Home
Frauen Kinder Kueche Mail Impressum
Maenner Kultur Medi-Eck Anzeigen Links

Michelle Bär-Rietschi

Eigentlich wär ich heute krank oder Morgendämmerung im Hause B.


Wie gewohnt schleppe ich mich als erste aus den Federn. Es ist Viertel vor sieben. Natürlich hat recht, wer jetzt denkt:" Hat die's schön so lange im Bett bleiben zu können, unsereins ist um diese Zeit schon an der Arbeit." Ich bin auch wirklich dankbar dafür. Trotzdem erscheint es mir heute zu früh zu sein, ich habe schlecht geschlafen, weil der Sturm die ganze Nacht am Haus gerüttelt hat und weil ich erkältet bin. Und ausserdem wurden gestern Abend wieder einmal Grundsatzdiskussionen um Rechte und Pflichten eines Pubertierenden im Hause B. geführt, was mich ausgelaugt und leer geschwatzt zu spät ins Bett sinken liess.

Ich schlurfe in die Küche, reisse Schränke und Geschirrspüler auf und beginne, den Frühstückstisch zu decken - nicht wissend, in welcher Zusammensetzung und in welcher Zeitspanne meine Arbeitgeber heute zu speisen gedenken. Schon rumpelt der erste grusslos die Treppe herunter direkt in die Waschküche, die, seit ich mich weigere die gewaschenen und gebügelten Kleider vier Treppen hinauf in die Zimmer zu bringen, immer mehr zur Umkleidekabine umfunktioniert wird. Die Umkleidung geht dann jeweils so vor sich, dass die getragenen Kleider auf dem Boden verstreut und die frisch gebügelten aus dem unteren Drittel des Kleiderstosses herausgefischt werden, so dass der Stoss Schlagseite bekommt und in sich zusammenbricht. Macht nichts - ich staple den gern wieder auf und zur Not kann ich ihm noch mal kurz das Eisen geben! Frisch bekleidet erscheint er nun am Frühstückstisch, holt sich eine neue Packung Orangensaft, weil er den etwas dickeren Saft in der angebrauchten Packung überhaupt nicht mag. "Morgä", brummelt er, wenn ich richtig verstanden habe. Immerhin. Er setzt sich zum Hund hin und liebkost ihn ausgiebig.

Noch bin ich in der Küche beschäftigt, die nach nächtlichen Fressorgien der beiden Grosspubertierenden aussieht wie ein Saustall, da erscheint der zweite meiner Arbeitgeber, grummelt etwas von Kaffee, was sehr überraschend kommt, da diese Herrschaft in der Regel kaum zu frühstücken gedenkt. Ich mustere ihn und stelle fest, dass er seit längerem seine Lieblingskleiderkombination trägt, beiss mir auf die Zunge und sage nichts. Wortlos und tief über die Teller gebeugt wird gefuttert, und ich mache mir jetzt erst mal einen Kaffee. Schon fordert der erste sein Geld für das Mittagessen ein, das ich meist täglich ausschütte, weil ich vermeiden will, dass es für anderes ausgegeben wird als für vernünftige Nahrung. Also schütte ich aus, sehe zur Uhr und stelle fest, dass der Jüngste aus den Federn muss. Ich eile nach oben und öffne freudig motivierend die Gardinen. Ein verschlafendes Gesicht erscheint und lacht mich an.
Danke Sonnenschein!
Es braucht so wenig, um Mutter glücklich zu machen. Für diese Momente lebe ich!

Als ich das Zimmer meines Ältesten passiere, ignoriere ich standhaft den Zigarettengeruch und schliesse die Tür. Heute breche ich keine Grundsatzdiskussion über Sinn und Unsinn des Rauchens und über das grundsätzliche Rauchverbot in unserem Haus von der Stange. Heute habe ich die Kraft nicht dazu. Deshalb ignoriere ich. Als ich mit geraffter Jukata, die ich seit einem märchenhaften Aufenthalt in Japan immer am Morgen trage, die Treppe hinunter schreite, steht der erste bereits im Eingangsbereich mit verstöpselten Ohren, rund um die Mütze gestylten Haaren und geschultertem Rucksack. "Tschau Mam, ich gang." Wink und weg. Bevor ich endlich an meinen bestimmt schon kühl werdenden Kaffee nippen kann, stolpere ich über jede Menge Hausschuhe, die beim untersten Treppenabsatz liegen, so dass ich aufatme, als ich unversehrt den sicheren Boden erreicht habe. Jetzt Kaffee. Wie erwartet schon kühl. Doch macht nichts. Ist fast immer so. Und ausserdem verdanke ich vielleicht mein passables Aussehen für mein Alter auch dem regelmässig kühlen Kaffee… wer weiss.

