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Kolumnen von Brigitte Hieronimus

Eigentlich...

NR.1

Ich saß am Küchentisch vor der ausgebreiteten Zeitung und schrieb einen Leserbrief. Es ging darin um "Therapeutisches Klonen von embryonalen Stammzellen". Mich entrüstete einerseits die Doppelmoral der zuständigen Politiker und andererseits die Allmachtsbesessenheit so mancher Wissenschaftler. Da sollte medizinisches Neuland betreten werden, um Alzheimer und Parkinson in den Griff zu bekommen. Sicher, auch mir war klar: Die Gesellschaft altert immer mehr und im Jahre 2030 würde es laut Statistiken, einen Höchststand vom Alten geben.

Das Land des Alters würde sich ausbreiten.
Krankheitsbilder würden zunehmen, vor allem, wenn sich die individuelle Lebensführung im beginnenden Alter nicht ändern würde. Mir schien ebenso klar: Haben wir das eine Symptom besiegen können, würde uns bald darauf ein anderes bedrohen. Der Kampf gegen das Alter würde niemals enden. Ich machte mir dazu eigene Gedanken. Das vermeintliche Schreckgespenst klopfte auch bei mir laut und vernehmlich an die Tür.

Ich zählte noch kein halbes Jahrhundert.
Doch immer häufiger gab es dieses Ahnen in mir, vergleichbar mit jener Ahnung, die Frauen überkommt, wenn sie eine möglich gewordene Schwangerschaft spüren. Ich machte mir Gedanken über das ungeborene Leben, das schon als Vorstufe der Blastozyste ein Mensch ist, und jede dieser ersten Zellen das gesamte, zur menschlichen Entwicklung notwendige, genetische Programm in sich trägt. Wenn diese "Zellklumpentheorie" so unwert erschien, dass sie den Alten und Kranken geopfert werden konnte, dann fragte ich mich, wieso der Abtreibungsparagraph so schwer in die Gänge kam und eine Frau sich unwürdig rechtfertigen muss, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - eine Abtreibung wünscht?

Ein Kampf, der niemals endet.
Ich gehe davon aus, dass sich keine Frau leichtfertig dazu entschließt und befand mich mitten drin in einer Argumentation, die mir einerseits die Fragen des Alters unerbittlich an den Kopf warf, die mir aber andererseits notwendige Antworten schuldig blieb. Wenn ich daran dachte, dass mich eines Tages meine Enkeltochter danach fragen würde, was würde ich ihr antworten?



Eigentlich... NR.2


Eigentlich wird sich über das Großmutterdasein wenig bis gar keine Gedanken gemacht. Es passiert halt. Die Natur nimmt ihren Lauf und schon sitzt frau in der zweiten Reihe. Plötzlich wird sie eine OMA-MAMA.
Da wird nicht erst um Erlaubnis gefragt,
Als meine Tochter damit in Planung ging, war ich noch mitten drin im Turboleben. Ich betrieb ein eigenes Geschäft, betätigte mich ehrenamtlich, plante eine Weiterbildung, hatte Mann und FreundInnen, um mir die freie Zeit zu verschönern. Und dann kam dieser Satz, der einen aus der Balance haut: Du wirst Oma! Einige meiner gleichaltrigen Freundinnen reagierten verhalten auf meine freudig verkündete Nachricht.

Oma wird frau über Nacht
"Ich habe selber noch gar nicht richtig gelebt!" "Ich fühle mich viel zu jung dazu!" "Damit werde ich ans Alter erinnert!" "Ich habe keine Lust und Zeit, auf die Kinder meiner Kinder aufzupassen!", waren einige Antworten. Ich hielt inne. Dachte ich auch so? Nein. Keine dieser Antworten traf zu. Im Gegenteil, ich genoss den immer runder werdenden Bauch meiner Tochter und damit ihre ganz neue Annäherung an mich, Mein Kind wird Mutter! Ich war gerührt, wie selten zuvor in meinem Leben.

