Ursula Tallafuß- Frau ohne Haus

Datum 02.08.2006 16:04 | Kategorie: Texte

Heute ist Sonntag.
Draußen ist herrliches Wetter, und sie, sie heißt Lieserl, steht mit ungekämmten Haaren in der Küche. Sie nimmt ein Wattestäbchen, wischt damit den Dreck aus der Umrandung des Herdes und wirft es dann in den Mülleimer; hopp auf ewig. Fertig.
Da klingelt es.
Seine Verwandten sind da. Liesel wischt sich die Hände an der Schürze ab, nimmt die Schürze ab und geht zur Tür. Franzens Schwester Traute und ihr Mann der Hansi, sein Bruder Sepp und die Ilse. „Ja servus, Grüß dich! “ „Nur hereinspaziert.“ Liesels Lächeln gefriert. Kein Blut, nur Wasser.
„Schließlich bezahlt das hier mein Bruder “, klappern Trautes forschen Schritte inzwischen und bewegen sich zielstrebig ins Badezimmer, wo sie sich genau umsieht.
Das Liserl seufzt und bittet zu Tisch.
Der Sepp setzt sich als Erster hin, obwohl er unbedingt außen sitzen will. Heute ist ihm das mißlungen und er sitzt ganz eingezwickt .Ein Mann lässt sich nicht einsperren. Da kriegt er einen engen Hals, der Sepp. Sogleich wischt er energisch ein paar „Brösel“ vom Tisch und schaut strafend. Keiner reagiert. Langsam fasst er sich an den Kragen, nestelt herum und hält dabei die Luft an. Er wird zuerst rötlich, dann ganz rot im Gesicht und dann fängt er an zu japsen: „ Ilse, meine Tropfen, ...schnell.“ Die Ilse schiebt sich wortlos an seinem Bauch vorbei , (viel weiter war sie eigentlich noch nie von ihm weg) weiter Richtung Garderobe; sie holt die Tropfen. „Aaaaa“, macht sie ihm vor, „Wäh“ sagt er dann. Ilse drückt ihm schnell das Glas Bier in die Hand, zum Nachschwemmen, wie sie sagt.
Die Psychopax verschwinden, dem Geräusch nach zu urteilen hat die Ilse auch ein Schluckerl davon genommen.
Leichteren Schrittes schiebt sie sich an ihrem Mann vorbei und grinst in den dämlich leeren Raum.
Das Lieserl serviert die Rindsuppe bald nachdem sie Franzens Schritte auf der Treppe vernimmt; kurz vor zwölf.
Gut gelaunt kommt ihr Ehegespons heim. Er begrüßt auch sogleich seine Verwandten: - „ Traute, fesch bist; Hansi mein Freund! Noch ein Bier, Sepp?“, er gießt ihm ohne die Antwort abzuwarten nach.
Franzens Backen glänzen leibhaftig und sein Schnurrbart hüpft in fröhlicher Erwartung auf die Suppe.
Traute mag keine Suppe. Drauf sagt Franz „Suppenkasper“ zur Traute, woraufhin die Traute wie immer am Tischtuch zu nesteln anfängt und zu Franz sagt: „Also Franz, das ist nicht schön von dir.“ Dabei lächelt sie krampfhaft. Franz spielt mit und entschuldigt sich mit dem Satz: “Du schaust ja auch gar nicht wie ein Strich aus. Mir gefällt sowas eh besser als der Liesel ihr dicker Popsch.“ Da fängt der Hansi, Trautes Mann, zu lachen an weil die Traute wirklich wie ein Strich ausschaut. Die Ilse stimmt auch mit ein ins Lachen. Bis alle Lachen, sogar die Traute wieder, alle bis auf eine halt und das war die mit dem dicken Hintern und dem doofen Mann.
Die hat genug von all den Leuten hier; Sonntag für Sonntag.
Aber weil sie jetzt eben endgültig genug hat (die Liste mit Sachen, die sich nie geändert haben obwohl sie nerven, wäre zu lang) schaut sie noch einmal durch die Runde, steht auf, packt ein paar Sachen in den Rucksack und die Handtasche, nimmt ihre Jacke, und geht einfach zur Tür hinaus.
