
Tina Wiegand- Saubere Arbeit
Datum 26.03.2008 21:29 | Kategorie: Texte
| Betrachtet man familiäre Konflikte, so erhitzt sich das Gemüt gerne an der Hausarbeit. Wieviel gnadenloser Psychoterror den angeblich geliebten Kindern durch unordentliche Zimmer entsteht, läßt den Beobachter immer wieder staunen. Da wird Zimmerarrest erteilt, (was einer Haftstrafe gleichkommt), Taschengeld wird gestrichen, (damit den Sprösslingen frühzeitig mit Bußgeldkatalogen konfrontiert wird), es wird beleidigt, genötigt, beschimpft, herabgewürdigt, gedemütigt, geschrieen und mit wochenlangem Liebesentzug reagiert und man fragt sich, ob die sanktionierenden Eltern noch bei Trost sind. Führungsqualität kann man ein derartiges Gefuchtel wohl kaum nennen und es erstaunt, dass es die Eltern erstaunt, dass die malträtierten Jugendlichen erstaunlichen Widerstand leisten. Das Staunen findet vor allem deswegen kein Ende, weil alle immer das selbe tun und niemals Erfolg damit haben – bis auf den „Erfolg“ mit den bedauerlichen Geschöpfen, die schon früh ihr lebendiges Seelenleben der Ordnung opfern, und zwanghafte Strukturen entwickeln.
Angesichts dieses Getümmels frage ich mich manchmal, für wen ein gewisser Adolf eigentlich die Welt säubern wollte, bis nur noch blonde, blauäugige Menschen übrig waren. Komischerweise war besagter Adolf braunäugig und braunhaarig, was nahe legt, dass dieses kranke Menschenkind die Welt – unbewusst vielleicht - von seinesgleichen säubern wollte. Warum aber könnte so jemand dies tun wollen?
Betrachtet man den „modernen“ Umgang mit Kindern in Bezug auf die Ordnung in ihrem Kinderzimmer, beobachtet man einen Prozess, in dem ein Kind leicht zu der Überzeugung gelangen könnte, dass weder Würde, noch Selbstwert, noch seine Talente, noch seine Seele von Wert sind, solange das Kinderzimmer nicht aufgeräumt ist. Dabei entlockt die Ordnung in besagtem Zimmer jedoch keinerlei enthusiastische Jubelschreie oder sonstige Begeisterungsausbrüche. Die Belohnung für Ordnung ist nur die Abwesenheit von seelischer Folter, die Abwesenheit von brutalem Psychoterror. Der Beobachter fragt sich, ja hat den die Welt keine anderen Sorgen? Nein, hat sie nicht! Saubere und ordentliche Gartenbesitzer lauschen pfeifend und gut gelaunt stundenlang dem nervtötenden Kreischen einer Kreissäge, während sie Holz für den Winter machen. Sie hämmern und schmirgeln und mähen und sägen fröhlich und wohlgemut – aber wehe, es spielen Kinder auf der Straße, die es auch noch wagen zu lachen.... dann heben sich knurrend Lefzen von den Zähnen, der Blick verdunkelt sich und Hände ballen sich zur Faust. Angesichts der heranstürmenden Ausgeburt an Wut und Vernichtungswillen erstirbt jedes Kinderlachen im Ansatz – was dem armen Wesen aber nicht erspart, eine hasserfüllte Tirade über sich ergehen lassen zu müssen. Freude verboten! steht da. Gescholten schleichen die hängeohrigen Jungen davon oder leisten – wenn ihnen das Kreuz noch nicht gebrochen wurde, erbitterten Widerstand. „Die Jugend von heute....“ hört man dann diesen Erwachsenen knurren, der in seinem Auftritt einem aufgebrauchten Schimpansen nicht unähnlich ist, bevor er die Kettensäge wieder anschmeißt.
Ja, die Jugend von damals, die war anders. Sauber, adrett und gehorsam. So, wie unser Adolf, der nicht trank, nicht rauchte, keine Weibergeschichten hatte und Körperertüchtigung ebenso hoch hielt, wie das Ideal der Mutter. So hoch, dass er sogar ethnisch säuberte? Menschen, die vergast werden sollten, wurde erklärt, sie würden „entlaust“. Eine saubere Lösung mit Hilfe von Insektenvernichtungsmitteln – sauber und mit unendlichem Grauen verknüpft.
