
Ghita Cleri - Lindenblüten
Datum 08.07.2009 10:03 | Kategorie: Texte
| Hin und wieder, so dachte sie sich, würde sie zurückkehren. Über die weiten Kieswege durch den Park spazieren, an den Buchenhecken vorbei, die Fontäne als ständige Geräuschkulisse um sie herum. Sie würde wieder Lindenblüten riechen; irgendwoher aus diesem großen alten, doch niemals alternden Park, verströmen sie sich selbst. Sie erinnert sich: wie oft haben Lindenbäume sie schon begleitet? Vor ihrem ersten Zuhause verklebten sie das Auto und sorgten für den Unmut des Besitzers. Er war öfters unmütig, unmutig immer öfter. Deshalb mußte sie für ihn mit entscheiden, und sie war es, die ging. Dann zog sie in die Stadt, dort lebte sie gerne. Hinter der Strasse in der ihr Wohnblock stand, erstreckte sich ein weites Feld mit Bäumen und verwilderten Hecken und Sträuchern. Ein Paradies für die Menschen inmitten dieser hektischen Metropole, und das zum Glück, weil der alte Besitzer sich weigerte zu verkaufen. Nachts bellten die Hunde die Fledermäuse an; neben ihnen die Nachbarn die sich trafen um zu reden, zu schweigen und zu lauschen - dem Wind der durch die vielen Bäume strich und der Stille die dann folgte. Später wiederum wohnte sie auf dem Land und entlang des Weges zum nächstgelegenen Ort säumten die Linden die Straße. Der Wind kam so oft aus deren Richtung, dass sie abends nur die Nase zum Küchenfenster rausstreckte und sich dem Geruch überließ, den sie so sehr liebte. Der Duft des Geißblattes am Zaun ihres kleinen Gartens, seit einiger Zeit wieder mitten in einer unbedeutenden Stadt in einem fremden Land, hat sie fast die Sehnsucht nach den Lindenblüten vergessen lassen.
Ein Bahnhof im Winter war der Anfang ihres Weges, auf dem sie zurück zu den längst verdrängten Lindenblüten gelangte. Seither waren mehrere Monate vergangen die sie lebte, ohne zu wissen wohin deren Zeit verschwand. Diese Zeit nannte sich Versprechen. Sie vertraute darauf. So ließ sie sich auf ihr treiben und landete hier an diesem Augen Blick…
Sie suchte den Teil des Gartens auf, der ihr Flächen mit wilden Wiesen schenkte unter nicht beschnittenen Bäumen und verwitterten Bänken. Sie nahm Platz, lauschte zur Fontäne hin und hörte Schritte die an der alten Pforte vor diesen fast schon geheimen Orten inmitten dieses großen Barockgartens vorbeigingen. Wer den großen Garten besucht sieht die akkuraten Beete, die goldenen Statuen, das kleine Gartentheater, den verwirrenden Irrgarten, die lieblichen Pavillons und die edlen Themengärten - wer also sollte in ungemähten Wiesen flanieren wollen? Hier kann sie jetzt ihrem Fühlen Raum lassen, kann den Ängsten ihre heiße Stirn bieten, kann weinen ohne Schuld zu fühlen und sich ihren eigenen Wünschen stellen. Ein „Warum” sollte es nicht mehr geben. Sie würde wieder gehen müssen - wie all die Male vorher.
Sie würde ihn loslassen müssen, dabei hatte sie ihn nie festgehalten, nur in den Momenten gehalten wo sein Stolpern auch sie gefährdete. Sie liebte ihn auf eine eigentümliche Art. Ein Mann, ein Kind, ein Despot, ein Egoist, ein Liebhaber, ein Geliebter, ein Liebender, ein Gebender, ein Verschlinger - was alles war noch in ihm? Es war nicht genug Zeit geblieben, das zu erkunden. Das was sie schon kannte, reichte ihr. So dachte sie jetzt. Alles hat sie mitgetragen; ihm zugeschaut wenn er durch sein eigenes Leben wütete, mit seinem Leben und seiner Zeit Vabanque spielte. Sie war sein Hintergrund und Vordergrund in Augenblicken der Zweisamkeit, der Gemeinsamkeit und der unerklärlichen Lust an Leben und am Lieben. Im Augenblick ihres ersten Aufeinandertreffens verbanden sich ihre Wurzeln, die so lange nach Boden gesucht und ohne Zögern umschlangen sie sich und drangen in unerklärliche Tiefe. Sie wuchsen weiter, gemeinsam. Sie gediehen und aus ihnen entwuchsen feine kleine lustige Blätter die eine zärtliche Blume umschlossen. Heute hat er sie abgehackt. Die Blätter. Die Blüte. Kalt, unbarmherzig - so scheint es ihr. Er ließ sie auf das Schiff der Verbannung bringen, auf die Insel zu der nur er den Schlüssel hat. Er käme sie holen, dann wenn die Zeit für ihn wieder richtig wäre. Er wollte sie nicht in seinem Dschungel haben, verweigerte ihre Begleitung.
Sie sitzt in dem weitläufigen Garten dessen Geheimnisse er ihr verraten hatte. Sein Garten. Seine Welt. Damals in der Mondnacht, die hohe Fontäne unter dem Großen Wagen, flüsterte er leise Koseworte in ihr Ohr, getragen von jeder Note der Wassermusik. Jeder Augenblick so prall gefüllt wie ihr ungläubiges Herz. Sie entschloß sich fast verzweifelt, die glücklichen Augenblicke zu pflücken und sie zu verstecken, damit sie sie nie verliert. Die Tür des verwilderten Gartens vor ihr versprach ihr Geheimnis zu wahren. Und so warf sie ihr ganzes Glück heimlich ins hohe Gras unter die Linden. Der betörende Geruch der Lindenblüten, so dicht und intim, trägt nun alle glücklichen Augenblicke.. Und, von den Wurzeln aufgesogen, verströmen sie sich in den verzauberten Garten…
Der Duft der Lindenblüten wird jetzt durch seine geöffneten Fenster und Türen dringen - mitten in seinen barocken Palast. Er wird den Kopf heben, den Blick in eine Ferne lenken deren Ende ihn verwirrt. Er wird sich sehnen, nicht wissend wonach. Er wird den Kopf senken und im Urwald seiner Ängste verschwinden, untergehen.
Sie verläßt die Bank, die Wege, den Garten. Sie braucht nicht zurück zu blicken. Sie riecht ihn, er bleibt auf ihrer Haut - der Duft ihrer glücklichen Zeit.
© Ghita Cleri
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