Petra Plaum - Erziehung früher, Erziehung heute Teil 5

Datum 22.10.2008 11:12 | Kategorie: Internes

Teenager ins Erwachsenenleben begleiten: Interesse ja bitte, ,,Kumpeln“ nein danke

,,Schon wieder eine Fünf?“ Der Vater ist entsetzt. Die 13-Jährige zuckt mit den Schultern. ,,Ja, und? War halt sauschwer“. -- ,,Bei uns hätte es dafür eine Woche Hausarrest gegeben“, mischt die Oma sich ein. ,,Versucht’s, dann ruf ich die Polizei wegen Kindesmisshandlung“, meint die Jugendliche. ,,Heute kein Fernsehen“, knurrt der Vater. Fluchend und türenknallend verschwindet das Mädchen in ihrem Zimmer.
Mediziner und Psychologen trösten: weil der heranwachsende Mensch biologisch im Ausnahmezustand ist, ist seltsam anmutendes Auftreten erst mal normal. Renate Föll-Reith von der Psychologischen Beratungsstelle der Evangelischen Kirche in Stuttgart sieht es positiv: ,,Pubertät heißt: Eltern kommen in Bewegung“. Die Pubertät ist sozusagen das Gegenstück zur Trotzphase und bringt, wie diese, langfristig mehr Reife und Eigenständigkeit für alle in der Familie. Und die Familientherapeutin Christina Rosemann weiß auch, warum Pubertät oft weh tut: ,,Teenager wollen und müssen sich an ihren Eltern reiben, und das geht nicht immer ohne Blessuren“. Immer mehr Eltern wissen das, und viele haben selbst eine wilde Teenagerzeit hinter sich. Erziehungsexperten warnen allerdings vor einem allzu lockeren Umgang mit Heranwachsenden, einem ,,Kumpelverhältnis“ zwischen Jung und Alt, ebenso wie vor zu strengen Regeln, Verboten und Hinterherschnüffeln. Die Jugend braucht Reibung UND Freiheit – nur so findet sie einen eigenen Weg.

Neu im Angebot: Drogen und Designerjeans
Was junge Leute bedroht, hat sich verändert. Alkohol und Drogen gibt es in viel größerer Vielfalt als früher und nahezu überall. ,,Einen Trend zum Komasaufen“ hat Diplompädagogin und Sozialarbeiterin Renate Föll-Reith beobachtet: ,,Alkohol ist allgemein akzeptierter, dabei ist er gerade für Jugendliche in medizinischer wie biologischer Sicht gefährlich“. Drogen sowieso. Chemische Drogen, aber auch das lange als harmlos geltende Kiffen führt Studien zufolge oft zu Persönlichkeitsveränderungen, manchmal zu psychischen Erkrankungen. Eltern tun gut daran, offen mit ihren Kindern über diese Risiken zu reden und auch das eigene Suchtverhalten zu überprüfen. Diplompädagoge Ansgar Röhrbein rät in ,,Teenager-Alarm“, Jugendlichen ,,genug Abwechslung und Spannung zu vermitteln, dass sie erst gar nicht auf Drogen zurückgreifen müssen – sei es im Verein, der Jugendgruppe, bei Zeltlagern, auf Freizeiten oder bei Jugendevents“. Ehrliches Interesse der Eltern an der Gefühlswelt ihres Kindes spielt außerdem eine Rolle.

Einfache Wenn-Dann-Regeln lassen sich in der Entwicklung junger Menschen natürlich nicht aufstellen. Kinder stabiler, zugewandter Eltern mögen ins Straucheln kommen, während die Kinder labiler oder sogar süchtiger Eltern ihren Weg gehen. ,,Wir geben Eltern keine Patentrezepte“, betont denn auch Renate Föll-Reith. ,,Jede Familie muss ihre eigenen Regeln finden“. Das gilt auch für den Konsum allgemein: ,,Es gibt zunehmend Schul- und Klassengemeinschaften, wo die Anerkennung von Statussymbolen abhängt“. Eltern und Kinder können miteinander klären: Welche Dinge können und wollen wir als Familie finanzieren? Jugendliche haben zudem Möglichkeiten, doch noch das Gewünschte zu bekommen: durch Nebenjobs, z.B. als Zeitungsausträger, durch Sparen oder durch die Entscheidung für gebrauchte Markenkleidung. Viele merken früh genug: die Jeans von Designer XY sitzt auch nicht besser als die aus dem großen Kaufhaus und war die vielen Stunden Zeitungsaustragen eigentlich nicht wert.

