
Tina Wiegand- Frauenleben und der Nein-Mangel
Datum 04.11.2005 11:52 | Kategorie: Texte
| Seit Jahrhunderten halten Frauen den Mund und gebären unter Schmerzen Humankapital, das dann, je nach Gusto der jeweiligen Machthaberschaft, als Sklavenmaterial für Umsatzsteigerungen benutzt oder als Kanonenfutter zerschossen wird. Das, was da in Flammen aufgeht ist nichts wert, außer der mütterlichen Liebe – den geldwerten Vorteil von Mutterliebe hat noch niemand errechnet. Daher hat sie keinen. Es sei denn, Frau verändert ihr Verhalten, solidarisiert sich mit ihren x Millionen Leidensgenossinnen, steht auf und formuliert kollektiv das Wörtchen „Nein“! Damit könnte man zumindest herausfinden, ob es stimmt, dass man(n) den Wert einer Sache erst erkennt, wenn er sie verloren hat.
Abgesehen davon, dass die Welt in diesem Moment verstehen würde, was mit den Trompeten von Jericho gemeint war, wird dies jedoch schwer zu erreichen sein. Wenn es um das ominöse Wörtchen „Nein“ geht, haben die meisten Frauen einen Sprachfehler. Man könnte meinen, der weibliche Mund hat eine genetische Fehlstellung, die dieses ungebührliche Wort nicht erlaubt.
Wer sind denn die „Global Players (Weltspieler)“, die Finanzmagnate, Bankdirektoren, Vorstände der Konzerne, Führungspersönlichkeiten der Welt? Nun, selbst Uninformierte werden den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser „Größen“ anerkennen müssen. Sie sind alle Söhne. Ob die grenzenlose Gier der kranken Weltmacht, ihre Skrupellosigkeit, ihre Korruption, ihre Unreife mit dem Nein-Mangel ihrer Mütter zu tun haben könnte? Könnte es sein, dass die Welt in dieser katastrophalen Lage ist, weil zu groß geratene Hosenmätze als Kleinmöpse von Mama der Harmonie willen sofort den geforderten Lutscher bekamen, bevor sie sich schreiend auf den Boden warfen? Söhne von Mamas, die es nicht wagten, die Alphaposition einzunehmen und die kleinen Kronprinzen in ihre Schranken zu verweisen? Waren sie irgendwann mal kleine Tyrannen, die jeder unglaublich niedlich fand in ihrem starken Selbstausdruck – bevor sie Ekel erregende große, egozentrische Tyrannen wurden, die außer Selbstausdruck nichts anderes kennen? Und heute kontrollieren sie den Kapitalmarkt wie früher Mamas Kühlschrank? Wenn sie alles auf einmal aufessen wollen, tun sie das auch dann, wenn sie anschließend kotzen. Mama ist ja verpflichtet, sie dann hingebungsvoll zu pflegen, sonst ist sie eine schlechte Mutter.
Korruption, Unterschlagung, Steuerhinterziehung in Millionenhöhe u. ä. nennt man bei Jugendlichen der Unterschicht „ADS Syndrom“. Mütter von solchen Kindern wissen, wie sehr sie gestraft sind – damit haben sie mit Mutter Erde etwas gemeinsam. Nur, dass Mutter Erde den erwachsenen Rotzlöffeln das Maul nicht mit Ritalin stopfen kann. Solidarität unter Müttern, die diesem Wahnsinn ein Ende setzen könnte, ist vorläufig nicht in Sicht. Stattdessen beißt man sich gegenseitig und versucht sich untereinander zu zwingen, eine „gute“ Mutter zu sein. Ein gute Mutter erkennt man daran, dass sie ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die Sprösslinge richtet, ihre eigenen Bedürfnisse restlos unter den Scheffel stellt, um die Bedürfnisse der Kinder sofort und unverzüglich zu erfüllen. Sei es Klamotten, Hausaufgaben, beste Ernährung, perfekte Unterhaltung, reichhaltiges Angebot an Fördermaßnahmen, etc. Das Junge auf den ihm zustehenden Platz zu verweisen, (und das ist NICHT die Alphaposition) weist eine Frau als Unterdrückerin und konservative Verfechterin autoritärer Werte aus. Mal ganz ehrlich: wer will da schon erwachsen werden? Man müßte ja lernen, seine Bedürfnisse auf später zu verschieben. Wie unangenehm! Kind müßte sich zugunsten Schwächerer (oder sogar mal zugunsten der Mutter? Welch Blasphemie!!!) zurück nehmen. Man müßte auf Spass verzichten und sich den Bedürfnissen der Gruppe oder gar der Pflege des schwächsten Gliedes zuwenden. Wer sieht sowas schon ein, wenn das doch die Mutterposition ist?
Wer Regeln machen will, die von allen befolgt werden, muss Alpha sein. Und wer nicht Alpha ist, hat nix zu sagen. Ob frau das nun in Ordnung findet oder nicht, spielt hierbei eine untergeordnete Rolle. Denn frau ist ja nicht Alpha. In der modernen Erziehungspsychologie und der Pädagogik wird nach wie vor propagiert, dass einem Kind keine Frustrationen zugemutet werden sollen, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden sollen – das Kind der Boss sein sollte. Wenn es um Erziehungsfragen geht, dann wird in erster Linie danach gefragt, ob Mütter genug getan haben oder ob sie es gewagt haben, die Kinder zu vernachlässigen. Vielleicht ist es an der Zeit zu erkennen, dass die schlimmsten Tyrannen da entstehen, wo Mütter so viel tun, dass Eigenverantwortung der Sprösslinge kein Thema mehr sind. Schließlich haben Kinder Rechte und keine Pflichten. Warum sollten sie also jemals erwachsen werden? Lieber gehen sie mit 50 immer noch zum Fußball und gleichzeitig dem klärenden Gesprächen aus dem Weg.
Warum sagen Frauen eigentlich so ungern „nein“? Nun, für einen Herrscher sind ja-sagende Diener unerlässlich, weil er ohne sie nicht leben kann. Da Frauen krampfhaft versuchen „gute“ Mütter zu sein, ist eines grundsätzlich verboten: nämlich sich unentbehrlich zu machen –ergo werden sie zu ja-sagenden Dienern ihrer Söhne, mit der zwingenden Logik, dass sie ihren Kindern die Stellung der Herrscher zuweisen. Es scheint manchmal, dass viele Frauen lieber kleinen Tyrannen Zucker in den Allerwertesten blasen (und zwar Puderzucker, da dieser nicht so kratzt), als sich zurückzunehmen und auf ihre „Wichtigkeit“ zu verzichten. Wer nicht von seiner Wichtigkeit überzeugt ist, muss sich wichtig machen.
Hoffen wir nur, dass Mutter Erde sich nicht noch wichtiger macht, als sie schon ist.
Tina Wiegand im Oktober 2005
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