Eine werdende Mutter braucht eine gewordene Mutter
Ich staunte aus einem ganz neuen Blickwinkel heraus, über das heranwachsende Wunder in ihrem Körper und über die positiven Möglichkeiten, die mittlerweile in der pränatalen Medizin gegeben waren. Diesen Fortschritt mochte ich. Unterwassergeburten. Rooming in. Selbst ein Kaiserschnitt wurde heute problemloser durchgeführt als noch bei mir. Meine Gefühle trieben zarte Knospen für ein Wesen, das ich noch gar nicht kannte. Ich beäugte die ersten Ultraschallbilder wie ein kubistisches Werk von Picasso. Was wird das für ein Kind werden? Zu dieser Zeit neigte sich das Leben meines Vaters bereits dem Ende zu.

Es gibt Ähnlichkeiten bei Fragen um Geburt und Tod
"Wann ist es soweit?" "In welchem Stadium befinden sie sich?" "Wie lange noch?" Als meine Tochter am frühen Abend in den Presswehen lag, schien sein Todeskampf abzuklingen. Die letzte Nacht war eine ruhige. Das neugeborene Kind war da. So hatte er es sich gewünscht. Am Vormittag schloss er für immer seine Augen. Meine inzwischen vierjährige Enkeltochter behauptet, wenn wir über ihn reden, dass sie ihn gesehen hat!

Ein immer wiederkehrender Kreislauf von Werden und Vergehen
Und wer versteht Lebenszyklen besser als ein weiblicher Mensch, der biologisch darin eingebunden ist, selbst wenn niemals Kinder zur Welt kommen? Die Frau. Eine Gebärende. Der Mann. Ein Erzeugender. Ebbe und Flut. Gezeiten der Geschlechter. Großmütter und Großväter. Wahrlich große Aufgaben warten noch.



Eigentlich... NR.3

Eigentlich braucht es eine Großmutter nicht zu kümmern, was andere Omis tun oder lassen sollten. Mit dem Laptop auf dem Tisch und dem Enkelkind darunter, ließ es sich für mich jedenfalls gut an. Pudding kochen und Liedchen singen, das kam sowieso von ganz allein.
Als frischgebackene Großmutter widmete ich mich zum ersten Mal, Fragen der Vergänglichkeit und befand mich in einem Zustand, den ich nur mit wenigen teilen konnte. Schließlich sind das keine Alltagsfragen, die auf dem Wochenmarkt, zwischen Äpfeln und Kartoffeln, oder beim Joggen, zwischen Wald und Flur, besprochen werden. Und es sind beileibe keine beliebten Fragen für Menschen, die das Alter fürchten wie der Teufel das Weihwasser.
Tagebuch für die neue Generation
In den stiller werdenden Stunden des Abends, zog ich mich an meinen Schreibtisch zurück und fing an, meiner Enkeltochter die Welt da draußen zu erklären. Intuitiv begriff ich, dass ich für sie schriftlich festhalten wollte, was sich während ihres jungen Lebens auf der Welt und in unserer Familie ereignete. Das Inferno des 11. September in New York und die bevorstehende Geburt eines Geschwisterchens gehörten wie selbstverständlich dazu. Wenn sie einmal erwachsene Fragen an mich richten würde, wollte ich antworten können.
Vom Schrebergarten ab in den Weltgarten
Ich wurde wacher für Fragen aus der Gehirn - und Genforschung. Interessierte mich mehr für die Muster von Fremdenfeindlichkeit. Zeitungsberichte über Häusliche Gewalt gegen Kinder aus überforderten und überlasteten Familien, machten mir zu schaffen. Dabei entdeckte ich, wie einfach und schwer es war, Zusammenhänge herzustellen und einem Kind erklären zu wollen, das eines Tages mehr verstehen würde. Oftmals griff ich dabei in die Kiste meiner eigenen Vergangenheit, um Generationsmuster sichtbarer werden zu lassen. Augenfällig wiederholen sich in Familien biografische Begebenheiten, die über mehrere Generationen hinweg weitergegeben werden.
Analysieren, um der Aufgabe als Große Mutter gerecht zu werden
Immer wieder hob ich meinen Schrebergartenblick, um zu schauen wie es um den Weltgarten bestellt war. Es gab viele Bereiche, die mich verlockten, etwas in Angriff zu nehmen. Meine Enkeltochter hat mich engagierter werden lassen. Ich erhob also immer öfter meine Stimme, schrieb außer Leserbriefen, Artikel zu aktuellen Ereignissen. Ich nutzte meine Referententätigkeit und Gesprächsgruppen, um zur Diskussion anzuregen. Am Abend zog es mich zum Tagebuch.
Stille Stunden haben eine besondere Qualität
Während des Schreibens hörte ich meine innere Stimme, die hörbar wurde, wenn der Lärm des Alltags abklang. Plötzlich erinnerte ich mich an Begebenheiten, von denen ich glaubte, sie vergessen zu haben. Es glich einem Wunder, durch ein Kind aus meiner eigenen Ahnenreihe, wieder mit mir selbst in Kontakt zu kommen. Mir begann zu dämmern: Konnte es sein, dass der Generationsvertrag vorsieht, sich für die Zukunft der Jungen stark zu machen und zu bewahren, was sie brauchen werden?

