
Ghita Cleri - Brief an einen Freund
Datum 07.02.2008 19:02 | Kategorie: Texte
| Lieber Freund,
ich sitze hier an meinem Arbeitsplatz der nur erhellt wird von einer kleinen Lampe und dem Bildschirm und schreibe endlich an Dich. Nein, nicht daß ich mich einer Antwort lieber entzog weil ich dich meiden wollte; es ist halt, daß wir uns so lange nicht mehr gehört haben und noch länger, daß wir uns nicht mehr sahen. Manchmal denke ich, wir laufen beide immer noch unseren Träumen hinterher und bedenken längst nicht mehr, ob wir sie überhaupt noch wirklich träumen, geschweige denn, ob wir die Richtung in die sie uns lenken, auch wirklich noch einschlagen wollen. Haben wir die Träume verlegt, sind sie uns im Laufe der Zeit abhanden gekommen; verstecken sie sich nur im Dickicht der zerronnenen Jahre oder hat die Bedeutungslosigkeit sie längst ausgelöscht..? Verzeih, im Grunde genommen will ich Dir doch so viel Anderes schreiben!
Wie wärs, ich schreibe Dir einfach, daß am Freitag mein Tiefkühler und Kühlschrank den Geist aufgaben und am Samstag mein Telefon mit Anrufbeantworter und daß mein Auto am Montag eine neue Frontscheibe eingesetzt bekam weil sie durch einen Steinschlag kaputt ging Aber schöner ist doch, Dir zu schreiben, daß seit vorgestern hier die Sonne so wunderschön scheint wie an einem Spät-Februar-Tag der den nahenden Frühling verspricht; daß an meinem alten Apfelbaum nur noch die Äpfel hängen und in der Sonne genauso leuchten wie im Mondlicht der letzten Nächte, und seine Blätter dunkel und verwelkt auf der matschigen Wiese liegen. Die letzten Ringelblumen haben sich längst dem Nachtfrost gebeugt und morgen Abend werde ich im Supermarkt außer Mineralwasser und Milch auch wieder Vogelfutter kaufen. Der Wald neben meinem kleinen Häuschen ist dunkel und feucht. Der Januar geht zu Ende und der Winter hat nicht einmal richtig begonnen. Die Tage sind länger hell ohne wirklich hell zu werden. Die Adventszeit habe ich immer als die Lunte zum Weihnachtsfest gesehen; ich zünde die erste Kerze an und damit startet der Countdown zu Weihnachten. Und an Weihnachten werden die Tage wieder länger und die Weihnachtsfreude wandelt sich und zeigt sich als ungeduldige Warteschlage am Frühlingstresen – same procedure as every year....
Mein Lieber, nun habe ich Dir den Kopf voll geschrieben mit lauter Belanglosigkeiten und doch machen sie einfach mein Leben aus. Natürlich zwackt ab und zu der Rücken, nerven mich mein Chef sowie die Wäsche die immer noch ungebügelt rumliegt und der Garten, der dringend winterfest gemacht werden muß. Aber wichtig sind mittlerweile nur noch diese „Kleinigkeiten“, die in ihrer Summe wohl einfach das Leben ausmachen Sie füllen diese Zeit meines Lebens, geben ihm Raum und Halt, Sinn und Beständigkeit. Sie füllen auch die Zeit in der wir uns nicht sehen, nicht sprechen können, in der wir uns nicht austauschen können. Du weißt ja, ich plane meine Wochenenden immer irgendwie im Voraus, weil mir die viele leere und graue Zeit doch noch aufs Gemüt schlägt. Ich habe zwar hinzugelernt und es ist längst nicht mehr so schlimm, und doch muß ich manchmal feststellen, daß es während der Woche für mich einfach ist zu sagen, ich verbringe mein Wochenende allein und ruhig und nur für mich. Wenn ich dann am Freitagabend nach Hause komme, steht diese viele und leere Zeit hinter der Tür und lacht mich hämisch aus, weil sie weiß wie sie mich bedrücken und belasten kann. Ja, manchmal noch hat sie die Macht dazu. Doch das ist, zum Glück, nicht mehr so oft der Fall. Habe ich mir jetzt den Winter-Abend -Blues bei Dir von der Seele geschrieben?. Du verzeihst, nicht wahr, weil Du weißt, ich wollte Dich nicht benutzen.
Beim Überlesen habe ich feststellen müssen, daß ich es fertigbrachte Dir so viel zu schreiben, ohne Dich mit einem Satz zu fragen wie es Dir geht. Ich schäme mich. Und ich hole es hiermit nach: Wie geht es Dir, mein Freund? Du hast mir ja des Öfteren am Telefon erzählt, wie viel Arbeit auf Dir lastet und wie sehr Dich das belastet. Du versuchst Dein Verhalten zu ändern damit diese Last Dich nicht erdrückt. Es sind immer die gleichen Fehler die wir machen, die gleichen irrigen Prioritäten die wir setzen und die uns gefangen halten. Wir geben demjenigen die größte Bedeutung, der uns am meisten fordert und dem wir nicht gut ausweichen können. Es scheint mir, als füllst du so auf der einen Seite das Loch das auf der andern Seite durch die Leere und die Unsicherheit des Alleinseins entstand. So lange wurde viel an Dir gezogen und wenig bewegte sich zu Dir hin. Laß mich Dir manchmal einfach meine Hand reichen.
Es ist jetzt kurz nach halb acht Abends und der Mönchstee zieht Ich werde Kekse backen. Ich werde Dir welche mitbringen wenn ich Dich besuchen komme. Endlich wieder! Ich freue mich so.
Ich hole mir jetzt eine Tasse Tee, überlese noch mal was ich dir schrieb (die Fehler eliminieren soweit sie mir auffallen) und werde Dir diesen Brief zuschicken, zusammen mit den guten Gedanken, die ich für Dich habe.
Ich umarme Dich mit Worten. Gib auf Dich Acht, mein Freund.
G.
© Ghita Cleri
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