Jugend heute: Technikverliebt, doch nicht wirklich cool
Was Computer, Spielkonsolen, Handys und Co. angeht: Großeltern mögen den Kopf darüber schütteln, doch schon für die Eltern von heute gehören sie zum Alltag. Kein Wunder also, dass die Jugend sich auf die neue Technik stürzt. Das ist zum einen wichtig – in Ausbildung, Studium und Beruf haben Technikmuffel weniger Chancen. Zum anderen können Computerspiele und Internet auch süchtig machen. Diplom-Pädagoge Ansgar Röhrbein empfiehlt in ,,Teenager-Alarm“, die jungen Leute gut zu beobachten und wöchentliche oder monatliche Zeitkontingente fürs Computerspielen oder Surfen im Internet auszuhandeln. Renate Föll-Reith ergänzt: ,,Eltern sollten die Inhalte der Spiele kennen, die ihr Kind spielt“.

Und die Schule? Hand aufs Herz: Wer von den Eltern von heute hat noch nie eine Klausur verhauen, weil die Gedanken gerade um eine heimliche Verliebtheit oder Streit in der Clique kreisten? Bei denen, die heute jung sind, wird eine verhauene Klausur eher zum Problem als in Zeiten, in denen Jugendliche leicht eine Ausbildung fanden. ,,Eltern erleben ihre eigene Ohnmacht, wenn das Kind in der Schule versagt“, erklärt Renate Föll-Reith. Manchmal bringt Nachhilfeunterricht Besserung, manchmal ein Schulwechsel, manchmal nur Reden – und Abwarten. Elke Kruse gibt zu bedenken: ,,Ich glaube, dass Eltern die geheimen Sorgen ihrer Kinder oft nicht genug in Rechnung stellen, wenn sie erwarten, dass sie jederzeit gut funktionieren.“

Die Jugend von heute hat sicher materiell mehr als viele Generationen zuvor. Doch sie hat auch mehr zu verlieren als je zuvor. Und die meisten sind nicht so cool, wie sie gern tun. Elke Kruse berichtet von Jugendlichen, die von sich aus zur Caritas-Erziehungsberatung kommen und z.B. klagen, ,,sich von den Eltern übersehen zu fühlen. Manchmal sprechen Jugendliche auch über sehr ernste Symptome wie gestörtes Essverhalten, Ritzen, suizidale Stimmungen, von denen die Eltern bisher nichts mitbekommen haben. Oder sie machen sich Sorgen, weil sie bei einer Freundin so etwas beobachtet haben und sich bei ihr trotz stundenlanger Gespräche nichts ändert.“ Jugendliche suchen und akzeptieren also durchaus Rat von Älteren. Manche sind auch eine Weile zugänglicher für die klugen Worte der Großeltern als für jene der eigenen Eltern. Gar nicht wenige bereuen hinterher, was sie während der Pubertät Mutter und Vater angetan haben. Doch dann ist der Weg offen für ein neues Miteinander in der Familie. Eines unter...Erwachsenen.

Buchtipps:
Christina Rosemann/Ansgar Röhrbein: Teenager-Alarm. 10 brandheiße Themen in der Teenager-Erziehung. R. Brockhaus 2006, EUR 10,90

Albert Biesinger: Kinder brauchen mehr als alles. Eine Elternschule. Schwabenverlag 2003, EUR 14,90


© Petra Plaum



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