Eigentlich... NR.4


Eigentlich höre ich diesen Beatles Song auch heute noch gerne. Damals war ich jung und knackig, hatte vom Altwerden keinen blassen Schimmer und summte begeistert…when I get older....losing my hair…di-da-da-da-da….will you still feed me, will you need me, when I´m sixty four? Ich verliere zwar noch keine Haare, und niemand muss mich füttern, trotzdem gehöre ich laut Aussagen der Gerontologen demnächst zu den jungen Alten.
Im Sauseschritt der Zeit entgegen
In der Zeitschrift "EMMA" Heft März/April 2001 stand über das Alter zu lesen: "Alte Frauen retirieren sich nicht länger aufs Altenteil, sondern streben – endlich von den Familienfesseln befreit – in die Welt. Puma statt Oma ist angesagt!" und weiter war im Report zu lesen: "Der grassierende Jugendwahn trübt den Blick für die Realität: Alte Menschen sind heute gesünder, wohlhabender und selbstständiger als immer behauptet wird", fand das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin als Fazit heraus. Na bitte, das hört sich doch gut an!
Rein ins pralle Leben
"60-70-Jährige gelten heute als junge Alte". "Für die Forscher geht diese Phase bis Mitte 80. Erst dann bauen Menschen körperlich, seelisch und geistig ab und beginnen die gravierenden Altersbeschwerden". Gerade der "Rollenbruch" wirke sich inzwischen lebensverlängernd aus. "Sowohl der Ausbruch aus der Geschlechterrolle als auch der Einbruch in die Berufswelt verlängern und verjüngen Frauen das Leben, melden die Forscherinnen". Na, das lässt mich doch frohlocken!
Sippenhaft oder Familienfreizeit?
Die deutsche Ex-Familienministerin Ursula Lehr räumte kräftig mit einer ganzen Reihe von Klischees über das Alter von Frauen auf. Sie stellte eine Studie von Alan Walker vor, wo untersucht wurde, in welchen europäischen Ländern die über 60-Jährigen mit ihren Kindern zusammenleben. Das Ergebnis war verblüffend. Die Dänen tun es am wenigsten und fühlen sich trotzdem nicht einsam, weil ihre Tage sinnvoll ausgefüllt werden. Die Griechen taten es am häufigsten und fühlten sich gelangweilt und einsam. Was bitte schön, soll ich denn davon halten?
Von Göttinnen und weisen Hexen
Wir können uns im Alter vor allem auch geistig weiter entwickeln - vorausgesetzt wir tun etwas dafür - denn sie behauptet weiter, Altersforschung würde immer mehr zur Frauensache, weil "Frauen in der Psychologie stark vertreten sind und innerhalb der Psychologie, besonders stark in der Entwicklungspsychologie. Dort ist die Altersforschung angesiedelt. Die meisten haben mit Kinder - und Jugendpsychologie angefangen". Großmütter wissen das zu nutzen. Also jetzt nichts wie ran an die anderen spannenden Alten und lasst uns kooperieren und vernetzen! Mit uns ist noch lange zu rechnen! Von wegen:…will you still feed me….Ich füttere mein Hirn nicht mit fast food, sondern mit ausgewogener Mischkost, damit ich später nicht darben muss! Besonders gerne nage ich übrigens an heiklen Themen herum. Das stählt die Hirnmuskulatur und beugt hoffentlich Vergreisungen vor. Wehe nicht!



