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Raphaela Kreitmeir

Hilfe, mein Kind krabbelt nicht


Jetzt ist sie schon elf Monate alt, kugelt freudig durch die Wohnung, entdeckt vor allem oral die Welt, da sie sich wirklich alles abenteuerlustig in den Mund steckt, kultiviert speziell die hohen Tonlagen, schläft bisweilen auch durch, aber sie will und will einfach nicht krabbeln. Dabei war ich mit ihr schon in der Krabbelgruppe, saß mit anderen Müttern am Boden im Kreis. Deren Kinder eilten über den Teppich und fingerten einander abwechselnd in die Augen oder in die ungesicherten Steckdosen. Nur meine Kleine lag auf den Rücken, brabbelte vergnügt vor sich hin und war so gar nicht zu irgendeiner Bewegung zu motivieren. Dabei sei das Krabbeln so wichtig, versicherte mir die Krabbelgruppenleiterin. Also bin ich mir ihr zum Osteopathen. Der besah sich meinen lächelnden Käfer, wiegte bedenklich seinen ergrauten Kopf, erklärte mir, nur durch intensives Krabbeln sei die Vernetzung der rechten Hirnhälfte mit der linken gewährleistet und legte Hand an. Eingezwängt in seinen Klammergriff schwand das Lächeln und ein Glas zersplitterndes hohes Wehklagen erfüllte die Praxis. Die Scheiben klirrten, das originalgroße Skelett schüttelte die mageren Knochen. Da ich nicht weiß, ob unsere Haftpflichtversicherung die dadurch möglicherweise verursachten Schäden bezahlt, wechselte ich zur Krankengymnastin. Einer sanf-ten Krankengymnastin, die viel lacht und wenig macht. Unserem Fräulein gefällt das. Da liegt sie also dreißig Minuten lang auf der Matte, mal auf dem Rücken, mal auf den Bauch. Und heimlich, wenn niemand hinsieht, richtet sie sich, den großen Kopf wie ein Pendel schwankend, auf die Knie auf. Aber krabbeln, nein das mag sie nicht. Jetzt übt der Papa mit ihr. Lässt sich im Wohnzimmer nieder und krabbelt vorbildlich durch den Raum. Unser Fräulein liegt auf den Bauch, stützt ihren Kopf in die dicken Hände und beobachtet versonnen lächelnd dieses Schauspiel. So versucht mein Mann mein Versäumnis wettzumachen.

Denn zeichneten sich vor Jahren engagierte Mütter dadurch aus, dass sie ihren Kleinen, kaum dass sie zahnten, Petersilienwurzeln zum Knabbern gaben, biodynamische Breie selbst kochten und nur mit ungebleichter Naturbaumwolle wickelten, so sind sie heute an der motorischen Frühförderung ihres Nachwuchses zu erkennen. Versammelt in überheizten Räumen bringen sie die Kleinen dazu, sich selbstständig zu bewegen. Das erleichtere soziale Kontakte, mathematisches Verständnis und ebne überhaupt wegen der bereits erwähnten Rechts-Links-Vernetzung im Gehirn den Weg in eine erfolgreiche Zukunft. Was wohl aus unserer Krabbelverweigerin mal wird? Gerade einmal elf Monate alt und schon eine Zukunft als Topmanager oder Bundeskanzlerin verspielt. Ein ganz klein wenig beruhigt mich die Tatsache, dass auch ich selbst – so die glaubhafte Versicherung meiner Mutter – nie gekrabbelt bin. Und das Laufen habe ich trotzdem gelernt. Aber nie wirklich die höhere Mathematik. Da sind wohl meine unvernetzten Hirnhälften dran Schuld.