Die Jugend von heute? Tja, die Jungen von heute wollen keine Putzfrauen und -männer mehr sein. Wenn sie einen Gesprächspartner finden, der sich für ihre seelischen Belange interessiert, ihre Grenzen respektiert und in seiner Prioritätenliste das Denken und Lieben über das Putzen setzt, dann zeigen sich diese jungen Wesen plötzlich von einer ganz anderen Seite. Nach anfänglicher Berührungsangst verwandeln sie sich in humorvolle und neugierige Lern- und Wissbegierige, die einem mit wachen Augen Löcher in den Bauch fragen. Unsere nachfolgende Generation besteht aus großartigen Individuen voller Potentiale und Talente. Allerdings stellen sie hohe Anforderungen an die geistige und emotionale Intelligenz ihrer Gegenüber und stellen Fragen, die einen selber zum Nachdenken anregen. Nur ein Narr würde es wagen solche Fragen mit Plattitüden zu beantworten. Nur Narren übersehen das helle Strahlen in den Augen junger Menschen, wenn diese sich verstanden fühlen, wenn nach ihren Talenten und Interessen gefragt wird. Narren sind nicht dabei, wenn Gespräche anregend und inspirierend werden, denn sie waschen gerade ihr Auto, reparieren den Zaun, jäten Unkraut, putzen Fliesenfugen mit einer Zahnbürste oder vergeuden ihr Leben anderweitig. „Ein zu sauberes Haus deutet auf ein vergeudetes Leben hin“ besagt ein alter Spruch aus dem Volksmund. wie wahr, wie wahr.
Wieviele Jugendlicher aus einer geistigen Unterforderung und seelischen Überforderung heraus hauptschulisch herum depressiven, weil niemand es für nötig befindet oder fähig genug ist, sich näher mit ihnen zu befassen und die Hintergründe ihres Leistungsversagens zu ergründen, läßt sich gar nicht ermessen. Der junge Adolf zeigte auf jeden Fall durch plötzlichen Leistungsabfall nach dem Tod seines Vater, einem alkoholkranken Tyrannen, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung war. Dringend hätte jemanden gebraucht, der ihm Worte gab für das, was in ihm vorging. Damals ist zwar damals, aber es ist erschreckend, wie oft das heute noch vorkommt und die Eltern nichts besseres zu tun haben, als auf Leistungsabfall ihrer Kinder mit erneuten Sanktionen zu reagieren. Dabei fällt auf, wie selten Eltern darüber reden, welche Talente ihre Heranwachsenden haben. Dieses Privileg liegt eher bei den Kleinen, die als Genies hervorgehoben werden, bis sie in die Schule kommen und den Notenerwartungen nicht gerecht werden. Es wird selten darüber gesprochen, welche Sicht der Dinge der Heranwachsende vertritt, was seine Träume und Visionen sind, wie sein Utopia aussieht. Warum darüber nicht gesprochen wird? Weil die Eltern über diese Nebensächlichkeiten gar nichts wissen. Sie sind zu sehr mit dem unaufgeräumten Zimmer beschäftigt und der Tatsache, dass sich die jugendlichen nicht fügen wollen.
Eine Idee vom Utopia der Jungendlichen bekommt man, wenn man sich die kreativen Spiele im Internet anschaut, in denen Stellvertreterleben in virtuellen Welten gelebt werden. Hier geht es um Mut und Heldentum, um richtig und falsch, um ethische Werte um Phantasie, Kreativität, neue Welten und Gesetze und der Erfindungsreichtum der Jungen wird sichtbar. Es ist so spannend, dass auch Erwachsene sich auf die Spiele einlassen und in diese andere Welten eintauchen. Aber das einzige, was Eltern interessiert, ist die Suchtgefahr, die sich hinter dem PC Konsum verbirgt und das – ich erwähnte es schon – unaufgeräumte Zimmer des Spielers, der ganz versunken im Hier und Jetzt seiner Welt weilt.
Deutschland war einmal ein Land der Dichter und Denker.... War? Nein, es IST ein Land voller Denker und Dichter. Unsere Jugend besteht aus vielen klugen Köpfen, mit unermesslichem Potential. Aber Potential alleine löst noch keine Probleme. Im Gegenteil. Nicht gefördertes Potential ist eine Kraft, die sich, wenn sie nicht durch den Verstand auf ein konstruktives Ziel gerichtet wird, in eine destruktive, tödliche Gefahr verwandelt. Nichts ist tödlicher als Langeweile und nichts langweilt mehr als Unterforderung. Das rednerische Talent eines Adolf Hitlers wurde leider von den falschen Menschen anerkannt. In seinem Suchen nach Orientierung hätte er genau so gut an einen liebevollen Universitätsprofessor geraten können, aber es waren rechtsradikale Kräfte, die ihn förderten und denen er sich deshalb dankbar und kompromisslos verschrieb. Sein geistiges Potential suchte sich kritiklos einen Förderer. Irgendeinen, denn die konstruktiven wollten ihn nicht haben. Abgesehen davon, woher hätte eine konstruktive Kritikfähigkeit auch stammen sollen?
