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Elisabeth Miller

Das Märchen vom glücklichen Schwein


Das Zuchtschwein Nr. 175-7 lag still und zufrieden in seiner Abferkelbucht. Sie war eng und hart, aber warm. Durch die Gitterstäbe konnte das Schwein Nr. 175 – 7 seine Mitgenossinnen sehen. 180 waren es. Alle ferkelten am selben Tag, im Minutenabstand. Alle waren sie glücklich und quiekten leise vor sich hin. Die restlichen 4820 warteten noch in den Aufzuchtbuchten auf ihre Stunde.
Verträumt blickte die Muttersau 175 –7 auf 13 Frischlinge. Ein großer Zuchterfolg! Sie war stolz darauf. In der Regel warf sie nur 7, maximal 10 süße, kleine Schweinchen. Aber 13, das war schon was! Sie musste Acht geben, sich möglichst nicht bewegen, nicht dass sie am Ende noch eines ihrer Kleinen erdrückte. Aber das war weiter nicht schwierig! Bot die Abferkelbucht doch sowieso keinerlei Raum, sich zu drehen. Die Muttersau seufzte! 13 Ferkelchen suchten nach ihren Zitzen. Sie wusste nicht, ob sie überhaupt soviel Nahrung spenden konnte. Sie seufzte wieder. Ihr Körper zitterte leicht, vor Freude und Anstrengung.
13
Das Dreizehnte, das letzte, das sie gebar, fand die Muttersau, sei besonders schön! Es hatte einen kleinen hellen Fleck über seinem Ringelschwänzchen. Wenn sie genau hinsah, fand sie, sah er aus wie ein Kleeblatt.
Sie hatte ein Glücksschweinchen geboren. Würde es eines schönen Tages zur Saukönigin gewählt, oder in einer besonderen Aufzuchtbucht für Zuchtzwecke besonders gut gepflegt? Die Muttersau seufzte wieder. Das hatte sie nicht in der Hand. Ihr Glück würde nur vier Wochen dauern, dann wären sie fort, ihre kleinen süßen Dreizehn. Vorher aber, ja vorher wollte sie ihnen noch eine gute Mutter sein.
Die Dreizehn drängten sich an ihren Leib, kletterten übereinander, untereinander, zwischeneinander. Ein etwas kleineres Ferkelchen schob sich unter zwei größeren hindurch und erwischte so eine freie Zitze. Man musste sich nur zu helfen wissen, dachte es und nuckelte zufrieden. Das Dreizehnte aber, schien keinen Hunger zu haben. Die Muttersau beobachtete es besorgt. Das Glückskind kletterte mit letzter Anstrengung über alle Geschwister hinweg und flüchtete sich auf den Vorderschenkel seiner Mutter. Einen kurzen Moment hielt es inne, quiekte laut und vernehmlich, so als hätte es einen Sieg zu verkünden. Es rutschte auf den Hals der seitlich liegenden Mutter, machte es sich dort in einer Kuhle bequem und steckte seinen kleinen feuchten Schweinerüssel hinter das Ohr der Mutter.
"Was ist mit dir?", fragte diese besorgt und hielt ganz still. "Mit mir? Was soll mit mir sein? Ich möchte nur ganz nah und allein bei dir sein". Im Herz der Mutter wurde es warm, ihre rosa Schweinehaut wurde um einen Hauch röter und ihr leises Zittern ein wenig stärker. Fürwahr, ein Glücksschweinchen. Zärtlich grunzte sie ihr Dreizehntes an. Sie seufzte, tief und schwer. Das Ferkelchen lauschte. "Mutter, was ist mit dir? Bin ich dir zu schwer?" – "Aber nein, mein Kindchen, nein! Durch die ganze Welt könnte ich dich tragen. Du bist mir nicht zu schwer." – "Aber warum seufzt du dann so sehr?" fragte das Kleine erstaunt. - "Ich kann dich nicht tragen, ich kann es nicht." Über diese Antwort dachte das kleine Ferkelchen lange und angestrengt nach, ergebnislos und ohne Verständnis. Es knabberte leicht am Ohr seiner Mutter. "Sei nicht traurig, ich bin doch da und bleib immer bei dir."
Die Zuchtsau Nr. 175-7 grunzte wild auf. "Du kannst nicht bleiben, bald musst du fort von mir. Ich erfülle hier eine wichtige Aufgabe. Ich bin schließlich kein ordinäres Fleischschwein, sondern eine besonders wertvolle Zuchtsau. Trink, mein Ferkelchen, trink, dann wirst auch du dafür ausgewählt werden." – "Ist eine Zuchtsau besser als ein Fleischschwein?" – "Aber natürlich, mein Kindchen! Du lebst viel länger! Ein Fleischschwein landet oft schon im zarten Kindesalter von 6 Monaten als Spanferkel am Bratspieß. Uns passiert dies nicht. Wir sind sehr stolz darauf, eine so wichtige Aufgabe und Arbeit erhalten zu haben. Und damit wir sie gut ausfüllen können, werdet ihr bald in einen eigene Aufzuchtbucht kommen. Dort lernt ihr alles, was ihr für eurer Leben als Fleischschwein braucht - oder als Zuchtsau. Also trink, Ferkelchen, trink."
