt. Das ist der Vorteil der großen Auswahl hier und heute: wer Karotten hasst, kann auch mit Zucchini, Paprika & Co. gesund groß werden.
,,Vor allem darf das Essen kein Dressurakt sein“, rät der beliebte Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge***, Jahrgang 1947. ,,Gleichwohl stellt der Familientisch einen sozialen Ort dar, an dem Rücksichtnahme und Gesprächskultur erlernt werden“. Bei aller Diskussion um Vitamine, Allergien, Kalorien oder Bio sollten Erwachsene nie vergessen: Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Wenn Ältere und Jüngere an einem Strang ziehen, lernen auch die ganz Kleinen, gerne und vielseitig zu essen. Und schon Vorschulkindern tut die Einsicht gut, dass der, dem am Mittagessen nur herummäkelt, bis zur nächsten Zwischenmahlzeit einen knurrenden Magen ertragen muss. Diese Kinder lernen von Klein auf, mit den neuen Herausforderungen in Sachen Ernährung umzugehen: mit dem Überfluss an Lebensmitteln und dem Überfluss an Informationen darüber.
* mehr Informationen über das Stillen: www.lalecheliga.de
** Die DGE, gegründet 1953, befasst sich mit allen auf dem Gebiet der Ernährung auftretenden Fragen und stellt Forschungsbedarf fest. Sie unterstützt die ernährungswissenschaftliche Forschung, informiert über neue Erkenntnisse und Entwicklungen und macht diese durch Publikationen und Veranstaltungen verfügbar. Internetadresse: www.dge.de
***aus: Jan-Uwe Rogge: ,,Der große Erziehungsberater“ (S. 278). Rororo, 4. Auflage 2006, EUR 9,90
Lesetipps zum Thema: Broschüre ,,Optimix – Ernährung von Kindern und Jugendlichen“, aid-Infodienst und DGE 2007, für EUR 2,95 zu bestellen bei DGE, Godesberger Allee 18, 53175 Bonn
Gabi Eugster: ,,Babyernährung gesund und richtig. B( r )eikost ab dem 6. Monat“. Urban & Fischer Bei Elsevier 2005, EUR 15,95
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