Altbayerische Heimatpost: Die "verbiesterte kleine Welt" eines Dramatikers

Datum 10.09.2010 19:18 | Kategorie: Presse

Er ist einer der erfolgreichsten Dramatiker Deutschlands, seine Stücke werden noch immer auf der ganzen Welt gespielt, so zum Beispiel in Australien und in London. Doch trotz seiner großen Erfolge mit Stücken wie "Wunschkonzert", "Das Nest" oder "Mensch Meier" fühlt sich Kroetz als Theaterautor zu wenig wahrgenommen und hörte aus diesem Grund vor sechs Jahren zu schreiben auf. "Ich habe das Gefühl, das, was ich gemacht habe, ist vollkommen weg", so der 64-Jährige. Heute lebt das "Enfant terrible" vergangener Zeiten, das oft mit extremen Aussagen in die Schlagzeilen gekommen war, eher zurückgezogen und genießt die Ruhe und das Gefühl, kein Stück mehr schreiben zu müssen. In der Altbayerischen Heimatpost lässt er seine Tätigkeit als Theaterautor Revue passieren und erklärt, warum er sich im Nachhinein einen Beruf gewünscht hätte, in dem er mehr mit Menschen zu tun gehabt hätte.
"Ich habe überall mit allen gestritten"

Franz Xaver Kroetz' Leidenschaft für das Schreiben zeigte sich schon in sehr jungen Jahren. Bereits mit zwölf Jahren hielt der Münchner Erfahrungen fest, las mit Vorliebe Werke von Ernest Hemingway und wusste schnell, dass die Wirtschaftsoberrealschule, die er damals auf Wunsch der Eltern besuchte, nicht das Richtige für ihn war. "Ich war dort fünf Jahre und beschäftigte mich mit Buchführung, kaufmännischen Sachen, Betriebswirtschaftlehre sowie damals noch Steno und Schreibmaschinen schreiben", erinnert er sich. "Mit 15 habe ich diese Schule dann abgebrochen, hatte keine Lust mehr." Stattdessen entschied er, Schauspieler zu werden, besuchte die Neue Münchner Schauspielschule. Damals zeigte sich schon, dass sich Kroetz von niemanden etwas gefallen lassen würde: "Nach zwei Jahren hätte ich die Bühnengenossenschaftsprüfung ablegen sollen und komischerweise haben die Deppen gemeint, ich solle noch ein Jahr bleiben, weil ich zu jung sei. Das habe ich nicht mitgemacht, also bin ich nach Wien zum Max-Reinhardt-Seminar, dort habe ich zwei Semester übersprungen, dann haben sie mich wieder hinausgeschmissen. Ich habe überall mit allen gestritten, bis meine Mutter dann irgendwann gesagt hat: ,Franzl, so geht es nicht!" Sie erwartete von ihrem Sohn, dass dieser nun endlich Geld verdienen sollte, also arbeitete er fortan in vielen verschiedenen Berufen, die so gar nichts mit seiner Passion zu tun hatten. So war er beispielsweise Lagermeister in der ehemaligen Papierwarenfabrik Manzinger und schnitt Bananen in der Großmarkthalle.

Doch das Schreiben gab er nie auf, obwohl er als junger Mann viele Rückschläge einstecken musste. "Als ich jung war, kamen die Stücke oft schneller zurück, als ich sie verschicken konnte", schildert er. "Ich habe sehr viele Absagen bekommen. Dann habe ich halt ab und zu im elterlichen Garten ein Feuer gemacht und die Manuskripte angezündet." Doch schließlich kam der Durchbruch für den ambitionierten Theaterautor Kroetz: "1971 hatte ich an den Münchner Kammerspielen meine erste Aufführung und von da an war ich von einem Tag auf den anderen ein angesehener Dramatiker, da war ich 25", erinnert er sich. In den 1970er und 1980er Jahren schrieb sich Franz Xaver Kroetz zu einem der erfolgreichsten, wenn auch oftmals umstrittenen, Dramatiker in ganz Deutschland. Seine Stücke wurden in großen Schauspielhäusern wie in Hamburg, München oder Wien aufgeführt, viele Stücke aus dieser Zeit werden noch heute auf der ganzen Welt gespielt. So streiten sich zum Beispiel gerade diverse Theateranstalten in London um das Recht, ein Kroetz-Stück aufzuführen. Zu seinen erfolgreichsten Stücken gehören unter anderem "Oberösterreich" (1972), "Wuschkonzert" (1973), "Das Nest" (1975) oder "Mensch Meier" (1978, in Brasilien uraufgeführt).

Das Gelingen seiner Stücke beschreibt Kroetz ähnlich dem Erklimmen verschiedener Berghöhen: "Mal besteigt man einen höheren Berg, mal einen niedrigeren. Da gibt es immer wieder herausragende Werke und dann gibt es auch wieder einen Nachhang, der dann wieder weniger mit so einer existentiellen Wucht oder Verzweiflung ausgestattet ist", so der Dramatiker. "Ich habe Expeditionen in verschiedene theatralische Bereiche gemacht und von diesen vielleicht 10 Expeditionen gibt es 10 Spitzenprodukte." Das seien jedoch nicht unbedingt die bekanntesten Stücke. So sieht Kroetz sein Werk "Michis Blut" als das "vielleicht beste frühe Stück, weil es von einer unglaublichen Radikalität ist."

