
Ghita Cleri - Kleine FarbenLehre
Datum 11.12.2008 08:13 | Kategorie: Texte
| Wären die Wolken so grau wie meine Gedanken, sie wären nicht grau. Sie wären farblos. Farblose Gedanken - ich hätte sie mir nie vorstellen können. Du hast mir meine Farben geraubt. Du hast sie umgesetzt in Schuhe und Kleider, hast sie an deine Freundinnen ausgeliehen, sie an Wände gemalt und auf Litfaßsäulen geklebt.
Es waren meine Farben, ich hatte mein bis-langes Leben dafür benutzt, sie zu entwickeln, zu verfeinern, sie zu mischen und zu sammeln. Dann habe ich sie dir gezeigt. Du warst so begeistert, klatschtest in deine süßen zärtlichen Hände, dein Augenaufschlag fesselte mich, dein Lächeln verführte mich, deine Stimme bezauberte mich, die wortlosen Versprechen lähmten mich - und du zogst an meinen Schnüren wie eine erfolgreiche Puppenspielerin.
Dann habe ich dir meine schönsten Farben geschenkt. Dieses ganz besondere Blau, es sollte deine Träume begleiten. Das Grün war für deine schillernden Augen gedacht. Silbern für den Augenaufschlag. Das mochtest du am wenigsten. Dann fiel mir diese eigenartige Lila-Mischung ein, sie sollte deiner Leichtigkeit folgen. Dunkelbraun hast du abgelehnt und ich habe mich gefügt. Dabei war es ein herrliches Kaffeebraun, wie deine Haare so dicht und duftend. Bei Rosa verweigerte ich mich und habe mich dafür geschämt. Dafür schenkte ich dir mein sinnlichstes und intensivstes Rot als Beigabe zu meinem Herzen, das du dir in eine deiner vielen Handtaschen gesteckt hattest als ich es nicht merkte. Ich habe bislang nicht gewagt, mein sehnendes Herz zurück zu verlangen.
Doch als ich in der Zeitung las, du hättest einen Farbenladen aufgemacht, wurde ich stutzig. Bei meinem Besuch heute Morgen entdeckte ich alle meine Farben. Schmerzhafter fand ich, die vielen anderen Farben daneben zu sehen. Insbesondere die große Auswahl der Rottöne hat mich verblüfft. Wo du die wohl her hast? Ich frage mich auch, wo du all die Farbenkünstler gefunden hast. Das hat mich sehr interessiert. Drum habe dich das gefragt, als du an die Ladentheke tratest. Du lachtest, dein hellgelbes Lachen, das ich immer ein bisschen zu grell fand. Du schautest mich herausfordernd an. Ich schaute dich wohl verwirrt an. Dein Lachen verebbte. Ich suchte nach deinem Blick, du hast ihn hastig gesenkt. Und dann vermisste ich das Grün. Deine Augen, so farblos. Wie der Tag. Wie die Wolken. Wie mein Herz das in der Ecke lag.
Dann kaufte ich dieses ganz intensive sinnliche Rot auf. Es war im Sonderangebot.

© Ghita Cleri
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