Eigentlich... NR.5

Eigentlich habe ich erst heute die richtige Temperatur für Kinder und das Leben schlechthin. Ich beobachte genauer, höre mehr und nehme besser wahr, als noch in meinen jungen Mutterjahren. Wie Rotkäppchens Großmutter lasse ich mich aber nicht so leicht täuschen. Was Alte brauchen, wenn sie eines Tages zu den Betagten zählen, weiß ich schon jetzt. Es ist das, was Säuglinge und Kinder brauchen. Geduld. Zärtlichkeit. Zeit. Doch dazu muss man sie lieb haben, die Alten, um ihnen geben zu können, was sie benötigen.
Das Geheimnis des Jungbrunnens
Sobald ich mich mit Hingabe und Leidenschaft der kindlichen Erlebniswelt widme, entdecke ich als Nebenprodukt das Geheimnis des Jungbrunnens. Ich werde vitalisiert durch ihr Lachen und ihre Wahrheit, die sie noch ganz unbefangen aussprechen. Meine Absicht ist es nicht, mich in Erziehungsfragen einzumischen, es sei denn, man bittet mich um meine Sicht der Dinge. Mir käme auch nicht in den Sinn, meine Tätigkeit aufzugeben und statt zu schriftstellern, Kekse zu backen und Pudding zu kochen. Nicht, dass ich das nie tun würde, aber es wäre nicht meine Hauptbeschäftigung.
Große Sehnsucht ungestillt?
Junge Alte haben Pläne und Ziele. Die Haut wird alt. Das Herz bleibt jung. Und wenn sie sich dessen bewusst bleiben, schreiten sie der Welt munter entgegen, statt sich in die hinterste Bank zu verkriechen, und neidisch dem Treiben anderer zuschauen. Mit Mut zum eigenen Sinn, und Lust aus der Reihe zu tanzen, kommen Frauen fast überall hin. Sie besitzen eine andere Attraktivität als in jungen Jahren, die durchaus auch junge Männer zu begeistern versteht. Ein Tabu ist im Begriff, sich aufzulösen. Ältere Frau und jüngerer Mann sind durchaus keine Seltenheit mehr. Noch im letzten Altweibersommer lag mir einer zu Füßen und räkelte sich vor Vergnügen. Ich schmolz dahin, als ich mich über ihn beugte und er sich in meine Halsbeuge hineinschmuste. Nun gut, er war ein bisschen sehr jung. Er zählte gerade 18 Lenze. Monate allerdings, nicht Jahre!
Frauenstarke Generation
Seit fünf Generationen werden in meiner weiblichen Linie als erstes Mädchen geboren. Zwei Generationen erlebten Kriege. Eine die Nachkriegszeit. Dazu gehöre ich. Zwei wachsen in Friedenszeiten auf. Meine Tochter mit ihrer Tochter. Trotzdem gibt es weiterhin Unruhen und neue Bedrohungen in der Welt. Wird meine Enkelin überhaupt Kinder wollen oder bekommen? Die Zeiten waren nie besonders geeignet, um Nachwuchs in die Welt zu setzen. Das Erziehungspendel schlug immer extrem für nachfolgende Generationen aus. Auf Strenge folgte Weichheit. Auf Autoritätsgläubigkeit folgte Rebellion.
Die Dialektik jeder Generation sucht Orientierung
Fast alle Eltern wollen für ihre Kinder das Beste. Was aber ist das Beste? Heilen, was geschadet hat? Richten, wo gerichtet wurde? Es herrscht Unsicherheit im Umgang mit eigenen Gefühlen und es gibt Verunsicherung durch überholte Familienmodelle. Trotz Trennung und Scheidung, geistert die Sehnsucht nach Beständigkeit und Harmonie in den Köpfen herum. Die Zeit der Erziehung verlangt geistige Stärke, die unsichere Eltern oft nicht haben. Könnten Großmütter und Großväter, MentorInnen für die Jungen sein in diesen weltlichen Umbruchszeiten, wo sich Werte wieder einmal verschieben?
Unbestreitbarer Vorteil des Alters
Sie überblicken eher das Ganze und sehen die größeren Zusammenhänge im Leben. Sie haben einen individuellen Erfahrungsvorsprung und gelernt, los zu lassen, um für neue geistige Aufgaben frei zu werden. Einer davon kann der fruchtbare Dialog der Generationen sein. Das nenne ich wirklich einen echten Generationsvertrag!



