Petra Plaum - Superkind gegen Minibaby

Datum 07.07.2006 11:15 | Kategorie: Texte

Wenn aus Säuglingen Konkurrenten werden

„Wir waren ja bei dieser U4 – also, mit 65 Zentimetern und siebeneinhalb Kilo ist meine Tochter ganz schön groß, sagt der Arzt. Und er meint, sie sei auch sonst ganz schön weit!“
Die Stimme meiner alten Freundin überschlägt sich schier vor Stolz. Und ich ärgere mich, ans Telefon gegangen zu sein.
Auf meinem Arm meckert mein eigenes Baby – drei Monate jung, klein und zart und ziemlich oft am Schreien. Ganz anders das Superkind, das meine Freundin vor vier Monaten zur Welt brachte: Das trinkt super, schläft ständig und ist meiner Tochter in jeder Hinsicht überlegen. Vorausgesetzt, ich glaube meiner Freundin das, was sie mir alle zwei Tage ins Telefon jauchzt. Und – täuscht es mich, oder wird die Angeberei schlimmer, seitdem die Kleinen das erste Vierteljahr voll haben?
„Meine hebt den Kopf schon FÜNF MINUTEN in der Luft!“ tönt es in meine Gedanken. „Sie rollt sich vom Bauch auf den Rücken und vom Rücken auf den Bauch! Kann deine das auch schon?“ – „Nein“, antworte ich und ringe um eine schlagfertige Antwort. Umsonst. Zum Schlagfertig-Sein bin ich schlichtweg zu müde – meine Nachtruhe wurde wieder dreimal unterbrochen... Ich gähne, was mir ein resolutes „Sag bloß, deine schläft immer noch nicht durch?“ einbringt. Ach ja, Superkind schlummert seit der Entlassung aus der Entbindungsklinik allnächtlich elf Stunden am Stück... und jetzt schon wieder. Bei meiner Freundin gibt’s nie Gekreische im Hintergrund, wenn sie mich anruft. Bei mir immer. „Oje, deine weint ja noch wie ein Baby“, kommentiert da die Freundin, „meine ist in jeder Hinsicht schon ein großes Kind.“ – „Ich will nach drei Monaten noch gar kein großes Kind haben“, entfährt es mir, beruhigend streichle ich das Minibaby auf meinem Arm. Das schreit... laut und lauter. Auch gut, hab’ ich schon einen Grund, aufzulegen.
Hinterher mustere ich meine Kleine. Nicht ohne Besorgnis. Natürlich ist sie gesund, aufgeweckt und das süßeste Baby der Welt! Selbstverständlich wächst auch sie – sprengt inzwischen fast ihre 62-er Strampler, sie, die bei der Geburt nur fünf Pfund wog und in Größe 50 verloren aussah. Jetzt hat ihr Körper überall kleine Pölsterchen, der Teint schimmert rosig, die Augen glänzen, und ihr Grinsen ist zum Verlieben. Doch von Gymnastikübungen oder gar Durchschlafen hält sie offenbar gar nichts!
In den nächsten Tagen frage ich viele Bekannte, und was ich da höre, macht mich noch unsicherer. 80 Prozent der Kinder aller älteren Damen in unserem Dorf haben angeblich NIE geschrieen. Die übrigen 20 Prozent wurden halt mal zwei Nächte lang weggeschlossen, bis sie dieses Fehlverhalten aufgaben. Und alle Mamas, die zur selben Zeit wie ich entbunden haben, scheinen kleine Schlafwunderkinder zu besitzen... alle außer mir. Immerhin gibt es da noch einige Babys, die mit drei bis vier Monaten weder Zähne noch sportliche Meisterleistungen vorzuweisen haben. Trotzdem bangt es mir vor dieser U4: Was, wenn Superkinds Mama recht hat? Ihr Kind die Norm ist und meines hinterher? Ich als Mutter durchfalle?
Ich verschiebe den U4-Termin so weit nach hinten wie möglich. Mein Minibaby ist genau vier Monate alt, als wir uns zum Arzt trauen. „6040 Gramm bei 60,5 Zentimetern. Das nenne ich Baby-Idealgewicht! Auch ansonsten entwickelt sich Ihre Tochter bestens“, lobt der Doc. „Ja, aber, die Tochter meiner Freundin hat drei Pfund mehr, hebt schon den Kopf und dreht sich alleine herum!“ – „Drehen können sollten Kinder sich bis zur U5 – also mit einem halben Jahr“, meint mein Arzt. „Und auch sonst gilt: Babys sind unterschiedlich. Es gibt gute und schlechte Schläfer, dünne und dicke Babys, solche, die motorisch weiter sind und andere, die früher sprechen. Alle gelten als medizinisch normal. Warum machen Sie junge Mamas sich nur so verrückt?“
Pah! Wenn ich jemanden verrückt mache, dann meine Freundin. Die rufe ich jetzt doch direkt mal an und erzähle ihr, dass mein Minibaby die U4 mit Bravour bestanden hat. „Ja?“ Der Papa nimmt ab. Im Hintergrund ist Geheule zu hören – durchdringendes Geheule. Eindeutig Babygeschrei übrigens, Kinderweinen klingt anders. Superkinds Papa blafft ins Telefon: „Hat meine Frau dir nicht gesagt, dass du von fünf bis acht nicht anrufen sollst? Da brüllt unsere Kleine ohne Pause!“ – „Hat sie nicht“, murmele ich, und mir wird klar, weshalb SIE MICH alle zwei Tage anruft – stets dann, wenn ihre Kleine schläft. Waren wir nicht schon in den letzten 20 Jahren immer mal wieder Konkurrentinnen – um die bessere Mathenote, das Date mit dem schicksten Kerl in der Tanzstunde, die coolste Geburtstagsfete? Doof, aber wahr: das neue Spiel heißt Superkind gegen Minibaby...


© von Petra Plaum
Veröffentlicht in Junge Familie 04/05



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