Aus dem Badezimmer planscht es. Ein untrügliches Zeichen, dass mein Ehemann aus den Federn gekrochen ist. Gleich rotzt er ins Lavabo. Jawoll, nun kann der Tag beginnen nach diesem Reinigungsprozess. Ich höre weg und ekle mich nicht. Das kann ich dann noch früh genug, wenn ich die Rotzblindgänger von den Wänden kratze. Der Jüngste hüpft mit nackten Füssen die Treppe herunter. Auch er macht einen Abstecher in die Waschküche und kommt frisch besockt zurück. Er setzt sich an den Tisch, bestellt warmen Kakao und streicht sich eine Brotschnitte. Zufrieden mampfend wird der Hund begrüsst, der nur in seiner Ecke seufzen muss, um Aufmerksamkeit zu erregen. Endlich sitz ich mal und sofort spüre ich wieder meine Erkältung. Jetzt müsst ich ein heisses Bad nehmen und den Morgen im Bett verbringen. Doch wenn ich an mein heutiges Tagespensum denke, verwerfe ich den Gedanken umgehend wieder. Hart bleiben. Hart und herzlich, schiesst es mir durch den Kopf. Kaum habe ich einen Sekundenbruchteil an mein eigenes Befinden gedacht, wird mir klar, dass hier jemand fehlt. Mein viertes Kind, unsere Tochter ist noch nicht aufgetaucht. Ich fliege in die obere Etage, reisse die Türe auf und mache Weckdienst. 7.45 Uhr. "Shit", ist die verschlafene Antwort. Schnell ziehe ich mich zurück. Wieder der Zigarettengeruch bei offener Zimmertür, ich ignoriere standhaft, werfe aber im Vorbeigehen doch einen Blick in die Bude. Chaos! Sieht aus wie ne Drogenhöhle. Vorhänge zu, kein bisschen Licht vom jungen Tag, ausserdem stressige Atmosphäre, da Schulrucksack noch gepackt werden muss in letzter Minute. Wie immer. Nichts sagen, nichts sagen, nichts sagen, nichts sagen! Wie ein Mantra wiederhole ich diese Worte in meinem Kopf, nachdem ich mir gestern nach einem handfesten und lautstarken Krach wieder einmal vorgenommen habe, mehr zu loben und weniger zu tadeln.

Zwei Türen werden zugeschmissen, fast hätte es auf der Treppe eine Kollision gegeben. Unsere Tochter und unser ältester Sohn hetzen gemeinsam die Treppe herunter, steigen in die Schuhe, reissen die Jacke vom Haken und rauschen mit einem "Tschüss" zur Tür hinaus. Ein kurzer Luftzug zieht durchs Haus. "Schöner Tag", ist alles was ich noch an Worten durch den Türspalt werfen kann. Der Jüngste sitzt am Tisch, mampft immer noch und scheint die Atmosphäre zu geniessen. "Ich kann einfach nicht verstehen, warum die nicht frühstücken", moniert er, "haben ja den ganzen Morgen Hunger". Damit trinkt er seine Tasse leer und macht sich fertig zum Gehen. Er ist zufrieden heute, weil er sich gestern bei den Hausarbeiten besonders viel Mühe gab und er weiss, dass er mit einem dicken Lob der Lehrerin rechnen kann. Es geht ihm gut. Ich geniesse sein Wohlbefinden und nehme ein paar homöopathische Mittel, die meine Körperabwehr unterstützen sollen.

Inzwischen mischt mein Gatte die Szene etwas auf. Er erscheint am Frühstückstisch mit den Worten. "Glaub mir, wenn ich privatisieren tät, wäre ich heute nicht gegangen". Er sieht müde aus und auch nicht jünger als er ist. Was nicht immer so ist. Oft schon habe ich mich gefragt, wie er das macht, wenn er manchmal abends nach Hause kommt und aussieht, wie wenn er den ganzen Tag segeln gegangen wäre - brauner Teint und mindestens 10 Jahre jünger. Kaffee ist fertig, der Jüngste geht. Küsschen, Küsschen - schön ist das! Zärtlich schaue ich ihm hinterher und frage mich, warum eigentlich die Kindheit so schnell der Pubertät weichen muss.

Da alle Kinder schon aus dem Haus sind, fühlt sich der Vater plötzlich gedrängt, es ihnen so schnell wie möglich gleich zu tun, stopft sich in Eile ein Stück Brot rein und schüttet den Kaffee hinter her. "Bist du gesund", frage ich, um zu erkunden, ob der Erkältungsvirus, den mein Sohn letzte Woche eingeschleppt hat, nun auch bei ihm angekommen ist. "Es geht, die Nase läuft etwas". Obwohl ich die ganze Nacht geschnäuzt und gehustet habe, bleibt die Gegenfrage aus. Dafür sagt er: "Tschüss, ich geh. Geniess den heutigen Tag etwas". "Was soll ich denn bitte geniessen?"" Dass du hier bleiben darfst und nicht weg musst unter fremde Leute. (Ausspruch seiner Mutter, schluck!) Das würde ich jetzt gern. Arbeitest nur für dich." Und entschwindet, bevor ich etwas erwidern kann. Ha! Vor meinem inneren Auge türmen sich die Wäscheberge, die heute bewältigt werden müssen, im Kühlschrank gähnende Leere, der Küchenboden klebt, der Mülleimer überquillt, auf dem Frühstückstisch herrscht Chaos, ein Geschenk muss her für mein Patenkind und ausserdem muss in vier Stunden eine einigermassen passable Mahlzeit auf dem Tisch stehen. Dann geniessen wir es einmal heute!
Ich werfe eine Tablette ein und reinige geniesserisch zum 19718. mal die Küchenabdeckung und den Esstisch.