
Renate Ibeler- Ausgeliefert
Datum 21.02.2007 12:19 | Kategorie: Texte
| Zur Erinnerung an Karin Struck
Der letzte Brief von Karin: „Liebe Renate, ich war erschüttert von deinem Brief. Dir muss es sehr sehr schlecht gehen. Ich fühle mit dir und will für dich beten. Bitte sprich’ nicht so über Gott und Jesus, bitte. Ich bin schwer an Krebs erkrankt, seit 9.12. weiß ich es. Ich muss all meinen Überlebenswillen freisetzen, um die Krankheit anzunehmen und an Heilung zu glauben. Ich setze nicht auf die Schulmedizin. Liebe Renate, hole dir Hilfe, und gehe nicht zu den Sekten. Ich flehe dich an! Du bist mir wichtig und ich wünsche mir so sehr, dass auch du diese Krise gut überstehst. Bitte nimm dir ganz viel Ruhe, Stille und tu das Gute, was du für dich brauchst. Du bist zu allein gewesen, damals schon. Ich umarme dich fest und denke an dich. Liebe Grüße deine Karin.“
Erster September 1998. „Danke. Vielen Dank. Es hat mich sehr gefreut, hier lesen zu dürfen und dass es Ihnen gefallen hat“. Karin strahlte über das ganze Gesicht. Ihr Vortrag war besonders gut gelungen und das Publikum, Frauen aus der Katholischen Frauengemeinschaft der St. Pankratius Kirche, klatschte lange Beifall. Karins Lesungen aus „Kindheits Ende“, „Journal einer Krise“, „Männertreu“ und „Kalte Freiheit“ gingen den Zuhörerinnen sichtlich unter die Haut. „Du hast unsere Seelen berührt, wir könnten dir noch stundenlang zuhören“, sagte ich und überreichte einen dicken Blumenstrauß. Zur anschließenden Diskussionsrunde blieb nur eine kleine Gruppe, aber die hatte es in sich. „Menschenrechte, Gerechtigkeit“, schimpfte Ulrike. „Viele Menschen machen sich heutzutage die Bequemlichkeit zum Gesetz und wundern sich dann, wenn was schief läuft“, so die gläubige Katholikin. „Ja, die meisten Menschen hören nicht mehr auf die innere Stimme“, stimmte Elisabeth zu und ich sah sie erstaunt an. Also doch. Sie hört ihn auch. Wie beruhigend. Zeit, mal darüber zu sprechen. Warum traut sich bloß keiner? Der Abend wurde zunehmend religiös und erst gegen Mitternacht ging die Autorenlesung dem Ende zu. Ich fuhr Karin nach Hause. Ich hatte schon bei der ersten Begegnung mit Karin das Gefühl, dass sie ein besonderer Mensch in meinem Leben ist. Ihre plötzliche Konvertierung zum katholischen Glauben beeindruckte mich sehr, aber ich verstand es nicht. „Wieso bist du eigentlich hier in dieser Kleinstadt gelandet“, fragte ich vorsichtig. „Eigentlich war das nicht mein Ziel“ antwortete Karin. Es war ein grandioser Zufall. Ich hatte einen schlimmen Unfall mit meinem Sohn und war somit gezwungen, hier abzusteigen. Außerdem wusste ich sofort, als ich die St. Pankratius-Kirche sah, dass sie meine Bestimmung ist und ich genau das gefunden hatte, was ich immer gesucht hatte. Gott hat mir noch rechtzeitig den richtigen Weg gezeigt. Seine Zeichen sind nicht zu übersehen. Das war kein Zufall.