Ein paar Szenen sind "Shakespeare-like"

Für seine Werke erhielt er viele Preise. So wurde ihm 1976 der hoch angesehene Mülheimer Dramatikerpreis verliehen. Auch mit dem Bertholt-Brecht-Literaturpreis, dem Oberbayerischen Kulturpreis und dem Marieluise-Fleißer-Preis wurde er bereits geehrt. Trotzdem meint der 64-jährige Theaterautor: "Ich bin kein preiswürdiger Autor, ich habe auch niemals den Büchnerpreis gewonnen. Zu diesen Autoren gehöre ich nicht. 1994 wurde ich nicht einmal mehr mit dem Stück ,Drang' zum Mülheimer Dramatikerpreis eingeladen, weil das Stück zu seicht gewesen sein soll. Aber das ist vollkommener Schmarrn. ,Drang' ist wahrscheinlich die perfekteste Komödie, die ich jemals geschrieben habe. Die ist einfach gelungen, da gibt es ein paar Szenen, die sind ,Shakespeare-like'", meint der Theaterautor selbstbewusst. Verzweiflung und Neid auf Kollegen wie Elfriede Jelinek oder Herbert Achternbusch, die diesen begehrten Preis schon mehrmals erhielten, liegen Kroetz nach eigenen Angaben nicht. "Ich bin trotzdem ein zufriedener Bayer - und halber Österreicher", so der Dramatiker, dessen Mutter aus Tirol stammte.

Doch trotz seiner großen Erfolge, würde er - könnte er die Zeit zurückdrehen - nicht noch einmal den selben Beruf für sich wählen. "Ich denke, dass ich einen Beruf, in dem man mehr mit Menschen zu tun hat, ergreifen hätte sollen", so Kroetz. "Es ist eine verbiesterte kleine Welt, in die man durch diese Tätigkeit immer mehr eingesperrt wird. Man muss sich der Einsamkeit aussetzen, Kontakte kappen, man säuft wie ein Loch und ich konnte auch nicht anders, als die Figuren in den Stücken wirklich zu leben. Das fordert selbstverständlich. Ich hätte mir eine Passion suchen sollen, die mehr mit Leben zu tun hat."

Als Theaterautor kenne ihn heute keiner mehr, meint Kroetz, es sei, als hätte er irgendwann einmal eine Schachweltmeisterschaft oder eine Tischtennischweltmeisterschaft gewonnen. "Das würde heute auch kein Schwein mehr interessieren und ebenso ist es bei meiner Tätigkeit. Ich habe das Gefühl, das, was ich gemacht habe, ist vollkommen weg", beklagt er. "Natürlich gibt es noch Theaterbegeisterte, die sagen: ,Uh, der Kroetz ist einer von den ganz Großen', aber das sind nur noch wenige." Und tatsächlich kennen ihn viele nicht mehr wegen seiner eigentlichen Arbeit, nämlich der mehr als 60 Stücke, die er während seiner Autorenlaufbahn schrieb. Andere Engagements, wie zum Beispiel seine Rolle als "Baby Schimmerlos" in der legendären Fernsehserie "Kir Royal" oder als "Brandner Kaspar" in Joseph Vilsmaiers Kinofilm vor zwei Jahren blieben den Leuten weitaus besser im Gedächtnis.

Dieser Umstand führte auch dazu, dass Franz Xaver Kroetz seit 2004 keine Stücke mehr schreibt. "Ich habe mir gedacht, das, was ich schreibe ist so unwichtig, da kann ich auch aufhören und brauche mich nicht mehr quälen." Und auch in Aufführungen seiner Stücke geht er nur noch selten, da die heutigen Inszenierungen nicht mehr seinen Vorstellungen genügen: "Wenn ich eine Aufführung sehe, dann graut es mir normalerweise und ich schäme mich. Dann bin ich wirklich deprimiert. Die meisten Aufführungen haben nichts mehr mit meinen Intentionen zu tun. Die Qualität von früher ist heute auf der Bühne nicht mehr herstellbar."

Merklich ruhig ist es daher um den einst so hitzigen Dramatiker geworden. Viel lieber, als sich mit Stücken herumzuärgern, verbringt er nun Zeit mit seinen drei Kindern, ob auf Teneriffa, in seinem Haus in Obermenzing oder seinem idyllisch gelegenen Vierseithof im Chiemgau. Auch die vielen Rollenangebote, die er bekommt, prallen an ihm ab. Vielleicht einmal im Jahr wolle er für reizvolle Rollen vor die Kamera treten, wie zum Beispiel kürz- lich für eine Rolle als kauziger Sonderling in der Krimi-Serie "Polizeiruf 110". Ansonsten interessiere er sich nicht großartig für die Schauspielerei. Schließlich habe er auch so genügend zu tun. Der Hof müsse renoviert werden und auch das Haus in Obermenzing wolle er für seine Kinder vergrößern. "Ich langweile mich nicht ohne meine Passionen und bin froh, dass ich kein Geld mehr verdienen muss", resümiert Franz Xaver Kroetz.

© Simone Kainhuber erschienen im August 2010 -

Quelle: www.chiemgau-online.de



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