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Barbara de Raad

Das Mädchen und das Schwein


Langsam ging Clara die menschenleere Straße entlang. Von der Bushaltestelle bis nach Hause brauchte sie nur eine knappe Viertelstunde, aber manchmal zog sich der Weg endlos hin.
Die Siedlung war in den fünfziger Jahren erbaut worden, die Häuser schmucklos, zweckmäßig aber gepflegt. Fast alle Bewohner schienen Clara steinalt zu sein, und ihre Kinder waren längst aus dem Haus.

Es war ein sanfter Frühlingstag. Fröhlich strahlte die Sonne und ein leichter, milder Wind pustete Claras Haare durcheinander. Sie bog in eine schmale Sackgasse ein und hielt vor dem letzten Haus. Hier war sie vor einigen Wochen mit ihren Eltern eingezogen. Sie kramte den Schlüssel aus der Schultasche, und öffnete die Eingangstüre.
Die Stille des leeren Hause schlug wie eine graue, zähflüssige Masse über ihr zusammen. In der Küche stand wie immer ein Topf mit Essen für sie bereit. Lustlos schaute Clara hinein, was ihre Mutter heute für sie vorbereitet hatte, - irgendeine dunkle Suppe die auch noch seltsam roch. Nein, sie würde sich lieber ein Brot machen und die Suppe ins Klo schütten. Ihre Mutter war sonst wieder beleidigt, wenn sie entdeckte, dass Clara das Essen nicht angerührt hatte. Dabei gab es unter der Woche sowieso nur etwas aus Büchsen, da ihre Mutter abends viel zu müde war um noch zu kochen. An den Wochenenden kam aber dafür immer etwas Besonders auf den Tisch, und manchmal, wenn Clara sich etwas wünschen durfte, sogar ihr absolutes Lieblingsgericht, eine Gemüselasagne.
Claras Eltern hatten ein kleines Geschäft für Innendekoration in der Stadt. Sie hatten einen großen Kundenstamm, liebten ihre Arbeit und ergänzten sich perfekt.

Bis vor dem Umzug war Clara nach der Schule in einen Hort gegangen, aber in der Nähe der neuen Schule gab es keinen. Sie war jetzt acht Jahre alt und für ihr Alter schon sehr vernünftig. Ihre Eltern meinten sie könne nachmittags gut alleine Zuhause bleiben, aber unbesorgt waren sie nicht. Ihr war streng verboten worden alleine auf der Straße herumzulaufen, und ihre Mutter versuchte sie immer mal zwischen zwei Terminen kurz anzurufen.
Clara setzte sich mit ihrem Brot auf die alte Holzbank in den Garten und schaute gelangweilt auf die dichte Hecke, die wie eine grüne undurchdringliche Wand den Garten begrenzte und keinen Blick nach draußen erlaubte.
Plötzlich straffte sie ihre Schultern, schluckte den letzten Bissen runter und stand entschlossen auf. Sie würde es wieder tun! Und es war ihr völlig egal ob es verboten war!
Sie lief ins Haus, griff nach ihrem Schlüssel und schon zog sie die Haustüre hinter sich zu.
Schnell schaute sie sich um, als wenn es jemanden gäbe, der sie bei diesem verbotenen Tun beobachten würde.
Sie bog in den Feldweg ein, der hinter ihrem Haus zu einem Bauernhof führte. Aber es war kein normaler Bauernhof. Dieser Hof war ein Ort der Qual. Es war ein Schweinemastbetrieb. An das alte, sehr ungepflegte Gebäude waren lange, niedrige Hallen angebaut worden. Flachdach, ohne Fenster, nur an den oberen Kanten der Außenmauern zogen sich schmale Lüftungsschlitze entlang.
Und aus diesen Lüftungsschlitzen kam auch der Geruch, ein ganz spezieller Geruch, eigentlich nicht zu beschreiben. Bei ungünstigem Wind war er in der ganzen Siedlung zu riechen, streng, beißend, widerlich.
Und gerade dieser Ort war es, der Clara magisch anzog.

Sie beobachtete das Ausladen der kleinen, gerade angelieferten Ferkel, die unter verzweifeltem Quieken, von rohen Händen an Ohren und Schwanz gepackt, in die Hallen geschleppt wurden. Sie sah wie riesige Schweine, kaum fähig ihr Gewicht mit ihren eigenen Beinen zu tragen, auf große Lastwagen getrieben wurden, die dann rumpelnd an ihrem Haus vorbeifuhren und irgendwann leer zurückkehrten.
Manchmal, wenn alles ruhig und kein Arbeiter zu sehen war, huschte sie an den Hallen entlang zu den Türen und sah hinein.