“ Karin starrte ernst vor sich hin und ich schwieg. Zeichen? Wie heißt es doch so schön: wenn du Gott finden willst, dann musst du ihn suchen und er wird dir ein Zeichen geben. Komisch. Die Wunder und Zeichen waren für mich unschwer zu erkennen. Ich traute mir nicht zu sagen, dass ich auch so eine Bestimmung habe und dass grausame Zufälle für mich nichts Neues waren. Irgendetwas war hier faul. Nur was? Ich wusste das gleich, bekam aber keine Antwort. Vielleicht sind Journalisten nicht so leicht zu überzeugen wie Schriftsteller. Was aber soll man tun, wenn schon eine so starke Frau wie Karin kapitulierte? Dieser unsichtbare Gott straft nicht nur, er darf auch ganz nach Belieben alles foltern, auf das er gerade Lust hat. Darf er das? Und wer einen Taufschein unterschrieben hat, der gehört für immer in seine Folterkammer. Ist das gerecht? „Wir müssen hier rechts abbiegen“, sagte Karin plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken. „Hast du dir für deinen nächsten Frauenabend schon ein Thema ausgedacht?“ Ich holte tief Luft. „Wie wäre es, wenn wir ein Buch über den herrschenden Gott schreiben?“ Jetzt war es raus. „Aber liebe Renate“, lachte Karin und zeigte auf ein weißes Haus auf der rechten Straßenseite. „Es gibt doch schon Tausende von Büchern über Gott. Geh mal in die Bibliothek. Du wirst dich wundern.“ Ich hielt vor dem Haus an und zog es vor, nicht noch mal zu fragen. Ich spürte, dass Karin müde war und ins Bett wollte. Ich fuhr nach Hause. Ich war überhaupt nicht müde, sondern hellwach und dachte immerfort an den „Befehl“, ein Buch über Gott zu schreiben . Bisher hatte ich mich geweigert, weil ich gar keine Ahnung vom Bücherschreiben hatte. Kein Problem, kam da die Antwort. Ich werde dir umgehend Hilfe schicken. Wenig später kam Karin dann in die Kirchengemeinde. Eine berühmte Schriftstellerin. Auffälliger ging es ja wohl nicht. Das war die Hilfe. Wusste Karin das? Darf Gott so etwas tun? Karin war hoch intelligent und sehr belesen. Die musste es eigentlich wissen. Wieso, fragte ich mich, kehrt eine so starke Frau wie Karin plötzlich um? Nur weil sie eine innere Stimme hört? Was ist, wenn diese innere Stimme nur darauf aus ist, einen zu beeinflussen? Schließlich ist von richtiger Menschenführung hier nichts zu erkennen. Mit einem Gott, der foltern und morden darf, wird es niemals Frieden auf Erden geben. Hat Karin etwa Angst? Ich zuckte zusammen. Das ist es. Natürlich. Sie hat Angst vor ihm. Sie hat Angst, dass er ihr noch mehr antut, ihre Kinder ins Unglück stürzt. „Na warte du Versager“, zischte ich und schlug wütend auf die Bettdecke. „Mir kannst du keine Angst machen. Auch mit deinen spektakulären Morden nicht. Du wirst dich noch schwer wundern“. Ich hatte keine Lust mehr. Ich wollte keine Kirchenarbeit mehr machen, nicht mehr für so einen Büchergott arbeiten. Beim nächsten Frauentreffen war Karin auch wieder da. Es war nur ein gemütliches Zusammensein, kein besonderes Programm. So hatten die Frauen Gelegenheit, sich näher kennen zu lernen und über private Dinge zu plaudern. „Hast du eigentlich Kontakt zu dem großen Medienkonzern Bertelsmann hier am Ort?“, fragte Karin, die sich zu mir gesetzt hatte. „Ja, natürlich“, antwortete ich. „Ich habe sogar in der Chefetage gearbeitet, ganz oben.