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Brigitte Hieronimus

Sitzen Omas in der zweiten Reihe?


Seit sechs Tagen ist meine Tochter Mutter, und ich über Nacht Oma geworden. Mein Vater ist seit fünf Tagen tot und ich fühle mich gottverdammt allein. Leise lege ich den Telefonhörer auf, habe immer noch die erschöpfte Stimme meiner Tochter im Ohr: "Mama, kannst du kommen?“ Ich kann. Eine frisch entbundene Mutter braucht jetzt ihre eigene um sich. Ich ziehe mir etwas Bequemes über und suche einen Zettel. Der frischgebackene Großvater soll wissen, wo ich zu finden bin.
Ich fahre los. Dort angekommen, steige ich eilig Treppen hoch und schließe die Wohnungstür auf. Alles ist still. Das Schlafzimmer meiner Tochter befindet sich unter dem Dach. Ein Stimmchen ist zu hören. Vorsichtig stecke ich meinen Kopf durch die Tür. Glücklich und sichtlich entspannt, lächelt mir meine Tochter aus den dicken Kissen entgegen. Die Strapazen der Geburt sind ihr immer noch anzusehen. Blass, mit ein paar geplatzten Äderchen im Gesicht, sieht sie trotzdem wunderschön aus. Mit ihren geflochtenen Zöpfchen erinnert sie eher an eine Fünfzehnjährige, dabei ist sie sechsundzwanzig.
Wo ist das Baby? Ich habe es doch gehört? Es ruht an ihrer Brust, die noch eingepackt ist. Ich trete näher. Mein Gott, wie mich diese Szene berührt. Mein Kind hat ein Kind bekommen. Eine Tochter. Eine Erstgeborene. In unserer weiblichen Linie werden seit fünf Generationen zuerst Mädchen geboren.
"Setz dich zu mir aufs Bett!“ lädt meine Tochter mich ein, während sie versucht, ihr Töchterchen zu stillen, und hat ein wenig Angst vor dem ersten Saugschmerz. Die Brust ist leicht entzündet. Die Hebamme wird am Abend wieder vorbei schauen. Und ich muss gestehen, es ehrt mich sehr, dass meine Tochter auf mich zurück greift, damit ich sie in die Welt des noch unbekannten Mutterdaseins einweisen kann, bin ihr also ein wenig behilflich und stütze sie, während sie das Kind anlegt. "Autsch!! Tut das weh!“ schreit sie leise auf, und auch ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es mir damals mit ihr erging, und lächle in mich hinein.
Charlotte ist eine begeisterte Trinkerin. Beherzt schnappt sie sich die mütterliche Brust und legt munter los. Die beobachtende Perspektive, in der ich mich jetzt befinde, stimmt mich zärtlich. Welch schönes Bild. Welche Innigkeit. Zwei Augenpaare die sich unentwegt anblicken. Mutter und Tochter seit wenigen Tagen. Die Stirn bei beiden, angestrengt gerunzelt, wie bei jungen Dackelwelpen. Ich lehne mich zurück.
Wie habe ich Stillen als junge Mutter empfunden? Anstrengend. Niemand unterstützte mich. Ich hatte, trotz großen Busen, zu wenig Milch. Und weil es damals nicht in Mode war, Babys häufig anzulegen, sondern im Vier-Stunden-Takt vorbei zu bringen, vermochte ich mich seelisch nicht zu entspannen, damit die Milch fließen konnte.
Das saugende Schmatzgeräusch bringt mich zum Lachen. Meine Tochter auch. Nachdem der Stillvorgang beendet ist, sieht man beiden die Müdigkeit an. "Leg dich zu uns!“ fordert mich meine Tochter auf, und so ziehe ich meine Socken aus und lege mich zu ihnen auf das Bett, das groß genug für uns alle ist. Sie rückt zur Seite, bettet das Kind in die Mitte und ich nehme die andere Seite ein. Wir plaudern noch ein wenig über die Geburt, die ersten Tage und Nächte im Krankenhaus und auch über den Tod ihres geliebten Großvaters, den sie nicht mehr zu sehen bekam. "Dein Fieber kann auch eine seelische Ursache haben. Du bist noch gar nicht zum Trauern gekommen....“. Vielleicht, nickt sie mir zu und schließt erschöpft ihre Augen.
Ich schaue mir dieses Bild lange an und spüre plötzlich einen Stich, der gar nicht weh tut. Jetzt bin ich also nach hinten gerückt. Mein Vater ist tot. Ein neuer Mensch wurde geboren. Ab jetzt gehöre ich der Vergangenheitsgeneration an. Ein merkwürdiges Gefühl durchströmt mich. Noch unfassbar und gleichzeitig real. Ab jetzt bin ich die Große Mutter. Wie wird das sein in Zukunft?