„Beleidigte Leberwurst,“ hört sie den Sepp noch rufen und: „Geh, die kommt schon wieder,“ den Franz.
Sie geht einfach.
Statt dem Druck zu funktionieren, spürt sie plötzlich den Drang zu leben.
Frau ohne Haus.
Sie geht Richtung Süden, der Sonne entgegen; die wird hinter der Ortstafel in ihr scheinen.
Der Sonne entgegen gehen fühlt sich schön schauderlich an. Die Gedanken prasseln einfach auf sie herunter. Liesel lässt sie einfach prasseln und geht mitten durch. Sie kennt jeden einzelnen von ihnen. Alle fangen mit: „Du bist“ an und hören mit „schuld“ auf.
So geht es sich schwer.
Lies konstatiert eine gewisse Beinfreiheit als ihr wieder einfällt, dass sie ihre Schulden ja zahlen kann; per Erlagschein. Sie überweist Franz ein: „Danke und schuldig des Anessens eines dicken Popsches“, den Verwandten überweist sie ein: „Danke für gar nichts“. An Gott überweist sie die Schuld des bequemen Lebens und des fehlenden Mutes, an den Teufel die Angst. An ihre Eltern überweist sie die Schuld, ihren kleinen Vorstellungen zuerst gefährlich und dann gerecht geworden zu sein. An die Welt überweist sie die Schuld die vibrierende Verbindung zwischen ihr und dem ganzen Da auf „müssen und sollen“ abgerissen zu haben.
„Fertig“ denkt Liesel und grinst. Fröhlich pfeifend pinkelt sie hinter einen Busch und denkt an all die Sachen, die sie jetzt machen kann, dann macht sie sie.
Zuerst hüpft sie auf dem linken Bein, dann auf dem rechten. Sie wirbelt um ihre eigene Achse, dann um die Sonne, sie koketiert mit der Fliehkraft und gibt sich der Ziehkraft hin. Sie singt.
Die Verbindung ist wieder hergestellt.
Jetzt wird es dunkel; die Sterne kommen.
Flott zieht sie weiter bis in die nahe gelegene Kleinstadt. Die Stadt ist ihr bekannt, hierher ist sie immer mit Franz zum „Shoppen“ gefahren.
Bei Nacht sieht es hier unwirklich aus. Die Taube am Dach schläft nicht, sie tut nur so. Liesel betrachtet die Landschaft, und die Landschaft trachtet, gut hinter orangen Geranien getarnt, zurück. Sie wünschte, ihr Leib wäre etwas bedeckter. Vorm Altersheim „ Butterbrots“ bleibt sie stehen, wo außen dran sich kleine Balkone befinden mit Aussicht auf den Friedhof.
Der Efeu umrankte Balkon wird von einem bewohnt, der einen direkten Blick auf das Grab von Franziska Fast hat. Er löst seine Augen vom monden Stein, weil er zur Nachtblonden hinunter auf die Straße schauen möchte. Er sieht sie sammelt Ahornblätter. Er sieht sie bastelt eine Art Kopfbedeckung, einen Kranz vielleicht. Er sieht sie ein kleines Stück weiter gehen, sieht, wie sie sich bückt, zum Asphalt hinunter, wo ein Unkraut blüht, gelb, sieht, wie sie sich anders besinnt; sie geht zu dem Beet der Frau Meier und pflückt dort eine Schachbrettblume; braunweiß natürlich. Am nächsten Morgen wird Frau Meier den Verlust der neunten Glocke feststellen müssen. Da, wo sie vorher gestanden hat, riecht es nach Paris, wird Frau Meier sagen.
Die Liserl befestigt die Schachbrettblumenglocken hinten am Kranz wie Indianerfedern. Auf leisen Sohlen geht sie um die Ecke. Der Mann in der Efeulogga fühlt sich berührt.