“ Karin sah mich erwartungsfroh an. „Könntest du mir dann helfen, mein nächstes Buch zu veröffentlichen? Ich finde nämlich keinen Verlag“, fragte sie bittend. „Ich werde mich erkundigen“, antwortete ich und dachte wieder an meinen eigenen Auftrag. Ich würde meinem damaligen Chef einfach alles erzählen. Er würde mich nicht auslachen. Er hatte mich immer sehr ernst genommen, hätte mich sogar gerne zur Tochter gehabt. Das war kein Geheimnis in der Firma. Außerdem hatte er mir ja befohlen, immer zu ihm zu kommen, wenn irgendetwas wäre. Egal was. Wenn dieser Mann keine Antwort weiß, dann weiß sie keiner, dachte ich. Schließlich werden bei Bertelsmann sehr viele religiöse Bücher hergestellt und die Bibel an erster Stelle. Was sollte also peinlich sein? „Das wäre wirklich toll“, sagte Karin. Sie hatte vor Jahren einen Riesenerfolg mit dem Knauff-Verlag, aber in letzter Zeit bekam sie nur Absagen. Es war wie verhext. „Haben wir denn heute gar kein Thema?“ fragte Marion in die Runde. „Kein bestimmtes“, antwortete ich. „Aber ich habe einige Vorschläge mitgebracht. Wie wäre es mit „Die Waisenkinder nach dem Krieg“ oder „Haben andere Religionen einen anderen Gott?“ Lautstarkes Stöhnen in der Runde. „Nicht immer so was Schweres“, stöhnte Julia. „Ich habe da neulich ein neues Backrezept ausprobiert. Das wollte ich euch mal vorstellen.“ Die anderen nickten zustimmend. Ich sah zu Karin und wir mussten lachen. Backrezepte. Warum nicht? Irgendwie würde sich alles ergeben. Der richtige Moment war einfach noch nicht da, um über diese spektakulären Dinge zu sprechen, die ich wahrgenommen hatte. Wie das Wunder Karin waren auch die anderen Ereignisse „idiotensicher“ für mich zu erkennen, so als hätte man schon damit gerechnet, dass ich gleichgültig darüber hinwegsehen würde. Ich war ja schließlich doof. Plötzlich zog Karin nach München. Ich hatte ihr immer noch nichts von diesen Wahrnehmungen erzählt. Sie wurden immer mehr und unerträglich. Doch dann schrieb ich ihr. Das war leichter als reden. Sie blockte ab. Sie war voll von Angst und verstand die Welt nicht mehr. As Schriftstellerin hatte sie plötzlich keine Chance mehr, obwohl sie in vielen Talkshows im Fernsehen für Aufsehen gesorgt hatte. Was war los? Meine Karin wurde krank. In meinen Briefen flehte ich sie an den katholischen Gott zu verlassen, aber sie weigerte sich. „Ich lasse sie erstmal in Ruhe“, dachte ich. Karin wird sicher bald wieder gesund, so stark wie sie ist. Dann werden wir zusammen ein Buch schreiben. Über die Wahrheit. Es kam anders. Am 6.02.2006 ließ sie mich für immer alleine. Immer diese Zahl 6. Am 6.4.1999 starb mein Vater an Krebs. In der Zeit seiner Krankheit passierten viele merkwürdige Dinge in der Pankratius-Kirche. Was für ein armseliger Versuch, mir Angst einzujagen. Dafür hat man mir sehr sehr weh getan. Immerhin. Aber das hilft auch nicht. Ich wollte eine Antwort, will auf den richtigen Weg. So eine Enttäuschung. „Ein Buch kann jeder Idiot schreiben“, sagte Karin damals zu mir. Jetzt steht sie hinter mir und spricht mir Mut zu.