Darf ich kurze Röcke tragen, trotz meiner geäderten Beine? Immer noch laut lachen? Den Italiener beflirten? Weiterhin chatten? Ich hab gar kein Rüstzeug für eine ordentliche Omama.
Meine Mutter gab sich alle Mühe, eine gute Oma zu sein. Leider sah man ihr die Mühe an. Es war eine Pflicht, die sie klaglos verrichtete. Auch sie hatte kein Vorbild. Ihre Mutter war ja noch nicht mal gerne Mutter. Es gibt ein Wort in unserer Familie, das gleicht einer Todsünde: Egoismus! Das wirft meine Mutter mir auch heute noch gerne vor.
Oma sei eine egoistische Frau gewesen, behauptete Mutter. Schließlich musste sie es am besten wissen. Oma wollte mich eigentlich nicht groß ziehen. Sie hatte vier durch den Krieg gebracht, wobei das jüngste starb. Zwei Tage und Nächte schloss sie sich mit dem toten Söhnchen ein, bis man sie entkräftet und mit Thyphus ins Krankenhaus brachte. Mutterseelenallein schlurfte meine Mutter hinter dem Sarg ihres Brüderchens her.
Als ich zur Welt kam, und meine Mutter ihre Hilfe benötigt hätte, verschloss Oma ihr Herz und wendete sich nach innen. Nach außen wirkte sie wie eine Frau, die nicht alle Tassen im Schrank zu haben schien. Sie malte sich die Lippen knallrot, färbte sich die Haare blond und stöckelte durch die engen Gassen meiner Geburtsstadt. Meine Mutter schämte sich dafür, während sie bienenfleißig in einer Fabrik arbeiten ging, und mich bei Oma zurück ließ. Die riss mich frühmorgens aus dem Bettchen, sobald Mutter fort war, kleidete mich hastig an und suchte jeden Morgen Pflegeeltern für mich. Ich sei zwar anstrengend und lebhaft, aber doch ein sehr hübsches Kind, das man schon gern haben könne, aber sie sei nun mal in einem Alter, da würde ihr das alles über den Kopf wachsen, erzählte sie, zog mir das Mützchen vom blond gelockten Köpfchen und kniff mich in die Wangen, damit ich nicht so blass aussah.
Als mein Vater, der in einer anderen Stadt Arbeit fand, mehr Geld für mich zahlte, ließ Oma davon ab, eine neue Familie für mich zu finden. Mutter zog kurz darauf zu ihm, doch ich schien etwas zu vermissen. Ich hatte einen Opa gehabt, der mich immer summend durch die Wohnung trug.
An beide habe ich eigentlich keine rechte Erinnerung mehr. Ich weiß das alles nur aus den Berichten meiner Mutter.

Und nun liege ich hier, neben meiner Tochter, die ich als Baby keine Sekunde aus den Augen ließ, in die ich mich nach der Entbindung leidenschaftlich verliebte, als sie mich mit veilchenblauen Augen anschielte, die ich, so gut ich es vermochte, behütete und beschützte, nicht immer so wie es ihr gut getan hätte, eher so, dass es mir gut tat, weil ich etwas aufholen wollte, was mir immer gefehlt hatte, und fest stellen musste, das sich nichts nachholen ließ, allenfalls etwas beschönigen und weich zeichnen. Meine Tochter, die sich erfolgreich gegen ein Überangebot an Liebe wehrte, die ich mir nicht zu jeder Tages und Nachtzeit zum Schmusen holen konnte, nur weil mir danach war, die sich als Schulkind prächtig mauserte und in der Pubertät nur wenige Kapriolen schlug. Die mit traumtänzerischer Sicherheit den Frosch fürs Leben fand, einen, den sie nur zu küssen brauchte, damit er sich zum Prinzen entwickelte.
Und nun liegt es hier, das Ergebnis ihrer Liebe. Als ich die Augen öffne, konzentrieren sich vergissmeinnichtblaue Augen auf mich, und beginnen zu schielen. Tausend Tränen rinnen aus mir heraus.


Autorin:
Brigitte Hieronimus



Brigitte Hieronimus
Schriftstellerin und Autorin
Seminarleiterin für Wechseljahre
Beratung und Coaching

www.brigitte-hieronimus.de