
Wolfgang Sréter - Der Checkpoint Beit Iba, Donnerstag 27. August 2008
Datum 12.09.2008 20:10 | Kategorie: Texte
| Wenn man sich vorstellt, dass es nicht nur an den Grenzen zur Schweiz, sondern am Ende jeder Ausfahrtstrasse einer Ortschaft eine Sperre gäbe an der man seinen Pass vorzeigen müsste, und die Schweizer würden im eigenen Land von fremden Soldaten jeden Tag gedemütigt, dann bekommt man in etwa eine Vorstellung, was jeden Tag in Palästina passiert. Am Donnerstag Nachmittag müssen die palästinensischen Studenten und Studentinnen aus Nablus, die im Norden oder Nordwesten der Westbank wohnen und nach Hause wollen, den Checkpoint Beit Iba passieren, der sich direkt am Stadtrand befindet. Alle müssen die Busse oder Taxis zu verlassen. Für die jungen Männer unter 35 gibt es zwei Schlangen mit Drehkreuzen, in denen sie solange gefangen sind, bis man ihre Taschen durchsucht hat. Sie müssen zusätzlich die Schuhe ausziehen und die Gürtel und Mobiltelefone abgeben. Die Frauen und Männer über 35 dürfen in einen Gang ohne Drehkreuz, der die Bezeichnung Humanitarian Lane trägt. Daneben gibt es noch zwei Spuren für hupende Busse, Lastwagen, Taxis, Esel und Handkarren.
Normalerweise kommt das Team aus Tulkarem an zwei Tagen der Woche nach Beit Iba. Am Donnerstag und am Sonntag Nachmittag, wenn die Studenten und Studentinnen zurück nach Nablus fahren. Als wir um etwa 2 Uhr ankommen, warten am Übergang bereits mehrere hundert Menschen, entweder in der glühenden Sonne – an diesem Tag hat es etwa 36 Grad – oder unter einem stickigen Wellblechdach. Die Soldaten und Soldatinnen in Kampfanzug, Panzerwesten, Stahlhelmen und mit schussbereiten US-amerikanischen M 16 Schnellfeuergewehren sind in demselben Alter wie die Studentinnen und Studenten. Die Stimmung ist aufgeheizt. Wer versucht, sich auf den Sichtbetonabsperrungen niederzulassen, weil er müde ist, wird von den Soldaten rüde aufgefordert in die Schlange zurückzugehen. Es gibt immer wieder Rufe von beiden Seiten.
Einige junge Frauen versuchen durch den Übergang zu kommen, ohne ihre Pässe zu zeigen, denn der Soldat, der sie kontrolliert, hat seinen Platz seit einiger Zeit verlassen. Sie werden von einem Moment auf den anderen zurückgedrängt, als hätten die Besatzer nur auf einen solchen Augenblick gewartet. Plötzlich bricht Chaos aus. Brüllende Soldaten und vor allem Soldatinnen, Lautsprecher, Sirenen, Gewehrmündungen und eine Menge, die nur bereit ist Zentimeter um Zentimeter zu weichen, weil sie schon lange in der Hitze wartet.
Einer der Soldaten rollt auf dem Zementboden eine sog. Soundbombe in die Menge, die direkt neben dem Team explodiert. Soundbomben sind eine perverse Erfindung der Neuzeit. Sie imitieren einen Schuss und sind die Vorstufe zu Tränengas, Plastikgeschossen oder scharfer Munition. Ein Mann wird ohnmächtig, andere fallen über den am Boden Liegenden. Die beiden Jungen, die im Drehkreuz gefangen sind, versuchen sich herauszuwinden. Die Palästinenser vermuten, es sei tatsächlich geschossen worden, und fliehen Hals über Kopf.
Es dauert etwa eine Stunde, bis sich alles etwas beruhigt hat. In der Zwischenzeit ist der Übergang, der von den israelischen Frauen von Machsom Watch „Sperre“, nicht Checkpoint genannt wird, geschlossen und die Wartenden dürfen nicht einmal mehr unter das Vordach. Als wir einen der Soldaten, der die Hose seines Kampfanzugs wie ein Hipp Hopper an den Knien hängen hat, nach dem Grund für den Zwischenfall fragen, sagt er, es hätte Bombenalarm gegeben. Auf die Antwort, sie selbst hätten die Bombe geworfen, zuckt er mit den Schultern und geht.
Anschließend haben wir ein Gespräch mit Abdul Kharim, dem Verantwortlichen für Menschenrechte in Tulkarem und einem Journalisten. Sie sagen, es werde noch schlimmer werden, denn in vier Tagen beginne der Fastenmonat Ramadan, an dem alle Muslime unter Tags nichts essen und trinken dürfen. Die Soldaten versuchen dann zusätzlich sogenannte fliegende Checkpoints zu errichten, um die Menschen solange wie möglich in der Hitze aufzuhalten.
Als wir selbst uns einigermaßen beruhigt haben, können wir feststellen, dass die Palästinenser gut organisiert sind. Die Busse werden offensichtlich sofort über Mobiltelefone informiert und weit vor der Sperre gestoppt, um die Situation zu beruhigen. Die israelische Seite betont immer wieder, die Checkpoints mitten in der Westbank dienten der Sicherheit, aber jeder, der seinen Pass nicht vorzeigen möchte, oder kein Permit hat, kann natürlich zu Fuß über die Felder gehen und damit der Kontrolle ausweichen. Wird er dabei erwischt, muss er allerdings ins Gefängnis.
Wir haben beschlossen wiederzukommen, zu beobachten, Berichte zu schreiben, sie an die entsprechenden Stellen weiterzuleitenden, den Soldaten Fragen zu stellen, mit den Studenten zu reden und bei Bedarf die Humanitarien Hotline anzurufen.
Mehr kann man hier nicht tun.
© Wolfgang Sréter
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