Das Ferkelchen dachte wieder nach, lange und angestrengt. "Und wenn ich einfach nicht trinke, bleibe ich dann klein und blass und dumm und darf ich dann bei dir bleiben?" - Was war das bloß für ein Ferkelchen, dieses Dreizehnte? Konnte es nicht wie die anderen einfach trinken und wachsen und sich auf sein Schweineleben freuen? Die Sau Nr. 175-7 schnaufte aufgeregt. "Kleines, du musst trinken, nur starke Schweine überleben in unserer Schweinewelt. Für andere ist kein Platz."
"Kleines, trink endlich!", grunzte plötzlich unwirsch die Zuchtsau Nr. 174-7 in der rechten Bucht durch die Gitterstäbe hindurch. Sie war schon das vierzehnte Mal hier und hatte eigentlich genug. Sie wollt ihre Ruhe haben.
"Erzähl´ ihm das Märchen vom glücklichen Schweineland, vielleicht glaubt es dann, dass alle Schweine trinken müssen", mischte sich die Sau Nr. 176-7 links von ihnen ein. Sie hätte die Geschichte gerne wieder gehört. Aber es war gefährlich, sie im Abferkelhaus zu erzählen. Sie erzeugte zuviel Unruhe und Aufruhr in vielen Schweineseelen.
Die Zuchtsau 175-7 seufzte, das Ferkelchen Nummer 13 drückte sich noch enger an ihren Hals und wisperte: "Erzähle, bitte, bitte Mama, erzähle." Die Alte hob ihren Kopf etwas an, betrachtete die übrigen 12 Ferkelchen, die friedlich an ihrem Bauch lagen und tranken, blickte sich um, legte ihren Kopf wieder auf die Seite und hub mit tiefem Grunzen an:
"Es begab sich vor langer, langer Zeit in einem fernen weiten Land. In einem Land, in dem alle Schweine glücklich waren. Es war ein großes Land, mit vielen Wäldern, Wiesen, Bächen, Flüssen und Sümpfen mit weichen nassen Suhlen. Eicheln, Kastanien, Wurzeln, Engerlinge, Larven und Trüffel, alles, wovon ein Schwein nur träumen konnte, gab es in diesem Land. Niemand erteilte den Schweinen Befehle, sie gehorchten nur der ältesten, erfahrensten Sau, der Leitbache. Sie regelte alles zur Zufriedenheit ihrer Rotte, schlichtete Streit und wies jedem seinen Platz in ihrer Familie zu.
Eines Tages, im Spätherbst wurde die kleinste und jüngste Sau einer großen Rotte unruhig. Sie sprang über die offenen Wiesen, streifte durch das Gebüsch, kühlte sich im Schlammbad ihre erhitzte Haut ab, rannte erneut los und drehte sich im Wind. Sie schnüffelte und schnüffelte, sog den Duft des Bodens durch ihre Nase, ignorierte den Geschmack der Trüffel, der in der Luft lag und witterte die berauschende Natur. Sie begann zu zittern. Sie begann sich zu fürchten und trotzdem zu hoffen. Vor ihr stand ein großer mächtiger Keiler. Er zeigte ihr seine kräftigen Hauer, drehte sich im Kreis und näherte sich ihr. Ihr Herz klopfte, ihre Haut wurde wieder heiß. Sie stand wie festgenagelt und konnte ihre Augen nicht von ihm wenden. "Er wird der Vater meiner Kinder", beschloss sie und stand ganz still, nur ihre Flanken zitterten.
5 Monate später wurde sie wieder unruhig. Sie wusste, bald war es so weit. Sie verließ ihre Familie und suchte sich einen stillen Platz. Hier wühlte sie einen Kessel in die Erde und polsterte ihn mit Gräsern und Blättern aus. Groß, warm und weich musste er sein. Sie wartete auf ihre Stunde. Die Stunde ihres Glückes! Es wurde schwierig, sie quickte leise vor Schmerzen, grunzte und schnaubte. Es dauerte lange und wurde ein voller Erfolg. Sieben kleine gestreifte Frischlinge suchten ihren warmen Körper und ihre Zitzen. Sie blickte müde, aber glücklich auf ihre kleinen Ferkelchen.
Die Ferkelchen tranken fleißig an ihrer Mutter und sie reinigte jeden Tag mit ihrem Rüssel das Fell der Kleinen. Sie sprangen und turnten, stritten, rieben sich ihr juckendes Fell an Bäumen, quiekten vor Lust laut in die Frühlingsluft hinein und tranken wieder. Innerhalb von zwei Wochen wurden sie stark und kräftig. "Kommt, sprach die stolze Mutter, "jetzt zeige ich euch eure Familie."