Das Grauen dieses Anblicks, der Lärm, der Gestank, - mehrfach quälte sie in der Nacht der immer gleiche fürchterliche Albtraum. Sie saß zwischen den Schweinen, großen, riesigen Schweinen. Es war entsetzlich eng. Die Schweine erdrückten sie fast zwischen ihren schweren Körpern, und sie konnte sich einfach nicht befreien. Sie schrie, rief nach ihren Eltern während sie versuchte die Schweine von sich wegzuschieben, aber niemand hörte sie. Und wenn sie dann keine Luft mehr bekam, die Enge schier unerträglich wurde, wachte sie auf.
Heute lag der Hof verlassen in der Sonne. Leise und vorsichtig schlich sie zu einer alten Scheune. Ein Gebäudeteil, der zu der Zeit gebaut wurde, als der Hof noch ein normaler Bauernhof war. Die Seitenwände waren aus Holzbrettern, verwittert, schief und daher lückenhaft. An der Rückwand war ein großer Spalt, durch den Clara gut in das düstere Innere schauen konnte. Auch hier waren Schweine untergebracht. Kleine Ferkel, gerade erst angekommen, drängten sich in einem Verschlag, in den die Arbeiter drei mal täglich einen fürchterlich stinkenden Brei in schwarze Plastikwannen kippten.

Zwischen Unkraut, Stücken von zerborstenen Dachziegeln und Steinen kauerte sich Clara nieder, das Gesicht dicht an den Spalt gepresst und beobachtete die Schweine.
Ein Schwein, alleine in eine Ecke gedrückt, war deutlich kleiner als die Anderen. Und dieses Schwein bemerkte sie fast sofort. Es hob den Kopf, drehte ihn in ihre Richtung und sah ihr direkt in die Augen. Es schnüffelte leicht und kam dann vorsichtig, mit trippelnden Schritten zu dem Spalt. Langsam näherte sich seine Schnauze, und zart stupste Clara mit einem Finger gegen die glatte, kühle Schweinenase.
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, hätte sie ihren Finger nicht durch den Spalt gesteckt und die Nase des Schweins berührt, aber so war ein winziges Samenkorn gesät worden. Das Samenkorn einer Freundschaft.
In der folgenden Zeit gab es keinen Tag mehr, an dem Clara nicht zu ihrem Platz hinter der Scheunenwand ging. Sie kannte die Arbeitsabläufe des Betriebs bald so gut, das sie genau wusste, wann sie unbeobachtet und ungestört mit ihrem Freund sprechen konnte.

Sobald das Schwein ihre Schritte hörte, lief es zu dem Spalt, schob erwartungsvoll schnüffelnd seine Schnauze hindurch und wartete auf die liebevolle Berührung der kleinen Finger.
Leise und sanft erzählte Clara von all den Dingen, die sie bewegte, aber auch lustige Geschichten, die sie sich ausdachte, um die sich in düsterer Langeweile dahinschleppenden Tage des Schweins aufzuheitern. Sie schmiegte ihre Wange an die flache Nase des Schweins und so, Wange an Nase, verbrachten sie viele friedliche Stunden.
Clara war nicht mehr einsam. Sie hatte einen Freund, dem sie all ihre Träume erzählen konnte. Ihre Nachmittage waren ausgefüllt und jeden Morgen stand sie fröhlich auf. Wenn die Schule aus war, rannte sie den Weg von der Bushaltestelle nach Hause, weil sie es nicht erwarten konnte, ihren Freund zu sehen.
Diese glückliche Zeit konnte natürlich nicht ewig so weitergehen.

Das Schwein wuchs und wurde schwerer, zwar langsamer als die anderen Ferkel, aber dennoch.
Immer mehr legte sich die Endlichkeit dieser Freundschaft wie eine graue Wolke über die gemeinsamen Stunden, und Clara fühlte den drohenden Verlust ihres einzigen Freundes wie eine Last, die immer schwerer und schwerer auf ihre Schultern drückte.

