
Weibsstück: Auf den Zahn gefühlt
Datum 30.11.2007 19:17 | Kategorie: Texte
| „Ist das nicht schrecklich? Schon wieder ist ein kleines Mädchen verhungert, sie wog nur noch 7,4 Kilo und ist an Unterernährung und Wassermangel gestorben!“ „Ja.“ nicke ich mit sperrangelweit offenem Mund meiner Zahnärztin entgegen. „Und jetzt streiten die Politiker, wer denn nun schuld sei. Zweimal hatte das Jugendamt Kontakt mit der Familie, auch der Großvater machte sich Sorgen, aber keiner bekam die kleine Lea-Sophie zu Gesicht. Ich meine: ein Blick hätte doch genügt, um umgehend Hilfe anzubieten, oder?“ „Stimmt!“ sage ich mit vollem Mund und spucke Bitteres aus. „Ich verstehe das Ganze sowieso nicht. Wo sind denn hier Nachbarn, Lehrer, die Gesellschaft? Gestern wurden in Berlin drei verwahrloste Kinder von 2, 4 und 5 Jahren aus einer völlig verdreckten Wohnung gerettet. Die Mutter ist Alkoholikerin. Andererseits hat eine 17-Jährige einer 6-Jährigen aus einer Spätaussiedler-Familie geholfen, als sie von Rechtsextremen belästigt wurde. Als „Dank“ ritzten die Neonazis der jungen Frau ein Hakenkreuz in die Hüfte. Die Aussagen der Frau gelten als glaubwürdig, so Medien und Polizei, auch das kleine Mädchen hat den Hergang bestätigt. Doch die Bewohner der Häuser am Tatort, die das Geschehen von Balkonen aus beobachten konnten, wollen keine Zeugen sein. Gelähmte Angst herrscht in Deutschland! Also, wenn es um Kinder geht, muss man der Sache doch auf den Zahn fühlen!“ Das ist mein Stichwort: Mund auf, auch wenn’s weht tut.
© Marie Theres Kroetz Relin, erschienen in Die Aktuelle Heft 49
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