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Brigitte Hieronimus

Oma sein, dagegen gerne!


Ein Kind auf den Hüften ist besser, als Speck auf denselben. Das Kind ist nicht meins. Aber es fühlt sich an, als ob es mir gehören würde. Dieses Kind ist ein Geschenk, es ist die Nabelschnur zu meiner verlorenen Kindheit.

Als meine Tochter mir eröffnete, dass sie schwanger sei, schmolz ich sogleich dahin. Mein Kind bekommt ein Kind! Ich konnte es nicht fassen und beäugte das erste Ultraschallbild wie ein kubistisches Werk von Picasso. Freudig trug ich diese Neuigkeit zu meinen Freundinnen, die aber nicht so reagierten, wie ich das erwartet hätte. Sie meinten, dafür seien sie zu jung, hätten eigentlich auch gar keine Zeit zum Kinderhüten, was aber viel schlimmer wäre, sie säßen dann in der zweiten Reihe der Generation, wo sie noch so viele Pläne hätten, die sie verwirklichen wollten.
Andere meinten, na ja, da müsse man wohl durch und die Kleinen aufziehen, was bliebe auch schon anderes übrig, wenn die Töchter außer Haus arbeiten müssten? Schließlich sollte sich eine moderne Mutter nicht mehr allzu sehr an das Haus binden lassen. Moment, sagte ich, bedeutet Oma sein, sich wieder zurück an Heim und Herd zu katapultieren, Pudding kochen, Breichen füttern, den Spielplatz aufsuchen und dabei verblöden?
Ich hielt inne.
Was habe ich geschafft und was nicht zu Ende gebracht?
Ich bin nicht mehr jung genug für ein neues Studium.
Zu alt für einen Minirock.
Aber jung genug, um mich immer wieder neu zu verlieben.
Hoffentlich alt genug, um zu wissen, wer und was mir schadet.
Ich lebe mein Leben nach meinen Bedingungen.
Ändert ein Enkelkind mein Gewissen, verschiebt es Werte?
Sprengt es Normen, oder quetscht es mich in Traditionen?

Susanne grunzt wie ein Ferkelchen und drückt ihr rosa Gesichtchen in meine Halsbeuge, greift mit ihren Patschpfötchen in mein Haar und lacht. Wir stehen vor dem großem Spiegel im Bad. Sie sieht aus, wie ich als Kind aussah. Kullerrunde blaue Augen und ein Stupsnäschen mit mandelförmigen Nasenlöchern. Sie greift nach meinen Ohrringen, zupft daran und ich klipse einen ab, gebe ihn ihr und schau zu, was sie damit macht...
Meine Mutter hat Schmuck gesammelt wie andere Leute Muscheln. Es war kein echter, sondern Tand, wie mein Vater zu sagen pflegte. Die Schatullen quollen über wie in Sindbads Räuberhöhle. Ich liebte es schon als Kind, meine Hände in ihren Perlenketten zu vergraben, behängte mich, wenn Mutter nicht da war, mit Ringen und Armbändern. Manchmal roch ich sogar ihr Parfüm.
Als meine Tochter geboren wurde, nahm meine Mutter ihre Pflicht auf sich. Sie stand um sechs Uhr auf, wenn sie aus dem Bettchen nach ihr krähte, ging mit ihr spazieren und kochte Griesbrei, sie bestellte aus dem Katalog eine Puppe für sie und ließ sie mit ihrem Schmuck spielen, ohne zu murren.
Meine Tochter hat später nie Schmuck angelegt und ich auch nicht. Wir erinnerten uns zwar gerne an das Gefühl, ihn getragen zu haben, aber wir benötigten keinen. Als meine Mutter starb, erbte ich das meiste davon, Verdattert stand ich da und wusste nicht, was ich damit anfangen sollte. Zudem erbte ich sämtliche Fotos aus uralten Zeiten. Ich sah darauf meine Oma, die sich fein herausgeputzt hatte, die flanieren ging und sich ganz offensichtlich als Frau gerne zeigte. Ich betrachtete meine Mutter, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war und die sich immer darüber ärgerte. Ich sah mich auf Omas Schoß sitzen und nach ihren Ohrringen grabschen.
Diese Fotos haben mich einen Blick auf meine Vergangenheit werfen lassen. Und nun kann ich niemanden mehr fragen. Eine Bibliothek hat sich für immer geschlossen.
Wie hat Oma sich wohl gefühlt, als meine Mutter sie dazu machte? Sie, die den ganzen fürchterlichen Krieg mit vier Kindern auf einer Karre, mutterseelenallein bewältigen musste? Die ihr Leben genießen wollte, als er endlich zu Ende war. Die ihre Kinder so schnell als möglich aus dem Haus haben wollte, als sie die Schule verließen. Die ihren als vermisst gemeldeten Mann nicht mehr herbei gesehnt hatte, weil sie sich in der Kaserne, in einen anderen verliebt hatte. Die mit dieser abgeknickten Liebe im Herzen, für nichts und niemanden mehr Liebe aufbringen konnte, außer für sich selbst.
Meine Mutter hat ihr das nie verziehen. Und als ich auf die Welt kam, lief meine Liebe ins Leere hinein. So grub ich mich in Mutters Schmuck.

Susanne will vom Arm hinunter. Sie hat keine Lust mehr, mit dem Ohrring zu spielen. Meine Tochter steckt den Kopf durch die Tür uns lächelt mich an.
"Mama, weißt du eigentlich, wie gerne ich dich zur Oma gemacht habe?"


Brigitte Hieronimus
Schriftstellerin und Autorin
Seminarleiterin für Wechseljahre
Beratung und Coaching

www.brigitte-hieronimus.de