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Peter Zemla

Eine für alle, alle für eine


Schluss mit der gesellschaftlichen Missachtung. Schluss mit der Selbstkasteiung. Hausfrauen tun sich zusammen, um an ihrer Situation etwas zu ändern. Die ehemalige Schauspielerin Marie Theres Kroetz-Relin fungiert als Initiatorin und Leitfigur einer erstaunlichen Bewegung.

Tschingtaratata dröhnt es aus dem Roncalli-Zelt. Klänge, so schmissig, wie sie nur eine Zirkuskapelle hinkriegt, überfluten das Brachgelände hinter dem Münchner Hauptbahnhof. Applaus brandet auf. Und durch die roten Wohnwagengassen schlängelt sich frischer Popcornduft. Marie Theres Kroetz-Relin hat sich dieses zirzensische Umfeld zum Gespräch selbst ausgesucht. Zum einen, weil ihre drei Kinder in der Nachmittagsvorstellung gut aufgehoben sind. Zum anderen, weil sie hier Jugenderinnerungen auffrischen kann. Mit 14 war sie von Roncallis Art, Zirkus zu zelebrieren, total begeistert. Sie hat sich mit den Artisten befreundet und ist dem Zirkustross sogar nachgereist, wenn die Schule es zugelassen hat.
Seither hat die Frau, der man ansieht, dass in dem zierlichen Körper eine Extraportion Energie stecken muss, einiges erlebt. Mit 16 bricht die Tochter von Maria Schell und Veit Relin allein nach Paris auf. Sie lernt Sprachen, nimmt Schauspielunterricht und bekommt erste Rollenangebote. In den 80er Jahren gilt sie als Nachwuchshoffnung des deutschen Films und darf sich eine Goldene Kamera ins Regal stellen.
Doch die glamouröse Karriere ist zu Ende, bevor sie richtig Fahrt aufnimmt. Marie Theres gibt der Liebe den Vorrang. 1987 lernt sie den Schriftsteller Franz Xaver Kroetz kennen und wird - weil sie, wie sie sagt, "zu blöd zum Verhüten" gewesen ist - schwanger. Der Tochter Josephine folgen 1992 Magdalena und 1995 der Sohn Ferdinand. Statt auf Anweisung eines Regisseurs zu hören, wechselt sie fortan Windeln und sorgt dafür, dass der Dichtergatte zu Hause optimale Arbeitsbedingungen vorfindet.
Rackern für umsonst
Dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hat, daran lässt Kroetz-Relin heute keinen Zweifel. Sie bereut nichts. Trotzdem keimte in ihr das Körnchen Panik, das Hausfrauen und Mütter allzu gut kennen: Was tun, wenn die Kinder sie nicht mehr brauchen? In den Beruf zurückzukehren? Die Rente jedenfalls, die sie eines Tages vielleicht bekäme, wäre der Rede nicht wert. Das Schlimmste aber an solchen Gedanken ist der Punkt, an dem man sich eingesteht, dass nicht wirklich anerkannt wird, wofür man sich täglich abrackert. Nicht von der eigenen Familie, nicht von der Gesellschaft und schon gar nicht vom Staat.
Darum musste etwas geschehen. Und Kroetz-Relin wusste auch schon, mit welchem Etikett sie dieses Etwas versehen wollte: Hausfrauenrevolution. Der Begriff provoziert und erschreckt. Kroetz-Relin verbreitete Mitte 2002 in einigen Interviews ihre noch unausgegorenen Ideen, etwas auf die Beine zu stellen, womit der Stellenwert der Hausfrau aufgebessert werden soll. Und stampfte dann quasi über Nacht eine Homepage aus dem virtuellen Boden des Internets. Außer ein paar einführenden Zeilen und einer Kurzgeschichte ihres Mannes war da noch nichts zu lesen. Trotzdem klickten sich schon am ersten Tag 2700 Interessierte zu. "Das war ein Zeichen", kommentiert Kroetz-Relin den erfolgreichen Kaltstart. "Mir war klar, jetzt explodiert’s gleich."
Die Explosion brachte zwar bislang noch nichts zum Einsturz, aber ihre Auswirkungen können sich dennoch sehen lassen. Nach zwei Jahren ist die Homepage der Hausfrauenrevolution zu einer imposanten Informationsanlaufstelle, Selbstverwirklichungsplattform und Kontaktbörse angewachsen. Mehr als 200 Textlieferanten - darunter der ein oder andere Profi wie Lisa Fitz, einige Ärzte, aber vor allem Hausfrauen - haben hier Spuren hinterlassen. Man kann etwas erfahren über Tinnitus, über Wechseljahre oder die Glasknochenkrankheit. Das Forum quillt über. Wer ein offenes Ohr braucht, wird es hier finden.
Doch wie schaut’s mit der Revolution aus? Kroetz-Relin setzt zum großen "Moment mal" an. Sie wolle nicht Hausfrauen zum Streik aufrufen. Zumindest jetzt noch nicht. Dazu sei ihr Netzwerk, das immerhin bereits Gleichgesinnte in Spanien, der Schweiz oder den USA gefunden hat, bei weitem noch nicht eng genug gestrickt. Konkrete politische Ziele anzugehen, sei deshalb illusorisch. In erster Linie wolle sie Frauen dazu bringen, sich zu öffnen. "Aufmachen", lautet Kroetz-Relins Zauberwort. Selbstbewusst müssten die Frauen werden, das eigene Potenzial an Kreativität entdecken. Und nicht zu vergessen: Sie müssten lernen, Spaß zu haben.
Zu diesem Zweck sind Kroetz-Relin auch ungewöhnliche Methoden recht. Im vergangenen Juli entführte sie ihre Frauen auf die Höhen des Chiemgaus. Auf 1700 Metern absolvierten sie ein Jodelseminar, an dessen Ende es für jede ein Jodeldiplom gab. Was sich verdächtig nach Loriot anhört, diente nicht nur zur allgemeinen Belustigung, sondern führte auch dazu, dass Frauen, die sonst darin aufgehen, pünktlich vor dem Kindergarten zu stehen, sich etwas Ungewöhnliches zutrauten.
Das Unmögliche möglich machen, lautet denn auch das Motto der Hausfrauenrevolution. Das haben Kroetz-Relin und ihre Mitstreiterinnen im Kleinen schon in mannigfaltiger Weise getan. So wurden Patenschaften ins Leben gerufen, in deren Rahmen sich gut situierte Frauen um solche kümmern, die nicht auf Rosen gebettet sind. Netze von Pflegemüttern sollen etabliert, Vermittlungen für Secondhand-Kleider organisiert oder Zufluchtstätten für bedrohte Frauen eingerichtet werden.
Seit 1998 lebt die Familie Kroetz-Relin - sie kaufte damals ein kleines Haus auf Teneriffa - abwechselnd in Spanien und am Chiemsee. Was den drei Kindern den Vorteil bringt, mit zwei Kulturen aufzuwachsen. Und was ihrer Mutter viele Einsichten beschert hat, die in die Hausfrauenrevolution eingeflossen sind. So sei, was Nachbarschaftshilfe anbelangt, Spanien mit Deutschland überhaupt nicht zu vergleichen. Als ihr Mann vor einiger Zeit in Deutschland gearbeitet und sie krank im Bett gelegen habe, erzählt Kroetz-Relin, hätten viele Nachbarn abwechselnd für sie gekocht, die Kinder abgeholt und betreut. Aber auch von staatlicher Seite werde für Familien weitaus mehr getan, sagt sie und zieht ein Kärtchen hervor, das sie als "kinderreich" ausweist. "Damit fahren wir mit öffentlichen Verkehrsmittel billiger, kommen umsonst in Museen und und und…"
Natürlich könne sie sich dergleichen auch für Deutschland vorstellen. Das und vieles andere mehr. So hat sie etwa die Idee, Putzlappen mit dem Logo der Hausfrauenrevolution bedrucken zu lassen. Bei deren Vorlage sollen Hausfrauen bei bestimmten Geschäften Vergünstigungen bekommen. Eins scheint sicher: Der Phantasie sind bei Marie Theres Kroetz-Relin keine Grenzen gesetzt. Tschingtaratata, tönt es aus dem Zelt nebenan. Offensichtlich hat sie damals ihre Zirkuslektion gut gelernt.