Jetzt rannte sie von der Schule nach Hause, getrieben von der Angst, das Schwein könnte weg sein. Irgendwann würde es von den Männern in eine der großen Hallen gebracht werden.
Sie träumte jetzt immer wieder wie sie durch eine große, düstere Halle irrte. Die unzähligen Schweine machten einen unerträglichen Lärm und ihre Rufe nach ihrem Freund verhallten ungehört. Sie suchte und suchte, ihre Augen tränten von dem beißenden Geruch, und egal wie lange ihr Traum dauerte, ihren Freund fand sie nie.
Langsam bemerkten auch Claras Eltern die Veränderung ihres Kindes.
Sie war schon immer ein stilles Kind gewesen, aber inzwischen sprach sie zuhause kaum noch. Müßig saß sie an den Wochenende vor dem Fernseher, aber selbst das lustigste Kinderprogramm konnte ihr kein Lächeln entlocken. Sie weigerte sich Fleisch und Wurst zu essen, und beharrte standhaft in ihrer Meinung damit Unrecht zu tun.
Ihre Lehrerin rief bei ihren Eltern an und bat sie zu einem Gespräch in die Schule, und obwohl sie schon oft Claras fehlende Mitarbeit im Unterricht bemängelt hatte, waren ihre Klagen doch diesmal anders. Clara würde kaum noch Hausarbeiten machen, und wenn wären sie nur mangelhaft. Sie würde dem Unterricht in keiner Weise mehr folgen sondern wäre in Gedanken versunken, und wenn sie angesprochen würde, wüsste sie nie, was gerade besprochen worden sei. In der letzten Woche habe sie zwei Mal gebeten, früher nach Hause zu dürfen, da sie Bauchschmerzen hatte.
Nach dem Gespräch fuhren Claras Eltern nicht sofort in ihr Geschäft zurück.
Sie gingen in ein Restaurant und dort, während des Essens, diskutierten sie über ihre Tochter.
Ihnen war klar, dass irgendetwas nicht stimmte, und sie machten sich bittere Vorwürfe nicht hartnäckiger versucht zu haben, mit Clara zu sprechen. Sie fühlten sich völlig hilflos und unglücklich, weil ihnen einfach kein Grund einfallen wollte, der ihre sonst so zuverlässige Tochter bedrücken könnte.
Als sie am Abend nach Hause kamen erzählten sie Clara von der Unterredung mit der Lehrerin und versuchten mit vorsichtigen Fragen herauszufinden, ob sie mit ihren Mitschülern oder Lehrern Probleme hatte. Clara reagierte wie immer in letzter Zeit sehr einsilbig, erklärte in der Schule mit niemandem Probleme zu haben und versprach sich zu bessern.
Doch am nächsten Tag verließ sie schon nach der zweiten Stunde die Schule.