Eigentlich... NR.6


Eigentlich mag ich dieses einschränkende Adverb nicht. Aber eigentlich ist es eine willkommene Einladung zum Nachhaken. Denn eigentlich läuft`s bei den meisten doch ganz gut im Leben. Der letzte Jahr war eigentlich schön und eigentlich ist auch nichts Unangenehmes passiert. Und uneigentlich? Na bitte! Da war doch was.
Es läuft eben nicht alles wie geschmiert
Im Sommer begann die leidige Debatte um die Gesundheitsreform, eine Freundin verhielt sich depressiv, ihr Zahn bröckelte, ihr Rücken war im Eimer, die Ehe auch. Wer muss dafür eigentlich bezahlen? Warum brauchen wir dieses Wort "eigentlich"? Kinder reden anders. Erst wenn Erwachsene ihnen beibringen, nicht mehr alles so frei heraus zu plappern, beginnen sie herumzueiern. Bist du satt? Eigentlich schon! Würde ein Kind so antworten?
Manches ist auch Kindern peinlich
Mutter ging putzen und ich trug als Kind einen Schlüssel um den Hals. Das war mir manchmal peinlich. Ich verschwieg gern, dass sie arbeiten ging. Die meisten Mütter waren mittags nämlich zu Hause. Meine Frau hat es nicht nötig arbeiten zu gehen, hörte ich den Vater meiner Freundin sagen. Seine Frau stand parat, sobald er nur die Augenbraue hob. Das hätte ihm eigentlich peinlich sein müssen. Hatte meine Mutter es nötig zu arbeiten?, fragte ich mich damals. Heute weiß ich, ohne ihr Zubrot, wäre ich nie so früh selbstständig geworden und in einem Haus aufgewachsen das uns gehörte, sondern wie viele meiner Generation, in aneinandergefädelten, mausgrauen Häuserblöcken mit einem Klo im Treppenflur und Spielverbot im Hinterhof. Ist Putzen eine Schande? Eigentlich nicht.
Keine Magd für alle Tage
In einem noblen Sporthotel über dem Vierwaldstätter See wurde ich mit einem alten Bild konfrontiert. Eine blasse junge Frau räumte mein Zimmer auf. Hinter der Badezimmertür quetschte sich ein Mädchen, das ungefähr im selben Alter wie meine kleine Enkeltochter war. Mit putzmunteren Augen verfolgte sie jeden Handgriff. Auf dem Rollwagen mit Seifen, Klopapier, Tüchern und Bonbons türmte sich schmutzige Wäsche, leere Flaschen und Abfall. Frauen, lernt auch dieses Mädchen, sind dazu da, um anderer Leute Dreck weg zu machen. Sie kann sich später trotzdem anders entscheiden.
Selbst ist die Frau
Ich habe mich nie um den Putzeimer gerissen, doch als ästhetischer Mensch, brauche ich ein Quäntchen Sauberkeit und eine Prise Ordnung um mich. Schmutzige Teller und Töpfe würden mich nervös machen. Da ich in der Küche schreibe, räume ich sie zuerst auf. Stupides Putzen könne man als eine Art Meditation ansehen, behaupten Wissenschaftler und ich frage mich, ob Männer das eigentlich ausprobierten und Frauen diese meditative Arbeit schon mal abgenommen haben? Meine Enkel sahen mich noch nie putzen. Allerdings schauten sie gespannt zu, wie Mama Ikea Schränke mit mir zusammen zimmerte. Ohne männlichen Beistand. Weil der sich verweigerte.
Opa kann kochen.
Am Sonntagabend, wenn sie Großvater beim Schneiden des Rotkohls und der Möhren helfen und die Kartoffelklöße, die nur ihr Onkel so gut knödeln kann, zusammen manschen, verbünden sie sich mit den Männern am Herd. Ob der gewollte Rollenwandel Auswirkungen haben wird, darauf dürfen wir gespannt sein. Selbst mit gebrochenem Gipsfuß schwang ihr Lieblingsonkel den Staubsauger, obwohl er doch eigentlich eine Freundin hat.
Vor Spinnen ekeln sich nämlich auch Jungs
Klebt eine davon an der Schlafzimmerdecke, schreckt besagter junger Mann wie von einer Tarantel gestochen hoch. Seine Freundin hingegen mag diese Tierchen und trägt sie behutsam aus dem Zimmer. Neulich beim Walken traf ich auf eine Horde Jungs, die eifrig an einem Baumhaus bauten. Plötzlich Schreie: Hiiilfe! Eine Kreuzspinne! Ihhh...gitt!! Mit Hämmer, Stöcken und Zweigen bewaffnet, sprangen sie vom Baum und suchten, finster zu Boden blickend, nach diesem kleinen Ungeheuer. Eigentlich dürfen Jungs doch keine Angst zeigen. Und uneigentlich? Sind sie außen wie innen ganz weich. Sie wissen es nur noch nicht. Eigentlich ist es doch ganz nett, dieses Wort "eigentlich"



