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Michelle Bär-Rietschi

Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralstoffe - oder gesundes Essen für den Nachwuchs


Alle paar Monate überkommt es mich von neuem. Ich will meinen Kindern eine vorbildliche Mutter sein und ihnen das Abwechslungsreichste auf den Tisch stellen, das die Welt je gesehen hat. Vor meinem geistigen Auge sitzen bereits alle am Tisch mit roten Bäcklein und glänzenden Augen und flüstern eine ehrliches:"Danke Mama, du bist doch die Beste und kochst uns immer wieder so abwechslungsreich neue Menus, es ist doch eine Freude, dein Kind zu sein!" Mit viel Enthusiasmus schreite ich jeweils ungewohnt früh in die Küche und beginne mit den Vorbereitungen. Meistens fordern mich die neuen Menus so sehr, dass ich, kurz vor zwölf, bevor meine Kinderlein allesamt hereinspazieren, schweissgebadet hinter dem Herd stehe und überzeugt bin, dass jeder heute mit leerem Magen aus dem Haus geht, weil ich dieses Essen nicht in vernünftiger Frist auf den Tisch bringen werde. Und dann doch, entgegen alle Erwartungen, komme ich zum vorletzten Schritt des Rezeptes und bemerke verzweifelt, dass meine Nachkommen allesamt klammheimlich in ihre Hängematten verschwunden sind und das süsse Nichtstun geniessen, bis Madame Hotelière sie zu Tisch ruft. Mit einem ohrenbetäubenden Befehl ordere ich in Richtung obere Etage, dass hier noch ein Tisch zu decken sei und ich nicht bereit sei, mich von ihnen zur Sklavin machen zu lassen. Keine Reaktion. Die Lautstärke wird erhöht. Bleierne Stille. Madame Hotelière hetzt in die obere Etage ohne Rücksicht auf Verluste in der Küche, denn jetzt wird es sich entscheiden, ob ich mich jemals bei diesen Bengeln werde durchsetzen können. Alle werden mit einem Griff aus der Hängematte gekippt und mit militärischem Ton unter Androhung rücksichtsloser Strafen nach unten befohlen, da riecht es auch schon etwas brenzlig. Ich stolpere nach unten, reisse die Backofentür auf und meine Stimmung sinkt auf den Nullpunkt, dabei überlege ich bereits, wie ich die neue Kreation den Essern schmackhaft machen kann.
Lustlos schlurfen immerhin vier von acht Beinen ins Esszimmer und beginnen mit der unzumutbaren Arbeit. In Gedanken überlege ich mir die angemessene Strafe für die vier Beine, die nach wie vor aus der Hängematte baumeln - ich kann schliesslich mein Gesicht vor den beiden Jüngeren nicht verlieren, denn sie sind es, die jetzt mit mässigem Elan nun doch noch zur Tat geschritten sind. Endlich liegt die neue Kreation auf den Tellern und sieht mal gar nicht so schlecht aus. Angezogen vom Geruch von Essbarem, gesellen sich nun auch die Pubertierenden an den Familientisch. Kaum habe ich Platz genommen, werde ich von acht Augen fixiert. "Mütsch, was soll denn das sein?" " Hatten wir das schon einmal?" "Das riecht so komisch!" "Ich weiss nicht warum, aber heute habe ich irgendwie so gar keinen Appetit, hoffentlich werde ich nicht krank!" Nach der ersten Gabel erkundigt man sich, ob der Hund allenfalls auch Gemüse essen würde. Es herrscht Eiszeit am Tisch, und ich sehne mich danach, dass mein Ehemann und der Vater dieser Kinder mir gegenüber sitzt und meine neue Kreation mit dem notwendigen Respekt ehrt. Doch der ist meilenweit entfernt in irgend so einem unpersönlichen Personalrestaurant und hat keine Ahnung, was sich hier abspielt. Ich ignoriere sie standhaft, nehme mir vor, mich nur im Notfall zu äussern. Und ausserdem esse ich mit grossem Appetit. Das Essen ist ganz ordentlich und würde ganz bestimmt die ganze Bande mit den notwendigen Kohlenhydraten, Vitaminen und Mineralstoffen versorgen, wenn sie es essen würde. Doch alle stochern lustlos in ihren Tellern und nur die Aussicht auf eine total ausflippende Mutter nötigt sie dazu, den einen oder anderen Bissen doch noch zu nehmen.
Das Essen zieht sich hin. Mein Teller ist seit zehn Minuten leer, der meiner Tischgenossen mindestens noch halbvoll. Mir reisst der Geduldsfaden und ich klage etwas von innovativ, von nicht ständig denselben ungesunden Mist essen, von "was der Bauer nicht kennt, isst er nicht" und werfe in Gedanken bereits das Rezept in den Abfalleimer. Schmollend ziehe ich mich in die Küche zurück und was ich hier antreffe, strapaziert meine Nerven derart, dass ich sogleich wieder an den Familientisch zurückkehre. Die Küche ist voll von angebrauchten Tellern, Platten, Gewürze stehen wild durcheinander, Kochlöffel und Schneidebrettchen versperren sämtliche Ablagen, sodass sich nirgends ein Platz findet, wo ich meinen Teller noch hätte deponieren können. Die Vorstellung davon, was mich nach dieser Kochorgie noch erwartet, macht mich fast krank. Da schaut mich mein Jüngster vertrauensvoll an und sagt: "Du Mami, was hast du den ganzen Morgen eigentlich gemacht?"