Ghita Cleri - Katzenallergie

Datum 11.06.2008 23:29 | Kategorie: Texte

„Gottwald, was machst du da? Hör auf, bist du blind, die Katze mag das nicht. Du sollst sie nicht festhalten. Lass das Vieh los, du weißt nicht wo es herkommt. Hörst du mich? Gottwald, willst du mich ärgern?“
Die Katze springt Gottwald aus seinen umklammernden Armen. Traurig blickt er ihr nach. Sie fühlte sich so weich und warm an.
Er schaut auf seine Frau. Er sieht ihre nach unten verzogenen Mundwinkel.
„Wie viele Jahre noch?“ schießt es ihm durch den Kopf. Dann erschrickt er vor sich selbst und seinem eigenständigen Innern, das ihn zu solch irritierenden Überlegungen führen kann. Ehrlich gesagt, dieser Gedanke kam ihm nicht das erste Mal. Immer wieder legte der sich über seine Stimmung, wenn sie so wie eben war. Erdrückend, hilflos, resignierend.
Es lohnt sich nicht mehr, war der nächstfolgende Gedanke, wenn er sie wieder wahrnahm, diese Frau mit ihren vollen Lippen, die heute einen gierigen Mund bilden. Damals erregten sie ihn, sie versprachen eine leidenschaftliche Frau. Das sagte ihm sein Kumpel, der auch hinter ihr her war. Einige aus der Schule, sogar älter als er, schwirrten um sie herum. Doch sie wollte ihn. Er machte das Rennen, so titulierte er es, als sie das erste Mal so etwas Ähnliches wie Sex hatten.
Selbstverständlich verstand er damals, dass sie noch nicht die Leidenschaft entwickelt hatte, die ihre Lippen versprachen. Dass Lippen auch falsche Versprechen abgeben, hätte er sich nie vorstellen können, hatte er sich in einer seiner wütenden Phasen sarkastisch selbst erzählt.
Er redet schon seit Jahren mit sich selbst. Nur in Gedanken, denn er wollte sich nicht mehr mitteilen. Er fand, das war vergeudete Zeit. Es würde nichts ändern und wer mit sich selbst klar kommt, kommt am besten klar. Was er braucht, ist seine Gedanken, sie sind ihm treu, mehr als die Gefühle die sie manchmal noch begleiten.

Seine Arme jucken. Er hatte seine Katzenallergie vergessen. Doch seit drei Tagen taucht diese Katze auf der Terrasse auf und wenn er rauskommt drückt sie sich gegen seine Beine und fängt an zu schnurren. Anfangs hat er sie weggestoßen, doch sie ließ sich nicht wegschicken. Sie blieb, und heute stellte er ihr heimlich Milch hin, die sie mit Genuss ausschlürfte.
Und vorhin griff er etwas unbeholfen nach dem Tier, seine große Hand legte sich unter ihren warmen weichen Bauch und er hob sie an. Ein bisschen wehrte sich die Katze und dann drückte er sie an sich. Sie ließ es geschehen und schaute ihn mit ihren hellen und klugen Augen an. Ein eigenartiger Blick, so offen und fast fragend. So viel Leben, so lange hat er das nicht mehr gefühlt.
Die Wärme, eine irgendwie zärtliche Nähe eines anderen Lebewesens.
Wann hatte er so etwas das letzte Mal gefühlt? Unbewusst hatte er sich Richtung Küche bewegt und nahm die Katze mit ins Haus.
Er war ganz auf seine Gedanken und die Nähe der Katze an seinem Brustkorb fixiert, dass er seine Frau erst wahr nahm als sie anfing zu zetern. Keine freundliche Bitte, einfach ein Befehl.
Als sie geendet hatte wand sich die Katze aus seinen Armen. Sie ging mit erhobenem Schwanz gemächlich zur Terrasse drehte sich nochmals kurz um, blickte wissend in Gottwalds Augen, durchquerte die weite Rasenfläche und verschwand zwischen den Büschen.
Gottwald fühlte von einem Augenblick zum andern eine unaussprechliche Leere in sich. Er hätte gerne geweint, doch das tat er seit Jahrzehnten nicht. Ihm war plötzlich ganz kalt an diesem sonnigen Frühsommertag.

Aufhören, einfach aufhören, schoss es weiter durch seine Gehirngänge. Womit, fragte er mit seinem gewohnten Sarkasmus. Mit dem Leben, mit dem Denken, mit dem Sehnen, mit seiner Frau?
Nichts von all dem wäre leicht, insbesondere Letzteres. Ersteres wäre das Einfachste, das wusste er.

Wie konnte es sein, dass ein Mann wie er mit seinen 61 Jahren, so tief fällt, dass er nicht mehr will? Was hatte er falsch gemacht?