Sie wurden bereits von der ganzen großen Rotte auf einer Lichtung erwartet. Die Leitbache strich jedem Frischling mit ihrem Rüssel über den Rücken, grunzte zufrieden und führte alle sieben Ferkelchen in ihre Mitte. Sie feierten ein Fest, ein riesengroßes Schweinefest. Die Bachen grunzten, quiekten, durchwühlten die Erde und schmatzten die besten Leckerbissen. Ihrer jüngsten Mutter aber brachten sie die Trüffel. "Sei willkommen mit deinen Sieben", quiekten sie, eine nach der anderen, "sei willkommen." Das Herz der jungen Mutter zitterte vor Stolz, Freude und Liebe zu ihren Ferkelchen. Ihre Kleinen genossen den Tag und tobten glücklich und zufrieden zwischen den großen Sauen herum, durften ihnen auf den Rücken hinauf und hinunterklettern, sie in ihre Ohren kneifen und in ihre Ringelschwänze zwicken oder unter ihren Bäuchen hindurch rutschen."
"Und", quiekte das dreizehnte Ferkelchen leise der Zuchtsau 175-7 ins Ohr, "und durften diese Kinder bei der Mutter bleiben?" - "Bis sie selbst groß und stark waren", seufzte die Mutter. "Im Schweineland schützte die Leitbache mit allen erwachsenen Sauen die Mütter mit ihren Kleinen. Die Mütter aber lehrten ihren Kindern alles bis sie erwachsen waren, wie sie einen Schlafkessel bauen müssen, wie sie Trüffel finden können und wie gefährlich die Welt für kleine Ferkelchen sein kann."
"Was setzt du wieder allen für Träume und Flausen in den Kopf mit deiner unsinnigen Geschichte" unterbrach die Sau 174 – 7 unwirsch grunzend die Zuchtsau 175-7, "du weißt genau, dass es diesen Sauen auch schlecht gehen kann. Sie können einen schlechten Keiler erwischen, müssen ihr Futter selbst suchen und werden von den Menschen gejagt. Das kann uns hier nicht passieren. Wir bekommen hier nur Spitzen-Besamungs-Eber mit hoher Spermaqualität. Gesunde Ferkel sind uns damit garantiert. Wo gibt es das sonst noch! Hier ist alles sehr bequem. Ein saugutes Leben haben wir hier. Auch wenn wir die Kinder schneller abgeben. Dafür erfüllen wir andere Aufgaben."
"Die Geschichte ist gut, besser als dein Geschwätz", grunzte die Sau 176-7 empört zurück. "Ich träume gerne von diesem alten Schweineland und seiner Freiheit." – "Und stirbst hier vor Sehnsucht danach! Es ist besser, nicht daran zu denken! Was man nicht haben kann, soll man nicht wünschen!" Die Sau 174-7 schnaufte zornig vor sich hin.
Das Dreizehnte hörte dies alles und dachte wieder lange nach! "Es fasste einen Entschluss, rutschte vom Hals seiner Mutter, stieß ein anderes Ferkelchen zur Seite, fasste eine Zitze und sog und sog und trank, soviel es nur trinken konnte. Die Zuchtsau 175-7 war glücklich, endlich trank ihr Dreizehntes! Die Sau 176–7 war stolz, weil ihre Therapie gewirkt hatte und 174-7 war zufrieden, dass endlich wieder Ruhe im Abferkelhaus einkehrte.
Nur das Dreizehnte war in Unruhe und Aufruhr. Schnell musste es stark werden. Wo war dieses alte Schweineland? Konnte es das Land finden? War es nicht ein Glücksschweinchen? Nach zwei Tagen wusste es bereits, wann die große Türe in die Freiheit am Ende des Abferkelhauses geöffnet wurde und wie lange sie offen stand. Nach zwei Wochen fühlte es sich stark genug. Es hatte genau zwei Minuten Zeit. "Mama", flüsterte es der erschrockenen Zuchtsau ins Ohr, als die große Türe geöffnet wurde, "Mama, ich finde das Schweineland" – rutsche von ihrem Hals herunter, klemmte sich zwischen den Gitterstäben hindurch und sauste durch das Tor in die Freiheit.
Sie roch anders, die Freiheit, alles war fremd, aber das Dreizehnte war ein Glücksschweinchen. Keinem gelang es, es einzufangen. Es begann seinen langen Weg durch die Welt. Alles was es brauchte, musste es sich suchen. Täglich musste es Neues lernen. Niemand half ihm. War es hungrig, fraß es alles was es fand, juckte seine Haut, rieb es sich an Bäumen oder Zaunpfählen, war ihm heiß, suchte es oft vergebens nach Schlamm, vor Menschen floh es, am Tage verbarg es sich. War es müde, grub es sich einen Schlafkessel und blickte sehnsüchtig zu den Vögeln am Himmel.
Im Schlaf seufzte es "ach, if pigs could fly, if pigs could fly" und hörte die leise Stimme seiner Mutter: "Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem fernen weiten Land..." - "Ja", quiekte das Schweinchen leise, ja Mama, morgen, morgen finde ich das Land und eine große Rotte, then - pigs would fly!"