Wie an diesem schrecklichen Beispiel wird auch heute immer wieder sichtbar, wie wichtig reflektierende Gesprächspartner, die etwas von Psychohygiene verstehen, für junge Menschen sind. Reife, freundliche Menschen, die den Blick vom Putzeimer heben, mit den Jungen zusammen nachdenken und philosophieren, über Beruf und Berufung diskutieren und so geistiges Potential fördern. Unser Schulsystem ist in Sachen Intelligenzförderung veraltet und kontraproduktiv. Die einzige Hoffnung, die die Jungen haben können, ist daher die Wirtschaft, deren Führungskräfte Ausschau halten nach ausbaufähigem Nachwuchs. Leider wird auch hier zu oft auf den Notenstand geachtet, der, wie schon erwähnt kein Maßstab sein kann. Es besteht auch die Furcht vor dem Widerstand, den Jugendliche zu leisten imstande sind. Dabei wird ein Junger, der einen Älteren geistig anerkennt, sich kaum in Machtkämpfen verlieren. Eher wird er oder sie neugierige Anerkennung und Dankbarkeit entwickeln.
Vielleicht ist es ungewöhnlich – aber in vielen Situationen vielleicht hilfreich, sich zu fragen: „bin ich für mein junges Gegenüber intelligent genug, oder müsste ich mich fortbilden?“ Wieviele Menschen haben eine derart geistige und psychische Größe? Wer schafft es zuzugeben: „Du bist intelligenter als ich, deshalb kann ich dich nur bis zu einem gewissen Punkt begleiten, danach mußt du alleine weiter.....“ Welch Forderung an eine narzisstisch und nazistisch verletzte Welt.
Die Zukunft unseres Landes liegt nicht mehr in der Produktion, nicht in der Fertigung am Band oder sonstigen untergeordneten Arbeiten, sondern in der Dienstleistung und im Beratungsbereich. In Bereichen also, wo Denkleistung eine übergeordnete Bedeutung hat. Eine berufliche Zukunft hängt davon ab, ob jemand seinen Beruf aus Begeisterung heraus ergreift, ob er weiß wo seine Stärken und Schwächen liegen, ob er eine produktive Kommunikationsstruktur beherrscht, ob er lösungsorientiert denken und sein Gegenüber faszinieren kann.
Wir stehen vor großen Problemen wie Klimaerwärmung, demographischem Wandel, Globalisierung, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umbrüchen. Ich habe großen Respekt vor einer Generation, der das Schicksal derartige Probleme zumutet, denn wenn der Mensch so groß ist, wie seine Probleme, muss es sich bei unserer nachfolgenden Generation um geistige Giganten handeln. Höchst bedauerlich, wenn ein kranker Kleingeist, der in Werten aus einer Zeit vor dem 3. Reich stecken geblieben ist, sich weigert, diesen großen Geist adäquat auf seine Aufgabe vorzubereiten. Ich behaupte ganz frech, dass sich das Grauen des 3. Reiches leicht hätte verhindern lassen, wenn ein verantwortungsbewusster Erwachsener dem jungen Hitler begegnet wäre, um ihm dabei behilflich zu sein, seine Talente in die richtige Richtung zu lenken. Wie lange wird es dauern, bis wir diese Botschaft verstanden haben?
Ich plädiere nicht für Chaos, Saustall und Anarchie, wenngleich ich der Meinung bin, dass häusliche Ordnung unter den ersten 5 Prioritätenpunkten eines Lebens nichts zu suchen hat. Ich plädiere für ein tieferes Verständnis der menschlichen Natur auf breiter Ebene. Ein adäquat geförderter Geist entwickelt automatisch ein ästhetisches Bedürfnis. Ein feinsinniger Menschen spürt die feinen Energien, wie das Feng Shui sie beschreibt, und wird der Ordnung eine Bedeutung in seiner Prioritätenliste geben, wenn die Zeit dazu reif ist. Wer seinem Nachwuchs den Respekt entgegenbringt, der einem göttlichen Wesen gebührt, dessen Begleitung uns bis zu seiner Adoleszenz an Herz gelegt wurde, wird überrascht feststellen, dass dieser Respekt zurück kommt, und der entspannte und differenziert denkende Nachwuchs freundliche Hilfsbereitschaft an den Tag legt, wenn er zeitweise selbstverständlich zum Putzeimer greift. Wenn Putzen nicht mit Grauen, Schrecken und Zwang assoziiert wird, kann man nämlich auch beim Putzen denken – und sogar Lachen.
Ob die Jungen später jedoch Arbeitsplätze für Putzkolonien schaffen oder sich selber darum kümmern müssen, wird wohl von der Qualität Ihrer Denkleistung abhängen. Die Frage, wer dafür die Verantwortung übernehmen soll und kann, ist nach meine Dafürhalten bisher noch nicht zufrieden stellend beantwortet worden.
© Tina Wiegand
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