Ihre Eltern schlossen nach dem Anruf der Lehrerin sofort ihr Geschäft und fuhren auf dem schnellsten Weg nach Hause, aber Clara war nicht dort. Die Stunden während sie auf ihre Tochter warteten zogen sich quälend in die Länge und ihnen wurde klar, dass sie nicht im Entferntesten wussten, wie Clara ihre Zeit verbrachte.
Ihre Mutter versuchte das Essen vorzubereiten, aber als sie Schnitzel aus der Gefriertruhe nahm, fiel ihr ein, dass Clara sie nicht essen würde. Verstört schlug sie die Hand vor den Mund und schluchzte auf. Was war nur mit ihrer Tochter los? Welches Geheimnis verbarg sie vor ihnen?
Ihr Vater lief wie ein gefangenes Raubtier im Wohnzimmer auf und ab und fühlte sich so verzweifelt wie noch nie. Was sollten sie jetzt tun? Warum hatte Clara kein Vertrauen mehr zu ihnen?
Als sie endlich den Schlüssel in der Haustüre hörten, rannten sie zur Türe.
Clara war viel zu traurig, um über das Zuhausesein ihrer Eltern erschrocken zu sein. Sie wusste einfach keinen Ausweg mehr, und sie war erleichtert, als ihre Eltern sie in die Arme schlossen. Die Last war zu groß geworden. Die Angst, die sie spürte, wenn sie sich von ihrem Freund verabschiedete, ließ sie nicht mehr zur Ruhe kommen. Ununterbrochen überlegte sie, wie sie das Schwein vor dem sicheren Tod retten konnte, aber keine Idee hielt einem zweiten Gedanken stand.
Ihre Eltern gingen mit Clara in den Garten, und dort, auf der alten Holzbank, entschied sich das Schicksal des Schweins.
Nur ein kleiner Anstoß genügte, und Clara erzählte ihren Eltern von ihrem Kummer um ihren Freund. Ruhig, ohne sie mit Vorwürfen zu unterbrechen, hörten die Eltern zu.
Sie schilderte ihnen die Langeweile und Einsamkeit der alleine verbrachten Nachmittage und wie sie damit angefangen hatte, die Umgebung zu erkunden.
Sie beschrieb die verwirrenden Eindrücke, die sie durch ihre Beobachtungen in dem Schweinemastbetrieb gewonnen hatte, und ihre Eltern spürten die Erleichterung, die es ihr brachte, endlich alles aussprechen zu können.
Und schließlich erzählte sie ihnen mit Tränen in den Augen von ihrem Freund. Sie beschrieb seine sanften Augen, die zarte Haut, den niedlichen Ringelschwanz und sein liebes Wesen.
Ihr Schmerz über den drohenden Verlust des Freundes wurde mit jedem Wort größer.
Am Ende, als Clara nur mehr bitterlich weinen konnte, stand ihr Vater auf.
Er nahm seine Tochter bei der Hand, und gemeinsam gingen sie den Weg hinunter zum Schweinemastbetrieb.
Ein knapper Wortwechsel mit einem Arbeiter. Der Chef wurde geholt. Ein kurzes Gespräch, von ihrem Vater ohne Zögern und sehr bestimmt geführt. Einige Geldscheine wechselten den Besitzer, und schon stand Clara zum ersten Mal in der Scheune, in der ihr Freund so viele dunkle Wochen hatte verbringen müssen.
Wie immer saß er alleine in seiner Ecke, den Kopf gesenkt. Doch als er sie hörte, und ihre zitternde Hand sah, die auf ihn zeigte, stand er auf, kam an die Holzwand und hob vertrauensvoll seinen Kopf zu ihr auf.
Einige Tage später, als die Eltern abends aus der Stadt zurückkamen, gingen sie in ihr Wohnzimmer und sahen in den Garten. Zufrieden lächelten sie sich an.
Da saß ihre Tochter auf der alten Holzbank. Auf ihren Knien lag ein Buch und ihre Hand ruhte auf dem Rücken des Schweins. Nicht nur Clara, auch das Schwein sah in die untergehende Sonne.



In Würdigung der geschilderten Ereignisse folgt an dieser Stelle Claras Leibgericht, natürlich ein fleischloses Rezept:


Sparzer Gemüselasagne

Für 4 Personen:
250g grüne oder gelbe Lasagne-Blätter

Gemüsemasse:

1 Zwiebel würfeln,
2 Knoblauchzehen zerdrücken,
2 Möhren, 1 kleine Stange Lauch, 1 kleine Zucchini, ¼ Aubergine würfeln bzw. in Halbringe schneiden,
3 Esslöffel Öl erhitzen, zuerst Zwiebeln und Knoblauch andünsten, restliches Gemüse zugeben und gut andünsten,
mit 100ml Rotwein ablöschen,
1 Packet passierte Tomaten, 1 Brühwürfel, 1 Teelöffel Salz, 1 Teelöffel Paprika edelsüß, Pfeffer, Oregano, Thymian unterrühren, ca. 15 Minuten auf mittlerer Stufe zugedeckt garen, abschmecken.

Béchamelsoße:

50g Butter erhitzen,
50g Mehl darin anschwitzen
mit ¼ l Wasser, ¼ l Milch, ¼ l Sahne nach und nach aufgießen und ca. 10 Minuten köcheln lassen,
mit gekörnter Brühe, Salz, Pfeffer, Muskat und 40g geriebenem Parmesan abschmecken.

Eine dünne Schicht der Gemüsemasse in eine gut gefettete Auflaufform geben, dann abwechselnd Lasagne-Platten, Béchamelsoße, geriebenen Emmentaler (von insgesamt 100g) einfüllen.
Vorgang mehrmals wiederholen.
Die oberste Schicht sollte aus Béchamelsoße bestehen und die Nudeln abdecken.
Mit dem restlichen Käse bestreuen.

Im vorgeheizten Backofen bei 190° circa 50 Minuten backen.