Lag es denn nur an dieser Frau, mit der er seit 33 Jahren verheiratet ist? Er war ehrlich genug sich einzugestehen, dass das nicht der alleinige Grund war.
Sie war damals wirklich attraktiv, groß und mit einem herrlich verlockenden Körper, nicht dumm und auf eine gewisse Art sogar witzig. Und so lebendig.
Warum nahm sie ihn? Warum wartete sie auf ihn bis er zu Ende studiert hatte, über den so genannten zweiten Bildungsweg? Das hatte gedauert. Sie arbeitete schon längst im Büro, lebte weiter in ihrem Geburtsort. Nach der Rückkehr von der Universität zog er auch dorthin. Als Deutsch- und Erdkundelehrer war er am örtlichen Gymnasium, wo er vor 3 Jahren aufgehört hatte. Sein Arzt riet ihm dazu, nach seinem Herzinfarkt. Der Blutdruck blieb hoch, die Menge der täglichen Tablettenration auch.

Er fühlte diese unsagbare Trauer in sich, die ihn nun schon seit einigen Jahren begleitete. Sie hatten keine Kinder, es hatte nie geklappt. Er hatte, entgegen den Wünschen seiner Frau und nach ihrem langen verzweifelten Bemühen, alle weiteren Versuche aufgegeben und sich auch geweigert diese Entscheidung zu ändern. Er hatte täglich Kinder um sich, er brauchte keine eigenen. Sie jedoch war in der Anwaltskanzlei viel mit älteren Menschen zusammen und vermisste Kinder in ihrem Leben. Sie hörte abrupt auf darüber zu reden und sie haben das Gespräch darüber auch nie mehr aufgenommen.

Vor vielen Jahren hatte sie ihm eine Bemerkung entgegen geschleudert als er sie bei einem Streit anschrie: „Verdammt, warum bloß hast du mich denn damals geheiratet?!“
Sie grinste auf die ihr eigene bösartige Weise und sagte fast genüsslich: „Wusstest du nicht, dass deine Großtante eine unserer Kundinnen war? Ich habe ihr Testament ins Reine getippt!“ Dann drehte sie sich um und ging in die Küche.

Er wollte nicht darüber nachdenken, auch wenn er den Sinn ihrer Worte sofort begriff. Denn zu seinem und dem Erstaunen ihrer ganzen Neffen und Nichten, hatte er, Gottwald, ganz allein das Vermögen seiner Großtante geerbt. Seither hatte er keinen Kontakt mehr zu seinen Verwandten. Doch er war mit einem Schlag sehr wohlhabend. Auf Anraten seiner Frau verkaufte er die Immobilien, zwei schöne Stadthäuser und die dazugehörigen Grundstücke. Dann bauten sie in ihrem Ort eine Villa, fast alles auf einer Ebene, so wie sie es sich immer schon vorstellte. Sie kauften ein riesiges Grundstück, begrenzten es mit hohen, ewiggrünen Gewächsen und bestellten eine Firma die alles hegte und pflegte. Eine Innenarchitektin beriet sie einrichtungsmäßig und kostenintensiv. Perfekt.

Wieder diese Leere, diese Traurigkeit. Er drehte sich um, blickte über das Grün seines Anwesens auf das flache Haus und fragte sich, was der Sinn von Allem war, was und wer er noch sein sollte.
Er fand keine Antwort.
In Gedanken sah er seine Frau vor sich. Sicher, sie hatte sich verändert. Sie war schwerer geworden, voller, runder. Auch wirklich älter. Das war nicht schlimm, es stand ihr nicht schlecht. Sie war ja auch schon Ende Fünfzig. Ihr Gesicht war immer gepflegt, so wie ihre Kleidung. Sie hatte ihren eigenen sehr bestimmten Geschmack der sich nicht immer mit seinem deckte doch vor dem er genug Achtung hatte, ihn nicht ändern zu wollen.
War es irgendwann mal Liebe? Hatten sie irgendwann einmal etwas Gemeinsames? Wenig, gab er zu.
Er wollte sie, weil so viele andere Typen sie wollten und war so wahnsinnig stolz, sie zu bekommen, so dass er sich nie fragte, wer sie wirklich war. Das weiß er immer noch nicht, doch ihren Weg zu dem was sie wurde, hat er ja miterlebt.

Wie konnte er glauben sie zu lieben wenn er sie nicht wirklich gesehen hat? Das einzige woran er sich erinnerte war, dass sie seinen Musikgeschmack nicht teilte. Er liebte Burdon, Stones, Pink Floyd, Cream und Co und sie die Hitparade mit Heck. Sie ging in die Discos er in Konzerte. Er rauchte Shit und sie gar nicht. Er trug Jeans und sie, ein Glück, ultrakurze Miniröcke.
Nach dem Studium schnitt er seine langen Haare ab, zog Tergal-Hosen an und Krawatte und änderte in der Zwischenzeit nur die Qualität der Hosen und Krawatten. Sie trug keine Miniröcke mehr und dafür Bundfaltenhosen, sie hatte blonde Strähnchen und Schulterpolster, er wechselte von den weißen Hemden zu farbigen und das wars.