Wohin würde er gehen? Reihe vierzehn, Grab zweiunddreißig, neben Franziska; bis hierher und nicht weiter. Er greift zu seinem Riechfläschchen und wendet sich erneut Franziskas Fasts monden Stein zu: „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, du sagtest dass ich unbedingt Schokolade mitbringen soll. Wie? Ja, die mit den Nüssen…“
Lies geht zum „Farben Lackner“.
Weil sie eine aufmerksame Konsumentin ist, weiß sie, dass der Schlüssel unter dem Schuhputzigel liegt. Der Bewegungsmelder geht promt an, als sie sich bückt, und Lies holt sich ihre paar Spraydosen und Süßigkeiten unter Außenlicht. Mit Smarties im Mund und einer roten und einer grünen Hand verlässt sie den Laden nach einer Weile. So geht sie durch die spärlich beleuchteten Gassen zurück zur Straße, sieht sich nach allen Seiten um und schreit: „Darf wer raus zum Spielen?“ Die Häuser bleiben dunkel.
Sie wirft ein paar Smarties gegen die Fenster. Keine Reaktion. „Huhhuuuuuh darf wer raus?,“ , ruft sie kauend. Die Häuser bleiben dunkel.
Sie meint, dass die da wohnen ruhig auch mal am Lack schnüffel könnten, dann schüttelt sie die Dosen nochmal kräftig und macht sich ans Werk:
!!! FÜTTERN ZWECKLOS !!! steht bald auf den Asphalt. Sie umgrenzt den Schriftzug noch mit zwei strahlenden Bananen und rennt dann den schnellsten Weg die Stadt hinaus hinunter.
Dabei muss sie an der Kirche eine scharfe Kurve nehmen, wo sie den Pfarrer die Tür hineingehen sieht, er lässt die Tür offen, den Schlüssel stecken, an der Mauer lehnt sein Rad. Sie bremst zusammen. Blitzschnell die Gelegenheit erkennend, versperrt sie die Tür hinter ihm und wirft den Schlüssel in den glitzernden Kirschbaum und die leeren Spraydosen in den Mistkübel. Ordnung muss sein und sein Fahrrad beugt sich nur zu gern in der grenzgenialen Idee eines KTM Damenrades.
Damit schaffte Lies es die gewundene Bergstrasse hinauf und sieht von oben auf die Stadt hinunter. Sie sieht sie in einer Käseglocke weilen. Weil die Wolken ziehn, sieht die Szene bald aus wie ein aufgezogener Kreisel, in dem die Stadt mit Maus und Haus und Hund und Katz und Mann und Hut und Stock und Frau und Gut und Rock sich unermüdlich um die eigene Achse drehen und ihre Münder zu einem einzigen Ausruf zusammentun: Mei san mir fesch!
Dann heißt es den Berg hinunter fahren. Der kalte Wind zischt Lies nur so ins Gesicht, sodass sie kaum Luft zum Atmen kriegt. Sie rast abwärts; denkt daran zu bremsen, aber sie muss rasen oder es kracht.
Lies hört nur mehr den Wind, streckt ihm den Kopf entgegen, atmet durch die Nüstern, sieht eine scharfe Kurve auf sich zukommen; vertraut ihrem Körper ganz und gar: sie kriegt die Kurve, kriegt die Kurve, die Kurve. Kurve .…;;;; … „Ja! Ja! Ja !“ schallt es in der Dunkelheit aus dem Mund dieser Frau, die jetzt mit weggestreckten Armen und Beinen hinunter rollt die und sich fühlt wie neu geboren.
Lieselotte, Tochter von Mutter Grün und Vater Wind.
Ihr nächstes Ziel ist der Güterbahnhof. Dort wird sie den Zug nach Italien nehmen.
Weil sie schon immer ihren eigenen Palazzo wollte.


© Ursula Tallafuß lebt in Graz



Dieser Artikel stammt von Hausfrauenrevolution
http://hausfrauenrevolution.com/html

Die URL für diesen Artikel ist:
http://hausfrauenrevolution.com/html/article.php?storyid=118