Eigentlich... NR.7

Eigentlich darf ein Mädchen seine Haare tragen, wie es das mag. Lang, kurz, getönt, geföhnt, gegen den Strich gebürstet, mit Clips und hoch gesteckt, gerollt und geknetet. Was aber, wenn es auf die Idee kommt, sich selbst die Haare zu schneiden? So wie Mama das tut? Was, wenn es danach aussieht wie ein frecher Bub? Das Mädchen ist nämlich erst fünf und eigentlich hat es tolerante Eltern!
Komm doch mal rüber Mann und setz dich zu mir hin, weil ich ein Mädchen bin, weil ich ein Mädchen bin. Keine Widerrede Mann, weil ich ja sowieso gewinn, weil ich ein Määäädchen bin! Was macht ein Mädchen aus? Dass es gefällt? Lieb, statt frech, angepasst, statt aufmüpfig durch das Leben rennt? Wie hat es auszusehen, ein Mädchen? Charlotte kletterte gerne auf den Stuhl, wenn es von Mama die Haare geschnitten bekam. Zwar immer nur um wenige Zentimeter, aber immerhin.
Messer Gabel Schere Licht....
Nun kam sie auf die Idee, das selbst auszuprobieren. Rapp Zapp war der Pony ab. Ratz Fatz, das Ohrläppchen frei gelegt. Danach kam Bruder Jonas (3) dran. Bei dem gab es allerdings nicht viel zu schnibbeln. Und das Ergebnis fiel auch eher mager aus, hatte er doch nur Fusseln auf dem Kopf. Bei Charlotte fielen Haare in dicken Flocken zu Boden. Stolz präsentierte sie sich danach bei den Eltern. Ein entsetzter Aufschrei ließ das Kind unverständlich gucken. "Was hast du getan?" Jetzt siehst du gar nicht mehr wie ein Mädchen aus!" Daraufhin meinte sie ungerührt. "Dann kann ich endlich mit den Jungs Fußball spielen, dann erkennen die mich nicht!"
Vom Engelchen zum Bengelchen
So schnell beruhigten sich die Eltern aber nicht. Mama war verzweifelt, weil ihr hübsches Mädchen nun wie ein kecker Bub aussah und Papa untröstlich über den Verlust. Charlotte war das eigentlich egal, aber nun bemerkte sie, dass Mama und Papa nicht gerade begeistert waren. Jetzt musst du ein Haarband tragen, damit man sieht, dass du ein Mädchen bist, meinte Mama. Papa nickte traurig dazu. "Ich wollte doch nur Mama überraschen!", antwortete sie, als ich fragte, warum sie das getan habe.
Abschied vom kleinen Mädchen
Inzwischen haben sich alle an den kessen Kopf gewöhnt, und sie sieht natürlich entzückend aus. Ich schenkte ihr ein Blumenkränzchen, weil es was zu feiern gab. Sie erhielt nämlich einen neuen Namen zu ihrem ersten: Antonia. Aber das ist eine andere Geschichte. Nachdenklich hat mich nur gemacht, dass Mädchen schon im Kindergartenalter Schwierigkeiten haben, unkompliziert mit Jungs Fußball zu spielen und abgewiesen werden, weil sie "nur" ein Mädchen sind. Nachdenklich hat mich auch gemacht, dass Eltern offensichtlich eine feste Vorstellung davon haben, wie ihr Mädchen auszusehen hat. Oder sind sie bloß bis über beide Ohren in das Kind verliebt, so dass der Abschied vom kleinen Mädchen deshalb so schwer fällt?



Brigitte Hieronimus
Schriftstellerin und Autorin
Seminarleiterin für Wechseljahre
Beratung und Coaching

www.brigitte-hieronimus.de