H. S. - Eine kleine künstlich-künstlerische Kunstbetrachtung

Datum 05.06.2008 12:25 | Kategorie: Texte

Kürzlich saß ich mit einigen Menschen bei einem guten Tropfen beisammen. Mehr oder minder aufmerksam lauschte ich den vorbeihuschenden Gesprächsfetzen, war mir doch nach einer kräftigen Mahlzeit ein wenig schläfrig zumute.
Man tauschte Freundlichkeiten aus, lachte dann und wann verhalten, hüstelte und räusperte sich diskret nach dem Anrauchen einer frischen Zigarre. Kurzum – ein netter, harmonischer Abend, wenn auch nicht in besonderem Maße anregend, bis auf einmal ein Ausspruch eines der Herren – ein bekannter Literat – mich hochfahren ließ.
„Wir Künstler,“ hatte er gesagt, „wir Künstler pflegen die Dinge eben etwas anders zu sehen...“
„Verzeihung, werter Herr,“ vergewisserte ich mich. „Habe ich es richtig verstanden, dass Sie sich selbst, den Literaturschaffenden, als Künstler begreifen und damit die Literatur als eine der Künste?“
„Aber gewiss doch, lieber Freund,“ gab er zurück, „gewiss ist die Literatur eine Kunst, was wohl sollte sie denn sonst sein?“
„ Ha“, dachte ich für mich, „also auch ich , der sich stets als armen Schreiberling bezeichnet und der sein kümmerliches Dasein mit dem Abfassen verschiedenster Texte – nichts anderes als „das Geschriebene“ besagte ja das lateinische „Litteratura“ – finanzierte, also auch ich ein Künstler?
Unter diesem Lichte hatte ich mich selbst noch nie betrachtet und tatsächlich war ich mir auch nicht sicher, ob ich dies überhaupt wollte. In einem Topfe stecken mit dem skurrilen Bildhauer von gegenüber, mit der exzentrischen Operndiva von oben, die den ganzen Tag ihre Arien und Tonleitern übte und stets ein Nerzcape um den Hals gewickelt trug, gleichgesetzt sein mit dem homosexuellen Maler von nebenan, der der Normalität völlig entrückt in Frauenkleidern durchs Leben tänzelte?
„Wollen sie denn wirklich“, hakte ich also noch einmal schüchtern nach, „wollen sie sich denn tatsächlich allen Ernstes auf eine Stufe begeben mit Schauspielern, mit Ballettmäusen, gar mit Schlagersängern, die sich doch auch samt und sonders ebenfalls als Künstler bezeichnen?
Nun doch ein wenig nachdenklich geworden rief er nach dem Wirt, orderte einen weiteren Krug des Roten und beauftragte ihn, einen Boten nach seinem Heime zu senden um die dicke Enzyklopädie herbeizuschaffen.

Während wir warteten, warf einer der Herren die Frage auf, ob denn der Begriff Kunst nicht überhaupt negativ behaftet sei. Kunstlicht, Kunststoff, Kunstfaser, Kunstfehler, gekünstelt usw: Schließlich bedeute künstlich unecht, unnatürlich und somit spiele Kunst den Widerpart zur Natur und dies könne doch eigentlich nicht als positiv betrachtet werden.
„Außer von nur zukunftsgerichteten Technikfanatikern“, warf ein anderer ein, dies bedeute aber, der Techniker sei der wahre Künstler.
„Nun meine Herren“, gab ich zu bedenken, „wie verhält es sich denn mit dem Wort an sich? Ist es natürlich oder künstlich entstanden, ist nicht sogar der einzelne Buchstabe bereits etwas Künstliches? In letzterem Falle dürfte sich unser kleines Geplänkel erübrigen, in ersterem allerdings, wenn das Wort also natürlich ist, frage ich sie, wo endet die Natur, wo beginnt die Kunst? Ist das Geschriebene erst dann eine Kunst, wenn es sich von der Realität und Authentizität völlig losgelöst hat, d.h. reine Fiktion ist? Dann wären Biographien, Tatsachenberichte und seriöser Journalismus nicht der Kunst zuzurechnen, die Regenbogenpresse und der typische Frauenroman wohl?“
„Das scheint mir doch eine recht merkwürdige Bemessungsgrundlage zu sein“, meinte der Herr Literat. „Meines Wissens kommt Kunst von Können und damit ist jeder ein Künstler, der sich vortrefflich auf sein Fach versteht.“
Der wohlhabendste Mann am Ort, der Sägewerksbesitzer, zeigte sich entzückt: „Da möchte ich mich aber herzlich bedanken, mein Lieber, denn dann bin ja wohl auch ich, der ich die vortrefflichsten Holzlatten zurechtsäge, ein Künstler, Und erst der Fliesenleger und der Ofensetzer, die werden recht runde Augen machen ob ihres neuen Ansehens.“
„Papperlapapp“, mischte sich nun der Pastor ein. „Ich denke, Kunst kommt von Künden, und damit versteht es sich von selbst, wer hier der wahre Künstler ist.“
So wurde munter weiter gestritten über die mögliche Herkunft des Wortes. Von Küste gleich Grenzraum, Kustos gleich Hüter, Bewahrer oder kursieren gleich in Umlauf setzen besprachen wir so ziemlich alles, was uns auch nur einen Funken Ähnlichkeit der Laute aufzuweisen schien. Mir persönlich sagte der Vorschlag sehr zu, dass Kunst vom lateinischen Cuprum abstammen könnte, denn mir war bekannt, dass bereits in der Antike Standbilder aus Bronze gefertigt wurden, und Bronze besteht ja zu einem guten Teil aus Kupfer, also Cuprum, was wiederum eine Ableitung von Cupido, dem Liebesgott, darstellen dürfte.
Die Kunst – geschaffen aus Liebe und damit auch der Liebesakt als reinste Form der Kunst? War dies nicht die allerschönste und erfreulichste Erklärung überhaupt?

Just in diesem Moment kehrte der Bote mit dem Nachschlagewerk zurück und alsbald erfuhren wir, dass dort die Kunst definiert wurde als „schöpferische Tätigkeit des Menschen mit Tönen, Sprache oder verschiedenen Materialien“.
Die darauf einsetzende Diskussion über das, was denn nun wohl unter „schöpferischer Tätigkeit“ zu verstehen sei und ob „Geschöpftes“ denn wiederum das Gegenteil von „Natürlichem“ sei, möchte ich gar nicht näher beschreiben.
Ich entsinne mich, dass im Verlaufe des Abends noch einige Krüge des guten Roten geordert wurden und wie ich mich selbst immer wieder am Riemen reißen musste, den Herrn Literaten nicht auf sein Kunsthaartoupet anzusprechen.
Als es dann doch geschah, ich also die Kunst der Selbstbeherrschung nicht mehr auszuüben fähig war, da kam es zu einigen kleineren Rangeleien...
Am nächsten Morgen meinte mein mir angetrautes Eheweib, nachdem es kopfschüttelnd meine leicht derangierten Kleider in Augenschein genommen hatte, der Abend und der Heimweg am durch das Hochwasser noch aufgeweichten Flussufer entlang seien wohl recht gefährlich verlaufen. Ich schien ihr, so sagte sie, ein rechter Überlebenskünstler zu sein...



© H. S.!!




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