[Zitate:]
"Wenn ich für jeden Handgriff jemanden habe, dann kann ich die gute Mutti sein und am Abend Erich Kästner vorlesen."
Marie Theres Kroetz-Relin

"Ich will nicht große Dinge verändern. Aber viele kleine."
Marie Theres Kroetz-Relin


zum buch
Als Marie Theres Kroetz-Relin (geboren 19..) die Hausfrauenrevolution anstieß, bemerkte ihr Mann, der Dramatiker Franz Xaver Kroetz, noch süffisant: "Ist doch süß, jetzt hat meine Hausfrau ein Hobby." Als sie ihm etwas später mit Sätzen wie "Sei mal ruhig, ich muss schreiben" kam, merkte auch er, dass etwas im Busch ist. Jetzt ist es raus aus dem Busch und trägt den Titel "If Pigs Could Fly". Das Buch versammelt die spannendsten Texte von der Hausfrauenrevolution-Homepage. Mal lustig, mal bitterernst geht es um die Vereinsamung am Herd, um Mutterfrust und Ehedämmerung. Aber auch um Aids, Drogen und Bulimie. Direkt und authentisch sind die Texte, die Kroetz-Relin präsentiert, und in jedem Fall ein repräsentativer Querschnitt durch ihre Bewegung.


Marie Theres Kroetz-Relin (Hg.)
If Pigs Could Fly - Die Hausfrauenrevolution
Kabel
240 S., 14,90 €



Mit freundlicher Genehmigung des Buchjournal