
Tina Wiegand- Rezension zu Josephines Buch
Datum 18.06.2008 13:01 | Kategorie: Texte
| Eigene Erfahrung macht jedes Schriftstück zu einem authentischen Werk. Die junge Autorin dieses Buches hat vieles aus eigener Erfahrung erlebt. Das spürt man, das liest man. Sie beschreibt die Konfusion einer Erwachsenenwelt, der eine pseudo-zivilisierte Welt das moralische Korsett abgenommen hat, ohne einen Hinweis darauf zu geben, mit welchen Mitteln man sich stattdessen inneren Halt beschaffen kann. Da geraten Eltern in einen pubertären Strudel aus Sucht, Helfersyndrom, Depression, Verzweiflung und der grundsätzlichen Abwesenheit von Selbstbeherrschung. Weit und breit kein Erwachsener, der als Abgeordneter eines erfahrenen Ältestenrates Orientierung und Rat gibt. Entgegen allgemeiner Ansicht verleihen Schwangerschaftshormone alleine eben noch keine Weisheit. Sobald der Familienverbund nicht mehr das Paradies darstellt, das die Eltern erwartet haben, und das alle Defizite der eigenen Kindheit ausgleichen soll, bricht die mühsam aufrecht erhaltene Scheinpersönlichkeit zusammen. Die, die von solchen brechenden Elternpersönlichkeiten abhängig sind, werden einfach über den Haufen gerannt. Die Erstgeborene tut, was die meisten Erstgeborenen tun: sie versucht mit göttlicher Hilfe zu verstehen, aber das Sterben der eigenen Bedürfnisse ist ein qualvoller, schmerzlicher Prozess. Das Drama der unendlich bedürftigen Eltern verhindert den eigenen Weg in den Erfolg. Schmerzhaft beschreibt auch der kleine Bruder in seinem Tagebuch, wie er es nicht wagt, glücklich zu sein, weil die Trennungskatastrophe der Eltern keinen Platz für glückliche Kinder lässt. Der Grundstein für Erfolgsblockaden und Sabotageprogramme ist gelegt.
Als der größte Sturm sich gelegt hat, bleibt das Bedürfnis der Eltern nach Verständnis und Verzeihung. Das Defizit aus der eigenen Kindheit, in der die eigenen Eltern zu wenig verstanden und verziehen haben, wird auf die Kinder projiziert und die Kinder versuchen zu erklären, zu verstehen, zu trösten. Mit allen Mitteln versuchen sie der Verantwortung, viel zu früh ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Eltern aufbauen zu müssen, gerecht zu werden, bis sie kleine Psychotherapeuten werden, die einen Weg finden, die Eltern zu erleichtern und zu trösten. Mit Hilfe der Erleichterung, die die Kinder initiiert haben, finden die Eltern einen Weg, die Scheidung auf einer vernünftigen Kommunikationsbasis zu vollziehen.
Komplizierte psychologische Zusammenhänge verpackt in die phantasievolle Realität der 16jährigen Lü und ihrer Zeitreise zwischen dem restriktiven, antiken Griechenland, in dem Theater noch zu einer Katharsis führt, und dem 21.Jahrhundert, das in seiner Freiheit ertrinkt und strudelt - das ist die Welt, die Josefine Kroetz für ihrer jugendlichen Leser kreiert. Am Ende der Gott Zeus, der das Vergessen für sie beschlossen hat. Wie bei einer richtigen Amnesie geht dieses Vergessen mit dem Verlust der Schönheit einher. Doch Lüs enge Verbindung mit dem Gott der Lebensfreude, Dionysos, rettet die Situation, selbst als die Götter sich grausam gegen sie verschwören. Und so bleibt als Fazit zurück, dass Lü ihr gesundes Überleben und das Zurechtkommen mit einer bedrohlichen, an Lebensgefährlichkeit grenzenden Situation zwei „göttlichen“ Aspekten verdankt: der eigenen Verliebtheit und dem Kommitment an die Lebensfreude, die sie zu einer klaren Entscheidung für das Leben bewegen.
Schade nur, dass Lüs brennender Wunsch, Schauspielerin zu sein im Lauf des Dramas auf der Strecke bleibt. Ihrer Berufung fällt kein kathartischer Aspekt zu, sondern nur den Beziehungen – allen voran die junge Liebensbeziehung mit dem jungen Schauspieler Pat. Ist Pat stellvertretend für sie selbst Schauspieler, weil ihre eigene Berufung im Drama ertrank? So endet das Drama in einem Halbhappyend, das viele Fragen offen lässt. Vielleicht gibt es eines Tages ein Buch von Josephine Kroetz das jungen Menschen zeigt, wie man neben dem nackten Überleben seine Träume verwirklicht? Spannend wäre das sicher.
© Rezension von Tina Wiegand zu "Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich bloß in ihr zurecht finden."
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