Die Geschichte mit Karin begann mit einem realen Traum. Er war so echt, dass ich schreiend und schweiß gebadet voller Angst aufwachte. Es war der 15.04.1998 und am 16.04.1998 stand mein Traum auch noch riesengroß in der Zeitung, damit ich das auch alles glaube, was ich in der Nacht real erlebt hatte!!! Dieser Traum war so: Nachdenklich gehe ich die Straße entlang. Mir war langweilig. Als Mutter hat man es nicht leicht und ich hatte diese Rolle satt. Kinder zu erziehen bedeutet große Verantwortung. Ich wollte wieder arbeiten, zurück in meinen alten Beruf. Zurück zu den tollen Arbeitskollegen, die einen ernst nehmen. Man achtete peinlich auf tolle Klamotten und Aussehen und war stets auf dem neuesten Stand, was so draußen abgeht....Ein riesiger Konzern war das, wo ich mal gearbeitet hatte und ich hatte es bis ganz oben geschafft. Ich lernte reiche und berühmte Leute kennen und fühlte mich in diesem Luxus recht wohl. Na ja, jetzt spielte ich nur noch mit dem Baby rum, zog die Putzklamotten gar nicht mehr aus und hatte auch keine Lust mehr, auf die Figur zu achten. Irgendwie fühlte ich mich nicht mehr wohl. Ich hatte mal wieder mit meinem Mann gestritten und dachte an Scheidung. Als ich so alleine durch die Straße ging, dachte ich, dass es keine andere Lösung geben könnte. Plötzlich hält eine dunkle Limousine neben mir. Ich habe so ein Auto noch nie gesehen und bin echt verwundert. Die Scheibe geht langsam runter und eine Stimme spricht mich an. Es ist mein früherer Chef, ein reicher und sehr intelligenter Mann. Er hat helles gepflegtes Haar und strahlendblaue Augen. "Na", sagt er "was machen Sie denn hier so ganz alleine?". "Och", fange ich so an und hoffe, dass mir was einfällt. "Ach", fällt er mir ins Wort "haben Sie eigentlich schon wieder Arbeit?" "Nein, leider nicht", antworte ich und versuche ganz bedauernswert auszusehen. "Na", meint er "ich glaube ich habe da was für Sie. Wollen Sie ein Stück mitfahren?" "Ja natürlich", sage ich und bin heilfroh, dass ich ihn getroffen habe. Meine Rettung, denke ich. Endlich wieder Arbeit. Wir fahren dann los und unterhalten uns. Plötzlich hebt das Auto ab! Wie ein Flugzeug. Es ist sehr angenehm und wackelt gar nicht. Ich kann vor lauter Staunen nichts mehr sagen. Er setzt zur Landung an und meint: "Ich werde Sie wieder in den Konzern integrieren. Mit geringem Eigenkapital können Sie an tollen Projekten mitarbeiten. Das tun Sie doch so gerne, nicht wahr?" Ich konnte es nicht glauben. Das war ja noch besser, als ich dachte. Ich bedankte mich und stieg freudig aus. Gott mußte es jetzt irgendwie gut mit mir meinen. Soviel Glück!!! Früher hatte ich ja nie Glück, aber seit ich in dem Konzern war, lief alles wie von selbst. Als ich die Tür aufmachte und ausstieg, bemerkte ich, dass auch er ausstieg. Ich ging um den Wagen herum, um mich dankend zu verabschieden, da verwandelt sich mein früherer Chef plötzlich in einen kleinen schwarzhaarigen Mann und er droht mir fürchterlich und schreit mich an: "Steige niemals in eine Limousine ein, merke Dir das für allemal!!! Ich bin dann schweißgebadet und schreiend aufgewacht. Mein Herz klopfte wie wild und ich zitterte vor Angst. Diesen Traum brauchte ich nicht aufschreiben, er ist mir immer noch fast so präsent vor Augen wie in der damaligen Nacht!!! Am nächsten Tag passierte dann etwas unglaubliches: es stand riesig groß in der Zeitung. Der Beweis! Der Konzern hatte einen Freundeskreis der Stadt-Stiftung gegründet, dem man mit 100,-- DM Eigenkapital beitreten konnte. Diese Organisation betreut viele Projekte, vor allen Dingen solche, die für Eltern interessant sind und vor allem besonders für mich. Was wollte Gott mir mit so einem Traum sagen??? Oder wer sollte mir sonst was sagen wollen? Was hatte mein früherer Chef damit zu tun? So ganz geheuer war mir da nicht. Er machte nie ein Geheimnis daraus, dass er mich beobachtet. Auch die Arbeitskollegen wussten das. Ich habe mit nie Gedanken darüber gemacht, schließlich konnte ich meinen Job sehr gut. Aber dieses Auto, diese Limo, warum sollte ich niemals dort einsteigen? Warum wollte er mir das verbieten? Ich kannte doch niemanden, der so ein Auto hat. Diese „Vision“ fand ich überhaupt nicht lustig. Natürlich belächelte das jeder, dem ich davon erzählte und mein Beweis aus der Tageszeitung wurde auch nur mit einem „das ist doch nur ein Zufall“ abgetan. Für mich war das kein Zufall, aber Gefühle kann man anderen nicht mitteilen, die muss man schon selbst erleben um sie für real zu halten.
- Fortsetzung folgt -
© Renate Ibeler
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