Wann hatten sie das letzte Mal zusammen gelacht?
„Was hat das Leben mit uns gemacht?“, fragte er fast ungehalten in den Raum hinein.
Was hatten sie dem Leben angetan?
Und was hatte er ihnen beiden angetan? Sie hat ihn geheiratet wegen dem zu erbenden Geld, das war ihm klar. Und doch war sie anfangs sehr zärtlich und freundlich zu ihm, fast liebevoll. Es gab eine Zeit, da waren sie sich irgendwie nah. Das war vor der Erbschaft. Die Zeit der vergeblichen Schwangerschaften hatte sie dann einander näher gebracht. Sie redeten viel miteinander und erzählten sich sogar von ihren Träumen. Das hatten sie nicht einmal vor ihrer Ehe getan. Aber Kinder waren ihm unwichtig, ihr hingegen nicht. Sie wollte alles versuchen und er machte nicht mit. Er ließ sie allein damit.
Ab da ging es unaufhörlich bergab. Sie arbeitete, er arbeitete, sie traf sich mit Freundinnen und er ging zu Kegelabenden. Sie machten gemeinsam Kultururlaube und getrennt Fortbildungskurse.
Sie teilten zwar immer noch das Bett, doch es spielte sich seit Jahren nichts mehr dort ab außer schlafen und aufstehen.
Eine oberflächliche Beziehung zu einer Kollegin verschaffte ihm eine Unterbrechung dieser sexuellen Dürrezeit, doch dann ließ sie sich versetzen.
Sie hatte ihm manchmal vorgeworfen, er sei so verschlossen, fast emotionslos, sie würde nicht an ihn rankommen. Er wusste nichts zu antworten.

Warum hat er sich nie gefragt wie seine Frau ohne Nähe und Zärtlichkeit auskam? Er hatte sich im Grunde genommen wenig Gedanken um die Befindlichkeit seiner Frau gemacht. Er spürte wie der Gedanke wieder diese eigenartige Trauer hervorrief.

Vielleicht hat er für sein berufliches Leben nicht versagt, doch was das gemeinsame Leben mit seiner Frau betraf, hatte er versagt.
Sich nicht zu fragen, was er für sie tun konnte, das war sein größter Fehler, auch, sich nicht zu fragen wie er für sie da sein könnte, ihre Wünsche nicht zu berücksichtigen.
Er war tief gekränkt wegen der Aussage von der Erbschaft. Aber er hatte keinen Grund sich beleidigt zu fühlen. Warum hat er denn sie gewollt?!
Wegen ihrem Aussehen, ihrer Ausstrahlung und weil er all die andern ausstechen wollte, deshalb begehrte er sie. Die Frauen, die er während dem Studium kennen lernte waren ihm unwichtig. Er wollte immer nur sie „gewinnen“ und dann tat er es.
Um des Gewinnens willen, das war sein Motor.
Und ihr Motor war sein zu erbendes Geld.
Sie waren sich gleich, er hatte ihr nichts vorzuwerfen.

Es hat auch keinen Sinn zu versuchen aufzuwiegen, wer sich mehr Mühe gab, anfangs. Jeder hat es auf seine eigene Art getan.
Das war viel zu lange her und hat keine Früchte getragen.
Ihre ganze Ehe, diese vielen Jahre – gar keine Früchte.

Keine Gemeinsamkeiten, keine Kinder, keine Liebe, wenig Achtung, keine Freude, nur Verletztheit, Verbitterung und eine alles umfassende Einsamkeit.
Sie sind trotzdem zusammen geblieben. Was verband sie also?
Dieses Nichts?

Er erinnert sich wieder daran, welche Gefühle die Berührung der Katze in seinen Armen bei ihm ausgelöst hatte.
Ein kurzer Augenblick lang war Hoffnung dabei. Hoffnung, dass es nicht zu spät sein könnte, so etwas wieder zu erleben, dass es möglich wäre, wieder aufzuwachen aus der Lethargie und der Kälte.
Und wenn es das ist, was sie verbindet? Ein letzter Rest von Hoffnung?
Geboren aus der gemeinsamen Zeit, aus nicht gewollten und doch gelebten Verletzungen, aus den Vorwürfen die oft genug auch Vorwürfe an sich selbst waren, aus den Enttäuschungen die man sich selbst auch bereitete.
Diese Ähnlichkeit – der Spiegel des eigenen Selbst.
Warum haben sie das nie erkannt?
Warum hatten sie nicht daraus gelernt?
War es zu spät?

Eine Katze in den Armen halten weil diese es so durchgesetzt hatte, trotz der Katzenallergie.........

Eine Frau umarmen, die zu berühren man sich jahrelang weigerte, es tun trotz der Distanz die zwischen ihnen war -
wenn er es einfach wagte?
Was, wenn er es einfach versuchte.........?


© Ghita Cleri



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